Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat sich einen Namen gemacht: als Kritikerin des Kanzlers und lautstarke Unterstützerin der Ukraine. Jetzt will die FDP-Politikerin ins EU-Parlament. Ein Gespräch über ihre Sicht auf Brüssel und die Frage, wer ihr lieber ist: Emmanuel Macron oder Olaf Scholz.
Wer mit Russland verhandeln will, den nennt Marie-Agnes Strack-Zimmermann schon mal Putin-Versteher, dem Kanzler unterstellt sie autistische Züge: Einer Konfrontation geht die FDP-Politikerin selten aus dem Weg. Dass sie der "Abteilung Attacke" innerhalb der Freien Demokraten angehört, zeigt sie auch im Europawahlkampf.
Frau Strack-Zimmermann, für Ihre Partei sieht es bundesweit nicht gut aus. Umfragen zeigen, dass die FDP bei der nächsten Wahl sogar aus dem Bundestag fliegen könnte. Retten Sie sich mit dem Gang nach Brüssel vom sinkenden Schiff?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: (lacht) Ich rette mich nirgendwo hin, oder sehe ich so aus, als ob ich unbedingt einen neuen Job bräuchte? Ich gehe aus Überzeugung nach Brüssel. Und ich werde übrigens auch im Bundestagswahlkampf präsent sein und Präsidiumsmitglied der FDP bleiben. Das schon mal an alle, die glauben, dass ich dann weg bin.
Sie gehen mit dem Slogan: "Streitbar in Europa" in den Wahlkampf. Ist das nicht ein Risiko in Zeiten, in denen die Mehrheit der Bürger vom Dauer-Zoff in der Ampel genervt ist?
Wir sollten das Wort Streiten nicht immer nur so negativ sehen. Streitbar sein, heißt im positiven Sinne für gute Dinge zu kämpfen. Dass man etwas durchsetzen will und das am besten mit guter Laune und auch mit der Toleranz, die man für Kompromisse braucht.
Auf EU-Ebene hat Ihre Partei zuletzt mit Blockaden wie beim Lieferkettengesetz oder dem Verbrenner-Aus für Kopfschütteln gesorgt. Sogar innerhalb der liberalen Fraktion im Europaparlament, der Renew, wurde das kritisiert. Wird sich das mit Ihnen in Brüssel ändern?
Selbstkritisch muss man sagen: Wir hätten in manchen Punkten deutlich früher klarer machen müssen, dass wir noch Einwände haben. Andererseits ist es normal in einer Demokratie, dass bestimmte Themen bis zum Schluss diskutiert werden müssen. Am Beispiel des Lieferkettengesetzes: Wir hatten bereits im November letzten Jahres innerhalb der Ampel erklärt, dass wir noch Gesprächsbedarf sehen. Das war also keine Überraschung.
Eine Auswertung des WWF hat ergeben: Bei Abstimmungen rund um die Themen Klima-, Natur- und Umweltschutz stimmen die FDP-Abgeordneten deutlich öfter dagegen als ihre Kollegen in der Renew-Fraktion. Sind die europäischen Liberalen Ihrer Partei zu grün oder ist das Thema der FDP nicht wichtig?
Ich war bei diesen Abstimmungen nicht dabei. Aber diese Themen sind für die FDP von hoher Relevanz. Was Europa anders macht als der Bundestag, ist, dass man nicht nur in der eigenen Fraktion, sondern mit allen demokratischen Fraktionen und über die Ländergrenzen hinweg diskutiert. Dass es selbst in der eigenen Fraktion Differenzen gibt, ist nichts Neues. Davon können auch Grüne, Sozial- und Christdemokraten ein Lied singen.
In Ihrem Wahlprogramm setzten Sie beim Klimaschutz im Prinzip auf eine einzige Karte: Emissionshandel. Reicht das aus, um diese globale Krise zu bewältigen?
Ja. Der Emissionshandel ist ein marktwirtschaftliches Instrument. Wer höhere Emissionen hat, muss mehr zahlen. Das funktioniert. Sie können so viele Maßnahmen und Regeln erlassen, wie Sie wollen. Aber die Unternehmen, die nicht jede Einzelmaßnahme erfüllen können oder wollen, verlassen Europa. Daher braucht es einen ganzheitlichen Ansatz.
Das Argument hinkt. Die Unternehmen könnten genauso gut abwandern, weil ihnen der Preis für CO2-Zertifikate zu teuer wird.
Was Unternehmen, Innovationen und junge Menschen vertreibt, ist die inflationäre EU-Regulierungswut der letzten fünf Jahre. Die Auswanderung aus Europa hat einen Höchststand erreicht, weil die Leute hier keine Zukunft sehen – und das hat ganz viel mit Überregulierung zu tun. Wer heute eine Firma gründet, geht in die USA. Dort kann man viel freier agieren.
Da Sie jungen Menschen ansprechen: Kürzlich kam eine Studie zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der Jungen die EU befürwortet – sich in ihr aber nicht ausreichend vertreten sieht. Was muss sich ändern?
Die gute Nachricht ist: Die Jungen erkennen den Wert der EU. Aber es reicht nicht, nur aufs Parlament zu zeigen und zu wenig Repräsentation zu beklagen. Wir müssen junge Menschen ermutigen, ein Mandat zu ergreifen, fürs Parlament zu kandidieren und ihre Meinung zu äußern. Das ist nicht bequem, aber dass jüngere Menschen ran müssen, steht außer Frage. Es braucht in Brüssel beides; eine Mischung aus Erfahrung und junger Tatkraft.
