Aus Sicht der Bundesregierung haben die Brände im griechischen Flüchtlingscamp Moria Tausende Menschen "in eine entsetzliche Lage gebracht". Dennoch nimmt Deutschland vorerst nur maximal 150 unbegleitete Minderjährige auf – das sorgt parteiübergreifend für scharfe Kritik.
Bundesinnenminister
Ein Großteil der Menschen – je 100 bis 150 – werde von Deutschland und Frankreich aufgenommen. Eine genaue Zahl könne aber erst genannt werden, wenn die Gespräche mit den anderen EU-Staaten abgeschlossen seien, sagte Seehofer am Freitag auf einer Pressekonferenz.
Das Lager Moria war in der Nacht zum Mittwoch bei mehreren zeitgleichen Bränden fast vollständig zerstört worden. Statt der vorgesehenen knapp 3.000 Migranten waren dort mehr als 12.000 Menschen untergebracht, darunter 4.000 Kinder. Tausende Menschen campieren seitdem unter freiem Himmel.
In Anbetracht dessen sorgt die Ankündigung Seehofers nun für Empörung – parteiübergreifend.
Wortgefechte im Bundestag
Die Fraktionen im Bundestag lieferten sich am Freitag heftige Wortgefechte um die richtige Antwort auf den Brand. "In Moria sind die Werte der Europäischen Union in Flammen aufgegangen", erklärte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch in einer Debatte. Bartsch zitierte ausgiebig aus der Bibel und warf Seehofer vor: "Ihr Agieren ist nicht christlich, Ihr Agieren ist unmenschlich."
Die Linksfraktion forderte, dass Deutschland in einem ersten Schritt alle obdachlos gewordenen Menschen aufnimmt, soweit diese nicht in andere aufnahmebereite Länder möchten.
Seehofer betonte, Deutschland habe seit 2015 insgesamt 1,73 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Inzwischen kämen an jedem Werktag wieder 300 bis 400 weitere Menschen ins Land. "Wir nähern uns wieder den Höchstzahlen der Vergangenheit." Dass Deutschland nun 100 bis 150 Jugendliche von Moria aufnehme, sei ein "ganz konkretes Beispiel praktizierter Nächstenliebe". Man werde alles daran setzen, dass diese noch im September kommen könnten.
"Blockade gegen die Menschlichkeit"
"Es reicht einfach nicht 150 unbegleitete Kinder aufzunehmen", erklärte hingegen die Grünen-Politikerin
Aus Sicht ihres Parteikollege Sven Kindler ist die vorgestellte Lösung gar "erbärmlich und beschämend".
"Das ist das armseligste, was ich in dieser Woche zu der Moria-Katastrophe gelesen habe", bemerkte auch die FDP-Abgeordnete Gyde Jensen zu den von Seehofer präsentierten Aufnahmezahlen. Jensen, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, meint sarkastisch, dass es sich bei den 100 bis 150 Aufzunehmenden "um ein Missverständnis handeln" müsse.
Scharfe Kritik kommt auch von Niedersachsens Ministerpräsident
Dass "wirklich große, handlungsfähige Länder wie Deutschland und Frankreich" nur 400 Minderjährige aufnehmen sei "schlichtweg zu wenig", kritisierte Weil. "Was ist denn dann eigentlich mit den anderen über 11.000 Menschen, die sich nach wie vor in einer solch entsetzlichen Lage befinden? Wir brauchen eine Lösung."
Am besten wäre es, wenn alle europäischen Länder sich an der Aufnahme der Menschen beteiligten, das sei aber nicht realistisch. Er forderte eine "Koalition der gutwilligen EU-Partner".
Hilfe für mehr Menschen und nicht nur Minderjährige
"Nur 150. Im besten Fall", empörte sich ebenso die Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion, Amira Mohamed Ali. Die Einigung bezeichnete sie auf Twitter als "Bankrotterklärung der Bundesregierung". Mohamed Ali forderte wie Weil: "Allen Menschen in Moria muss geholfen werden!"
Entwicklungsminister Gerd Müller hatte bereits am Mittwoch gefordert, Deutschland solle 2.000 Menschen aufnehmen, um mit einem "Zeichen der Humanität" voranzugehen. Am Freitag drängt der CSU-Politiker nun darauf, neben den angekündigten Minderjährigen auch volljährige Migranten aus Moria in Deutschland aufzunehmen. "Den Menschen muss jetzt sofort geholfen werden", sagte Müller der "Augsburger Allgemeinen".
Müller mahnte zudem eine rasche Einigung auf eine EU-weite Flüchtlingspolitik an. "Diese Katastrophe ist der letzte Weckruf, um endlich zu einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik in Europa zu kommen", betonte er. "Wir können nicht weitere fünf Jahre auf Einstimmigkeit innerhalb der Europäischen Union warten." (mf/dpa/afp)
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