Mehrere Bundesländer wollen nach dem verheerenden Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria helfen und Tausende Menschen von dort aufnehmen. Innenminister Horst Seehofer sperrt sich bislang gegen diesen Vorstoß. Doch der Druck wächst – auch aus den eigenen Reihen.
Europas Flüchtlingspolitik steht in Flammen – wortwörtlich. In der Nacht zum Mittwoch brachen in Griechenlands größtem Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos mehrere Feuer aus. Die Einrichtung, in der zu diesem Zeitpunkt rund 12.700 Menschen untergebracht waren und völlig überfüllt war, wurde großteils zerstört. Tausende mussten die Nacht unter freiem Himmel verbringen.
Das Inferno hat erneut eine Debatte in Gang gebracht, die bereits seit Jahren nahezu ergebnislos geführt wird: Warum holen Deutschland und andere EU-Staaten die Menschen nicht raus aus Moria?
Mehrere Bundesländer wollen gerade wegen der durch den Brand ausgelösten Not zügig helfen und erneuerten ihr Angebot zur Aufnahme von Tausenden Menschen. Doch sie werden ausgebremst – von Bundesinnenminister
Vier Bundesländer gegen Seehofer
Nordrhein-Westfalen, Berlin, Schleswig-Holstein und Thüringen drängen auf eine zügige Aufnahme. Dazu kommen deutschlandweit 64 Kommunen und Landkreise, die sich ausdrücklich bereit erklärt haben, aus Seenot gerettete Migranten unterzubringen. "Wir sind bereit, bis zu tausend Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen aufzunehmen", erklärte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bereits am Mittwoch.
"Es ist für mich unverständlich, wieso der Bund es den Städten, die sich dazu bereit erklärt haben, nicht möglich macht, schnelle und solidarische Hilfe zu leisten", fragte sich auch Berlins Regierender Bürgermeister
"Wir sind als Land bereit, insbesondere Familien mit kleinen Kindern bei uns aufzunehmen", sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident
Ebenso betonte Thüringens Ministerpräsident
Seehofer will europäische Lösung
Bislang weist Seehofer alle Vorstöße zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland zurück. Er will eine europäische Lösung. Der CSU-Politiker bot dem griechischen Migrationsminister Notis Mitarakis in einem Telefonat aber Unterstützung mit Blick auf die durch das Feuer entstandenen Schäden an. Hier wolle die Bundesregierung Hilfe "zügig und unkompliziert bereitstellen", sagte ein Ministeriumssprecher.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, verteidigte den Bundesinnenminister am Donnerstag im ZDF-"Morgenmagazin" vor den Blockade-Vorwürfen aus der Opposition, von Kirchenvertretern und Flüchtlingsorganisationen: "Horst Seehofer verhindert da gar nichts."
Mit Verweis auf frühere Aussagen von
Für ein "gemeinsames Aufnahmeprogramm möglichst vieler EU-Staaten" warb auch Außenamts-Staatsminister Michael Roth (SPD). "Europa schützen, heißt Menschenrechte verteidigen", sagte er der Nachrichtenagentur AFP.
Entscheidungshoheit liegt beim Bund
Eine europäische Lösung dauert jedoch vielen zu lange – ohne die Zustimmung aus dem Bundesinnenministerium können die Bundesländer aber nichts unternehmen. Die Entscheidungshoheit bei der Aufnahme von Flüchtlingen liegt beim Bund.
Die Aufnahme müsse aus Sicht des Bundesinnenministeriums "zumindest im Einvernehmen mit der Bundesregierung" erfolgen. Dies sei seit Jahrzehnten die Rechtslage, und daran wolle Seehofer auch nichts ändern.
Die Haltung des Innenministeriums beruht auf der im Grundgesetz festgeschriebenen Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern. Grundgesetz-Artikel 73 listet die "ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen" des Bundes auf, und darunter fallen auch die Bereiche Einwanderung und Auswärtige Angelegenheiten.
Das bedeutet: So groß die Bereitschaft zur Hilfe für Flüchtlinge auch sein mag – Länder und Kommunen dürfen keine eigene Einwanderungspolitik betreiben.
Druck aus den eigenen Reihen
Allerdings wächst der Druck auf Seehofer, sowohl aus der Koalition als auch den eigenen Reihen.
Die dramatische Zuspitzung der Lage müsse "jetzt Anlass sein, den Menschen – insbesondere den Kindern und Familien – endlich zu helfen und sie aus diesen unzumutbaren Zuständen zu befreien", erklärte etwa Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD). Sie begrüßte ausdrücklich die Signale der Hilfsbereitschaft aus Ländern und Kommunen.
Ebenso stellte sich Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) gegen die Linie der Bundesregierung. Er forderte die Aufnahme von 2000 Menschen. Deutschland solle mit einem "Zeichen der Humanität" vorangehen, sagte er am Mittwochabend in der ARD. "Ich persönlich bin der Meinung, dass wir die Angebote der deutschen Länder annehmen sollten."
EU will 400 unbegleitete Minderjährige aufnehmen
Ähnlich sehen das 16 Unions-Bundestagsabgeordnete. In einem Brief an Seehofer forderten sie am Donnerstag die Aufnahme von 5000 anerkannten Flüchtlingen vom griechischen Festland. Es gehe jetzt nicht vorrangig darum, europäische Flüchtlingspolitik zu gestalten, "sondern offensichtliche menschliche Not zu lindern". Mit der Aufnahme der Flüchtlinge könne die Situation vor Ort entspannt und Griechenland entlastet werden.
Erste positive Signale für eine schnelle Lösung gab es am Donnerstag. Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron wollen zusammen mit anderen EU-Ländern 400 unbegleitete Minderjährige aufnehmen.
Die Zahl gilt nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin für alle teilnehmenden Länder - wie viele davon Deutschland übernehmen würde, stand zunächst aber nicht fest, wie es hieß.(afp/dpa/mf)
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