- In dieser Woche beginnen im Bundestag die Beratungen über den Bundeshaushalt 2023.
- Im Auswärtigen Amt sollen die Ausgaben für die humanitäre Hilfe um mehr als 20 Prozent sinken.
- Hilfsorganisationen kritisieren die geplanten Kürzungen. Die Hilfe in humanitären Krisen sei schon jetzt unterfinanziert.
- Die CDU spricht von einem "nie dagewesenen Vorgang". Auch Abgeordnete der Regierungsfraktionen fordern Nachbesserungen.
Manchmal ist auf der Welt sehr schnelle Hilfe gefragt. So wie derzeit in Pakistan. Mehr als 1000 Menschen sind dort bei massiven Überschwemmungen ums Leben gekommen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind mehr als 33 Millionen Menschen betroffen. Wassermassen haben ganze Dörfer mitgerissen und Äcker zerstört.
In Fällen wie diesen kommt auch Deutschland ins Spiel. Hilfsorganisationen leisten mit Geldern des Auswärtigen Amts humanitäre Hilfe: Sie versorgen Menschen mit Trinkwasser oder Lebensmitteln, bauen Notunterkünfte, versuchen, die Ausbreitung von Krankheiten zu bremsen.
Haushaltsentwurf sieht Kürzung um rund 500 Millionen Euro vor
Auch in Berlin wird die humanitäre Hilfe in dieser Woche eine Rolle spielen. Dann beginnen im Bundestag die Beratungen über den Bundeshaushalt 2023. Insgesamt wird der deutsche Staat im kommenden Jahr wohl weniger Geld ausgeben als im laufenden. Bundesfinanzminister
Mehrere Ministerien müssen deshalb mit weniger Geld auskommen als in diesem Jahr. Das gilt auch für das Auswärtige Amt von Bundesaußenministerin
Die Ausgaben für die humanitäre Hilfe sollen dadurch ebenfalls sinken. In diesem Jahr waren für diesen Zweck 2,49 Milliarden Euro im Haushalt vorgesehen. Hinzu kamen 210 Millionen Euro aus einem Ergänzungshaushalt. 2023 sollen es noch 2 Milliarden Euro sein - ein Minus von rund 500 beziehungsweise 700 Millionen Euro.
"Die meisten humanitären Krisen sind unterfinanziert"
Die humanitäre Hilfe kommt in akuten Notlagen auf der Welt zum Einsatz, zum Beispiel nach Kriegen oder Naturkatastrophen. Das Auswärtige Amt leistet diese Hilfe nicht selbst, sondern unterstützt mit dem Geld die Arbeit von Hilfsorganisationen.
Dort ist die Sorge nun groß. Anja Osterhaus, Leiterin der Programme von Oxfam Deutschland, betont: Die Bundesrepublik habe die humanitäre Hilfe in den vergangenen Jahren ausgebaut und sei heute der zweitwichtigste Geldgeber nach den USA. "Allerdings sind auch die Bedarfe massiv gestiegen, und die meisten humanitären Krisen sind stark unterfinanziert."
Vor diesem Hintergrund sei die angekündigte Reduzierung der Ausgaben in diesem Bereich sehr besorgniserregend. "Bereits jetzt sehen wir, dass die Mittel nicht ausreichen, um Menschen, die von Hunger, den Folgen von Krieg und Konflikten oder Überschwemmungen wie zurzeit in Pakistan betroffen sind, die erforderliche Unterstützung zukommen zu lassen", sagt Osterhaus.
Der Großteil der deutschen Gelder in dem Bereich geht an die Vereinten Nationen, etwa an das Welternährungsprogramm. "Wenn die Mittel sinken, müssen wir leider davon ausgehen, dass auch die Mittel für Nichtregierungsorganisationen sinken", teilt die Welthungerhilfe mit. "Das wäre sehr bedauerlich, denn es stehen ohnehin für viele Krisen nicht genug Mittel zur Verfügung.“ Das gelte besonders für die "vergessenen" Krisen wie im Jemen oder im Südsudan.
Auch die Welthungerhilfe weist auf eine Finanzierungslücke in der humanitären Hilfe hin. "Wie die Katastrophe in Pakistan zeigt, müssen wir in Zukunft von immer größeren und häufigeren Krisen aufgrund des Klimawandels ausgehen. Hinzu kommen die steigende Anzahl an Kriegen und Konflikten, die Auswirkungen der Corona-Pandemie und steigende Nahrungsmittelpreise, die die humanitären Bedarfe weiter in die Höhe treiben." Die derzeit im Bundeshaushalt 2023 vorgesehenen Mittel seien daher unzureichend.
Michael Brand: "Der schwerste Fehler der Bundesaußenministerin"
Die Verteilung des Bundeshaushalts auf die einzelnen Ministerien gibt zwar der Finanzminister vor. Für die Verteilung innerhalb ihres Hauses sind aber die Ministerien selbst zuständig. Harte Worte kommen aus der Opposition: Die Kürzung sei "ein nie dagewesener Vorgang", sagt Michael Brand, Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
"Dass dies ausgerechnet in der größten humanitären Krise in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg und ausgerechnet bei einer drohenden globalen Hungerkatastrophe geschieht, ist der wahrscheinlich schwerste Fehler der Bundesaußenministerin in ihrer bisherigen Amtszeit. Denn die drastische Kürzung würde ganz konkret Menschenleben kosten, und zwar viele." Die Entscheidung sei "menschlich, humanitär und geopolitisch schlicht katastrophal", sagt Brand. "Sie wirkt angesichts der dramatischen Lage empathiefrei, sogar zynisch."
