Die Wahl in Berlin ist vorbei und gleich mehrere Parteien sehen im Ergebnis einen Auftrag zur Regierungsbildung. Diesmal sind die Töne besonders schrill. Dabei geben die politischen Spielregeln den Kurs doch eigentlich vor. Dementsprechend fragt Sandra Maischberger am Mittwochabend: "Alles nur politisches Theater?"

Christian Vock
Eine Kritik
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Ein Parteichef, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, zwei Journalisten, ein Kabarettist und der Kriegsreporter eines Boulevard-Blattes sind am Mittwochabend bei Sandra Maischberger zu Gast und diskutieren die Themen der Woche.

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Die Themen des Abends:

Zunächst darf Kabarettist Urban Priol ein paar Scherze über die Berlin-Wahl machen, dann wird es schon inhaltlich: Wer darf mit welcher Berechtigung in Berlin regieren? Eine Frage, die Maischberger im Anschluss auch mit Lars Klingbeil diskutiert. Die Berlin-Wahl mit all ihren Folgen für SPD, aber auch für die FDP sind das eine große Thema, das Maischberger mit ihren Gästen am Tisch und Lars Klingbeil im Sessel diskutiert. Das andere große Thema ist der Ukraine-Krieg und auch die damit verbundenen Fluchtbewegungen.

Hier stellt Maischberger das jüngst von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht veröffentlichte "Manifest für den Frieden" in den Mittelpunkt der Diskussion und spricht darüber mit einem der Erst-Unterzeichner, dem Journalisten Franz Alt und mit Katrin Göring-Eckardt, die dem Manifest ablehnend gegenübersteht. Die Forderungen des Manifests: Ende der "Eskalation der Waffenlieferungen", sofortige Verhandlungen, wobei gilt: "Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten."

Mit diesen Gästen diskutierte Sandra Maischberger:

  • Urban Priol. Der Kabarettist sagt zur Äußerung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, eine weitere rot-rot-grüne Regierung in Berlin, sei eine "grobe Missachtung der Demokratie": "Ja gut, das ist halt Söder. Nachts haut der immer mal was raus. Man sollte nicht so ernst nehmen, was er von sich gibt", kritisiert Priol Söder und nimmt eine "Empörungskultur" nach der Wahl wahr. Sollte Kai Wegner eine Koalition zustande bekommen, dann solle er regieren, so Priol. "Wenn nicht, dann müssen die anderen gucken, wo es hingeht." Die 28 Prozent Wegners zeigten auch, dass "72 Prozent diese Partei nicht wollten", meint Priol.
  • Kerstin Palzer. Palzer ist Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio. "Ich find’s echt schlimm, was er da sagt", kritisiert Palzer ebenfalls Söders Aussage, zumal es eine solche Situation etwa in Hamburg bereits gegeben habe, nur eben umgekehrt. Die FDP sieht Palzer in einer "vertrackten Situation". Die Partei merke, dass sie mit ihren Themen nicht mehr durchdringe: "Sorry, aber wofür steht die FDP gerade?", fragt Palzer.
  • Paul Ronzheimer. Ronzheimer ist stellvertretender Chefredakteur und Kriegsreporter bei der "Bild" und meint, der Wähler habe klar seinen Willen gezeigt, "dass die SPD in die Opposition geht." Über die Unterzeichner des Manifests von Schwarzer und Wagenknecht sagt Ronzheimer: "Es wäre gut, wenn einige von diesen Menschen mal in die Ukraine fahren, dort mit Menschen sprechen und verstehen, dass wenn wir keine Waffen mehr liefern würden, (…) dass das automatisch bedeuten würde, dass mehr Frauen vergewaltigt werden, dass es mehr Folter gibt, dass Russland diese besetzten Gebiete unter dem Joch hält."
  • Lars Klingbeil (SPD). Klingbeil ist SPD-Parteivorsitzender und natürlich mit dem Ergebnis in Berlin nicht zufrieden. Trotzdem sei es ganz normal in der Demokratie, dass man nun gucke, "wie die Parteien zusammenkommen". Es sei richtig, dass Franziska Giffey hierbei in Verantwortung bleibt. Eine stabile Regierung leite sich nicht aus rechnerischen Mehrheiten ab, sondern aus inhaltlichen Gemeinsamkeiten, erklärt Klingbeil, als Maischberger eine Große Koalition ins Spiel bringt. Gleichzeitig kritisiert Klingbeil die Tonart, in der über die Wahl gesprochen wird und sagt: "Eine Wahl klauen wollte Donald Trump, aber nicht die SPD hier in Berlin." Den Wunsch nach Frieden und Verhandlungen im Manifest von Schwarzer und Wagenknecht will Klingbeil nicht niederreden, er sagt aber auch: "Die, die das einfach so fordern und in den Raum stellen, müssen aber auch sagen, wie man da hinkommt."
  • Franz Alt. Der Journalist war einer der Erstunterzeichner des Manifests von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht. Er will mehr als bisher über Frieden und nicht immer nur über Waffen reden. Alt sei immer dafür gewesen, "dass wir Abwehrwaffen liefern", denn sonst gäbe es die Ukraine heute nicht mehr. Weil diese Menschenleben gerettet haben, müsse er als Pazifist "viel differenzierter denken, als das bisher der Fall war." Dennoch müsse man zusätzlich zu den Waffen "eine Doppelstrategie fahren", etwa bisherige Gesprächskanäle ausbauen. Alt glaubt, "ein Typ wie Putin" würde nur auf Augenhöhe reden, wenn der Westen ihm signalisiert, er habe seine Fehler, die er nach 1990 gegenüber Russland begangen hat, eingesehen.
  • Katrin Göring-Eckardt (Die Grünen). Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages meint auch, dass es zu einem Waffenstillstand kommen müsse, doch erst müsse man eine Situation auf Augenhöhe zwischen der Ukraine und Russland schaffen. Putin werde aber einfach weitermachen, ist Göring-Eckardt überzeugt: "Das, was Putin will, ist imperialistisches Gedankengut." Das werde auch ganz Europa "hart tangieren". Die Grünen-Politikerin kritisiert die "derartig empathielose Sprache" des Manifests, weil dort zwar von Vergewaltigungen gesprochen, aber nicht gesagt werde, wer die Täter sind: "Man muss es doch klar benennen!"

