Nach den jüngsten russischen Raketenangriffen muss Deutschland die Ukraine weiter mit Systemen und Munition für die Luftverteidigung unterstützen, sagt FDP-Politiker Marcus Faber. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag nimmt aber auch andere Staaten in die Pflicht – und schlägt eine neue Quote vor.

Ein Interview

Die Vorsitzenden von Bundestagsausschüssen sind nur selten bundesweit bekannt. Marie-Agnes Strack-Zimmermann war eine große Ausnahme: Die FDP-Politikerin schaltete sich als Chefin des Verteidigungsausschusses in viele Diskussionen ein, sorgte für Klartext – und so manche Kontroverse.

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Nach der Europawahl ist Strack-Zimmermann nach Brüssel gewechselt. Den Vorsitz im Ausschuss hat ein Parteifreund von ihr übernommen: der FDP-Politiker Marcus Faber. Im Gespräch mit unserer Redaktion blickt der 40-Jährige auf die Aufgabe, die vor ihm liegt – und auf den Nato-Gipfel in Washington.

Marcus Faber Verteidigungsausschuss
Marcus Faber ist seit kurzem Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag. © IMAGO/Christian Spicker

Herr Faber, wie groß sind die Fußstapfen, in die Sie treten?

Marcus Faber: Marie-Agnes hinterlässt auf jeden Fall große Fußstapfen – vor allem was den öffentlichen Auftritt angeht. Kurz nachdem sie den Ausschussvorsitz übernommen hatte, sind wir mit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine in sicherheitspolitisch schwieriges Fahrwasser geraten. Das ist eine besondere Zeit für dieses Amt. Das gilt jetzt auch für mich.

Wie wollen Sie das Amt nutzen?

Der Bundeskanzler hat ja von einer Zeitenwende gesprochen. Jetzt muss man den Menschen erklären, was das konkret bedeutet: Warum braucht die Bundeswehr mehr Ausstattung, Personal und Investitionen? Die Zeitenwende erfordert große Anstrengungen. Sie wird nicht vom einen auf den anderen Tag vollzogen sein. Auch die weitere Unterstützung der Ukraine ist in unserem sicherheitspolitischen Interesse. Der Bevölkerung das immer wieder zu vermitteln, sehe ich auch als meine Aufgabe.

In der Bevölkerung gibt es allerdings Vorbehalte und Ängste – gerade in Ostdeutschland. Sie sind selbst Ostdeutscher: Müsste die Politik das nicht ernster nehmen?

Genau deswegen ist das Erklären notwendig. Wir sind gut beraten, in die Bundeswehr zu investieren, damit wir abschrecken können, damit nicht auch wir von Putin bedroht werden. Wir sind auch gut beraten, die Ukrainer zu befähigen, ihre Heimat zu verteidigen, statt sie zu neuen Flüchtlingen zu machen. Beides ist in unserem Interesse. Das müssen wir möglichst vielen Menschen vermitteln. In allen Landesteilen, aber insbesondere in Ostdeutschland.

"Krankenhäuser werden gezielt angegriffen. Das ist Teil des Terrors gegen die ukrainische Zivilbevölkerung."

Marcus Faber

Russland hat seine Angriffe auf die Ukraine zuletzt noch einmal intensiviert und unter anderem eine Kinderklinik beschossen. Was ist die Antwort Deutschlands darauf?

Erstmal müssen wir uns bewusst machen, dass das systematisch passiert. Ich stand selbst schon in einem bombardierten Kinderkrankenhaus in Cherson. Krankenhäuser werden gezielt angegriffen. Das ist Teil des Terrors gegen die ukrainische Zivilbevölkerung. Ganz zentral ist, der Ukraine weiterhin Luftverteidigung zur Verfügung stellen. Wir haben das bereits gemacht. Wir müssen aber auch andere Nationen motivieren. Die Niederländer und die Rumänen haben jeweils Patriot-Systeme zugesagt, die noch nicht in der Ukraine angekommen sind. Andere Nato-Staaten haben auch noch große Reserven.

Und Deutschland?

Wir haben im Verteidigungsausschuss die Bestellung acht weiterer Luftverteidigungssysteme für die Bundeswehr auf den Weg gebracht. Deutschland hat bereits einen deutlichen Fokus auf die Luftverteidigung. Es ist aber eine industrielle Herausforderung, die Bestellungen schnell umzusetzen. Das gilt sowohl bei den Systemen als auch vor allem bei Munition. Die ukrainischen Streitkräfte müssen es schaffen, die russischen Truppen zurückzudrängen. Dann nimmt auch die Bombardierung der großen Städte ab.