Abgeordnete der Ampel-Koalition wollen nachbessern
Auch die Abgeordneten der Regierungsfraktionen sind alles andere als zufrieden. "Deutschlands humanitäre Hilfe ist nicht einfach ein Geschenk an andere Staaten", sagt die Grünen-Abgeordnete Jamila Schäfer. Sie ist im Haushaltsausschuss für den Etat des Auswärtigen Amts zuständig. "Die Beiträge sind unerlässlich, um glaubwürdig auf dem internationalen Parkett zu agieren und ein verlässlicher Partner zu sein. Hier zu sparen, hieße, eine fatale Lücke zu schlagen, in die Putin und Co. mit ihrer imperialistischen und menschenverachtenden Politik stoßen", so Schäfer.
Frank Schwabe, Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, weist darauf hin, dass die Ausgaben für den Bereich in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sind. Trotzdem sagt auch er: "In einer Zeit, in der internationale Krisen im Mittelpunkt der Politik stehen, wäre das Sparen an dieser Stelle ein falsches Signal." Nur die Hälfte des weltweiten Bedarfs an humanitärer Hilfe werde derzeit gedeckt.
Die Abgeordneten sind nun selbst am Zug. Denn über den Bundeshaushalt entscheidet der Bundestag, "Am Ende wird eine andere Zahl im Haushalt stehen als jetzt. Kein Haushalt geht so aus dem Bundestag raus, wie er eingebracht wurde", sagt Schwabe. Die Grünen-Abgeordnete Jamila Schäfer will ebenfalls "substanzielle Verbesserungen" erreichen. "Aber es ist auch Aufgabe der Bundesregierung, in einer der größten außenpolitischen und ökologischen Krisen nicht an der falschen Stelle zu sparen", sagt sie.
Das Auswärtige Amt verweist auf Anfrage unserer Redaktion auf die stark ausgeweiteten Zahlungen in den vergangenen Jahren. "Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat zu einem dramatischen Anstieg der humanitären Bedarfe geführt", teilt das Ministerium mit. "Die Bundesregierung hat daraufhin zusätzliche Mittel mobilisiert, um das Leid der Menschen zu lindern." Auch in Pakistan habe man kurzfristig ein Projekt des Roten Kreuzes für die Nahrungsmittel- und medizinische Versorgung in Höhe von 500.000 Euro finanziert.
Appell von Entwicklungspolitikern
Mit weniger Geld muss allerdings auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit auskommen. Es ist für langfristige Entwicklungshilfe zuständig, die Lebensbedingungen in den Zielländern nachhaltig verbessern soll. Der Haushalt soll 2023 von 12,3 auf 11,1 Milliarden Euro schrumpfen: ein Minus von rund zehn Prozent.
Einen gemeinsamen Appell gegen die Kürzungen veröffentlichten am Donnerstag vier ehemalige und ein heutiger Bundestagsabgeordneter: Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen und andere Hilfsorganisationen seien "dramatisch unterfinanziert und mussten bereits in mehreren Notaufnahmelagern die eh schon kargen Essensrationen halbieren", schreiben Christoph Hoffmann (FDP), Peter Ramsauer (CSU), Dagmar Wöhrl (CSU), Thilo Hoppe (Bündnis 90/Die Grünen) und Uwe Holtz (SPD).
"Wir sehen aktuell bei laufenden Projekten spürbare Kostensteigerungen, in Form gestiegener Energie- und Lebensmittel- oder Baukosten", sagt Peter Stein, entwicklungspolitischer Berater bei der Hilfsorganisation "Brot für die Welt" und ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter. Allein um den Status Quo aufrechtzuerhalten, wäre aus seiner Sicht statt einer Kürzung um zehn Prozent eine Aufstockung der Mittel um 20 Prozent nötig. "Es stehen Partnerschaften auf dem Spiel. Deutschland genießt in der Welt ein lange aufgebautes Vertrauen. Das ist ein Schatz, den man nicht plündern darf", sagt Stein.
Internationale Hilfe trotz großer Probleme im Inland?
Die Argumentation für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit ist in Deutschland nicht unbedingt einfacher geworden. Schließlich schaffen die Inflation und andere Folgen des Ukraine-Krieges auch hierzulande große soziale Herausforderungen. Wiederaufbauhilfe ist zudem immer noch bei den deutschen Flutopfern vom Sommer 2021 gefragt. Allerdings hat der Staat dafür bereits einen Wiederaufbaufonds mit einem Volumen von 30 Milliarden Euro aufgelegt.
Stephan Exo-Kreischer, Deutschland-Direktor der Entwicklungsorganisation ONE, warnt davor, Innenpolitik und internationale Hilfe gegeneinander auszuspielen. "Wir erleben überall in der Welt Konflikte, Naturkatastrophen und massive Hungerkrisen. In so einer Situation Ausgaben zu kürzen, wäre kurzsichtig und fahrlässig", sagt er. "Wenn wir die globalen Herausforderungen jetzt nicht angehen, werden die Kosten für die nachkommenden Generationen langfristig höher sein als die Schulden, die wir jetzt aufnehmen."
Verwendete Quellen:
- Bundestag.de: Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2023
- Auswärtiges Amt, Pressestelle
- Stellungnahmen von Jamila Schäfer (Bündnis 90/Die Grünen), Michael Brand (CDU), Frank Schwabe (SPD)
- Peter Stein, Brot für die Welt
- Anja Osterhaus, Oxfam Deutschland
- Stephan Exo-Kreischer, ONE
- Welthungerhilfe, Pressestelle
- Appell: "Lasst sie nicht verhungern!"
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