Der Schlagabtausch des Abends:

Der geht an die Diskussion zwischen Katrin Göring-Eckardt und Franz Alt, wobei Schlagabtausch hier wahrscheinlich das falsche Wort ist. Zum einen, weil es doch sehr sachlich ablief, vor allem aber, weil es eine sehr verschobene Diskussion war. Göring-Eckardt und Alt schienen auf zwei verschiedenen Zeitebenen zu diskutieren. Während Alt immer wieder Verweise auf die Fehler des Westens im Umgang mit Russland nach 1990 auffährt und Gorbatschow, Schmidt und Kohl zitiert, diskutiert Göring-Eckardt mit den Realitäten des Jahres 2023. Eine Diskrepanz, die Maischberger immer wieder zu kitten versucht, etwa, als sie zu Alt sagt: "Ich habe einen totalen Respekt vor Ihrer Sicht auf die Vergangenheit, das hilft mir nur jetzt gerade nicht in dieser Situation."

So schlug sich Sandra Maischberger:

Sehr gut. Maischberger konnte zuhören und sprechen lassen, ließ sich aber dennoch nicht das Zepter aus der Hand nehmen. Das wurde besonders deutlich, als Franz Alt in seiner Argumentation immer wieder auf Gorbatschow oder Kohl, kurz, auf die Vergangenheit verwies – was aber der Ukraine beziehungsweise einem Ende des Krieges in der Gegenwart überhaupt nicht hilft.

Ebenfalls auf Maischbergers Habenseite steht, dass sie zwar die Diskussion um Kampfjets anstößt, aber dabei nicht einengt. Statt kleinteilig nur nach roten Linien und Waffengattungen zu fragen, fragt Maischberger, ob Deutschland alle Wünsche der Ukraine erfüllen soll, wenn doch das Land nicht verlieren beziehungsweise gewinnen soll. Leider stellt Maischberger diese Frage in der Runde und nicht im Gespräch mit Lars Klingbeil, als der, wie auch Kanzler Scholz, Kampfjets ausschließt.

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Das Fazit:

Es war insgesamt ein guter Abend, trotz der Schlagseite im Gespräch zwischen Katrin Göring-Eckardt und Franz Alt. Als es um die Wahl in Berlin ging, lohnte sich der Talk bei "maischberger", denn es wurde eine Diskussion aufgegriffen, die eigentlich gar keine ist. Nämlich um die Frage, wer denn nun einen Anspruch hat, eine Regierung zu bilden. Keine Diskussion ist es deshalb, weil es in einer Demokratie beziehungsweise im deutschen Wahlsystem dafür ja klare Spielregeln gibt: Wer eine Regierung hinbekommt, kann regieren.

Insofern liegt Lars Klingbeil bei "maischberger" mit seinen Argumenten zur Regierungsbildung nicht ganz falsch. Spannend ist die Diskussion aber – und wahrscheinlich wird sie deshalb auch gerade geführt – weil es offenbar neben dieser doch recht klaren Angelegenheit noch eine gefühlte Ebene gibt oder zu geben scheint, der Sandra Maischberger mit ihrer Frage Ausdruck verleiht, was denn nun der Anstand zur Frage der Regierungsbildung sagt.

Das ist, auch wenn es vielleicht so aussieht, keine Frage von Politshow-Redaktionen, sondern wird von Parteien, egal welcher Farbe, nach jeder Wahl gestellt – mit flexibler Antwort. Auch das zeigte Sandra Maischberger, indem sie Klingbeil mit verschiedenen Zitaten konfrontiert, darunter eines, in dem er selbst vor gut einem Jahr noch anderer Meinung war, als heute. Nicht umsonst fragt Maischberger deshalb, ob das nun alles "politisches Theater" sei. Eine Frage, die sich in Berlin – und bei allen kommenden Wahlen – Verlierer, aber auch Gewinner stellen sollten.

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