Lassen Sie uns über Verteidigungspolitik sprechen. Die FDP fordert eine europäische Armee. Wie genau soll das Aussehen?
Langfristig bedeutet es: Eine große europäische Armee und keine nationalen Armeen mehr. Kurzfristig müssen wir Verteidigung erstmal zu einer europäischen Frage machen. Wir müssen Aufgaben auf die Länder verteilen. Nicht jedes Land muss alles machen. Das schont auch die nationalen Budgets, etwa wenn die Europäer gemeinsam Material beschaffen. Es ist geradezu irrsinnig, dass wir in der EU 13 verschiedene Kampfpanzer und 16 verschiedene Flugzeuge haben.
Bei einer wirklichen EU-Armee stellen sich viele Fragen. Wer entscheidet, wann sie in den Krieg zieht? Welche Mehrheiten sind dafür notwendig?
Sie gehen ins Detail und ich könnte ihnen viel dazu erzählen. Aber das jetzt zu diskutieren, ist der falsche Weg.
Warum?
Weil diese Details der achte und neunte Schritt sind – wir haben aber noch nicht mal den ersten gemacht. Diese Fragen bauen alle aufeinander auf. Das EU-Parlament könnte eine Armee heute zum Beispiel gar nicht befehligen, weil es kein Initiativrecht hat. Der Aufbau einer EU-Armee kann nur sukzessive passieren. Dafür ist viel Vertrauen nötig. Denn es bedeutet auch, Kompetenzen abzugeben.
Schon heute sehen viele Deutsche die Abgabe von Kompetenzen an die EU kritisch. Glauben Sie wirklich, dass man sie überzeugen kann, dass Brüssel irgendwann deutsche Soldaten in den Kampf schicken darf?
Ich bin da optimistisch. Die Menschen wollen geschützt werden. Sie wollen abends ins Bett gehen und nicht im Krieg aufwachen. Es liegt an uns Politikern, ihnen aufzuzeigen, warum eine EU-Armee der richtige Weg ist. Dafür müssen wir ihnen erklären, dass wir uns nicht allein schützen können und die Europäische Union ein deutlich stärkerer Pfeiler innerhalb der Nato werden muss.
Die Nachrichtenagentur Reuters hat jüngst vermeldet, Putin sei bereit zu einer Waffenruhe in der Ukraine. Wie beurteilen Sie diesen Bericht?
Das sind Provokationen, unmittelbar vor der Europawahl. Damit soll hier Stimmung erzeugt und das Narrativ gefüttert werden, Putin wolle ja eigentlich Frieden. Man muss sich klarmachen: Vor zwei Wochen hat er noch darüber gesprochen, die Seegrenze in der Ostsee in Richtung Litauen zu verschieben. Für Putin steht nach wie vor fest, dass er die Ostukraine und die Krim nicht zurückgibt. Er will die ganze Ukraine. Eine Waffenruhe würde er nutzen, um Luft zu holen und seine Armee weiter aufzurüsten.
Die Regierung hat der Ukraine jetzt erlaubt, mit deutschen Waffen auch Ziele auf russischem Territorium anzugreifen. Ist das der richtige Schritt?
Es geht dabei um rein militärische Ziele. Wir wissen, von wo russische Raketen und Drohnen abgefeuert werden. Dass man diese Ziele angreifen und zerstören muss, ist völlig logisch. Wir können nicht zuschauen, wie von russischem Staatsgebiet Menschen ermordet und die Ukraine zerstört wird.
Putin droht mit "ernsten Konsequenzen", wenn westliche Waffen auf Ziele in Russland abgefeuert werden würden. Sehen Sie die Gefahr einer Eskalation?
Drohungen muss man immer ernst nehmen und Herrn Putin auch zuhören. Hätte Frau Merkel das 2008 schon gemacht, wäre die Ukraine in die Nato aufgenommen und nie von Russland angegriffen worden. Aber wir sollten uns nicht durch verbale Drohungen verängstigen lassen. Putin kennt Deutschland und unsere Sprache und weiß, dass wir uns schnell beeinflussen lassen.
Wer ist ihnen eigentlich lieber: Der Kanzler, der zwar wenig ankündigt, was die Unterstützung der Ukraine angeht, aber den Zahlen zufolge tatsächlich liefert. Oder der französische Staatspräsident Macron, der immer wieder große Ankündigen macht, aber dann gar nicht so viel Hilfe erbringt?
Ich glaube, die Mischung macht es. Es ist in der Tat so, wie Sie es beschreiben: Macron ist wortgewaltig und hat eine große Ausstrahlung. Wenn man aber auf die nackten Zahlen blickt, ist die französische Ukraine-Hilfe überschaubar. Was sich
Über die Gesprächspartnerin
- Marie-Agnes Strack-Zimmermann wurde 1958 in Düsseldorf geboren. Sie studierte Publizistik, Politik und Germanistik in München und arbeitete mehr als 20 Jahre als Repräsentantin eines Jugendbuchverlags. Seit 1990 ist sie Mitglied der FDP. Von 2008 bis 2014 war sie erste Bürgermeisterin Düsseldorfs. 2017 zog sie für die FDP in den Bundestag ein. Seit Dezember 2021 leitet sie den Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages.
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