Marcus Faber: "Von Nato-Gipfel muss eine Botschaft der Einigkeit ausgehen"

In diesen Tagen kommen die Nato-Staaten in Washington zu einem Gipfel zusammen. Was erhoffen Sie sich davon?

Von diesem Gipfel muss eine Botschaft der Einigkeit ausgehen. Es muss klar sein, dass die Beistandspflicht aufrechterhalten wird – und zwar für jeden der 32 Mitgliedstaaten. Die Nato-Staaten müssen auch deutlich machen, dass sie sich in der Unterstützung der Ukraine einig sind. Für dieses Jahr hat man sich auf ein Paket von 40 Milliarden Dollar geeinigt. Ich würde aber sagen: Noch sinnvoller wäre es, auf eine gerechte Lastenverteilung zu achten.

Was bedeutet das?

Die Nato-Staaten haben sich darauf geeinigt, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu investieren. Man könnte sich auch vornehmen, dass jeder Staat 0,2 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Unterstützung der Ukraine ausgibt. Dann hätte man eine gerechtere Verteilung, die Deutschland nicht stärker belasten würde, weil wir im Vergleich mit anderen Ländern schon sehr viel unternehmen. So eine Vorgabe würde andere Staaten verpflichten, ebenfalls stärker mitzuziehen.

Ist eine Botschaft der Einigkeit wirklich zu erwarten? Zur Nato gehören auch Staaten wie Ungarn, die Slowakei und die Türkei, die den Ukraine-Kurs mehr oder weniger in Zweifel ziehen.

Die Nato hat es in den vergangenen zweieinhalb Jahren immer wieder geschafft, eine Botschaft der Einigkeit zu senden. In Ländern wie der Slowakei oder den Niederlanden ist nach Wahlen der befürchtete Kurswechsel ausgeblieben. Die Nato ist das Verteidigungsbündnis der Demokratien. Wenn eine Demokratie überfallen wird, müssen ihr andere Demokratien mindestens materielle Hilfe leisten. Ich glaube, für diesen Gedanken gibt es in allen Nato-Staaten viel Sympathie.

In der Nato gibt es auch Rufe nach einer stärkeren Rolle Deutschlands. Hat die Bundesrepublik wirklich das Zeug zur internationalen Führungsmacht?

Deutschland ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und die größte in Europa, hat eine zentrale geografische und politische Position auf dem Kontinent. Deutschland kann nicht die Schweiz sein, selbst wenn man das wollte. Wir haben eine Verantwortung für Frieden auf diesem Kontinent. Diese Verantwortung nehmen wir auch wahr, indem wir uns mit unseren Bündnispartnern in EU und Nato abstimmen.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Die USA wollen in Washington auch über die Rolle Chinas in der Welt sprechen. Nehmen wir in Europa ausreichend wahr, welche militärische Rolle China spielt?

Ja. Ich bin seit vielen Jahren Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der Nato. Da wird die Bedrohung durch China regelmäßig diskutiert. China bedroht beispielsweise sein Nachbarland Taiwan sehr intensiv. Auch andere Länder in Südostasien und Ostasien fühlen sich von China bedroht. Darüber muss man reden. Die Beistandspflicht innerhalb der Nato gilt natürlich nur für die 32 Mitgliedstaaten. Dennoch muss man schauen, wie man hier besser zusammenarbeiten kann. Deutschland ist dieses Jahr mit zwei Schiffen der Marine im Indopazifik unterwegs, nimmt auch an gemeinsamen Übungen teil. Diese Signale sind jetzt wichtig.

China hat auch eine militärische Übung gemeinsam mit Belarus gestartet – also mitten in Osteuropa.

Wir müssen uns bewusst machen: Auch die Diktaturen der Welt rücken zusammen. Belarus, Russland, China, Nordkorea und der Iran arbeiten systematisch zusammen. Ihr Ziel es, den demokratischen Gesellschaftsansatz zu überwinden. Das müssen wir ernst nehmen. Aber Belarus ist zum Glück nicht die zentrale Sicherheitsherausforderung in Europa.

Über den Gesprächspartner

  • Marcus Faber wurde 1984 in Stendal geboren. Er leistete den Grundwehrdienst als Panzerpionier und studierte Politikwissenschaften in Potsdam und Australien. Später promovierte er in dem Fach. 2017 und 2021 wurde Faber für die FDP über die Landesliste Sachsen-Anhalt in den Bundestag gewählt. Seit 2022 ist er auch Vorsitzender der Deutsch-Taiwanischen Gesellschaft.
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