Lässt die Bundesregierung bald auch die Lieferung von Leopard-2-Panzern zu? Diese Frage wird derzeit intensiv diskutiert und so ist es nicht verwunderlich, dass sich auch Maybrit Illner und ihre Gäste am Donnerstagabend damit beschäftigten. Die Antwort darauf fiel erstaunlich klar aus. Doch ein Gast machte darauf aufmerksam, dass es längst um mehr geht, als um die Frage, welche Waffen nun geliefert werden und welche nicht.

Christian Vock
Eine Kritik
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Und er bewegt sich doch: Die Bundesregierung um Kanzler Olaf Scholz will nun doch der Ukraine Marder-Panzer liefern. Doch die Stimmen mehren sich, dem angegriffenen Land auch Kampfpanzer wie den Leopard 2 zu liefern. "Panzerwende in Berlin – wo sind jetzt die roten Linien?", fragt dementsprechend Maybrit Illner am Donnerstagabend ihre Gäste.

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Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner:

  • James G. Stavridis, ehemaliger US-Admiral und früherer Oberbefehlshaber der Nato in Europa (SACEUR)
  • Jessica Rosenthal (SPD), JUSO-Vorsitzende
  • Norbert Röttgen (CDU), ehemaliger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses
  • Nicole Deitelhoff, Direktorin der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
  • Katrin Eigendorf, ZDF-Reporterin in der Ukraine-Experte
  • Matthias Gebauer, Chefreporter des "Spiegel"

Die Themen des Abends:

Es ist wenig überraschend, dass Oppositionspolitiker Norbert Röttgen und Jessica Rosenthal von der regierenden SPD die Umstände der Marder-Lieferungen unterschiedlich einschätzen. Man habe die Ukraine immer und kontinuierlich unterstützt und dazu gehöre auch, dass sie diese Unterstützung der jeweils aktuellen Situation anpasse, findet Rosenthal. Die Maxime, keine Alleingänge zu machen, gelte weiter, was man auch bei der Lieferung der Marder sehe. Röttgen hingegen hält das Argument der Alleingänge für vorgeschoben und meint: "Es hätte viel früher entschieden werden müssen."

Röttgens Glaube, Scholz sei isoliert gewesen und es habe keine Abstimmung in Europa gegeben, will Journalist Gebauer nicht teilen. "Es gab seit kurz vor Weihnachten Gespräche zwischen den USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland." Entscheidend sei aber nicht so sehr die Frage nach Panzern, sondern "die Lage am Boden". Hier würden Experten die Situation so einschätzen, dass etwa durch die neu eingezogenen Rekruten in den nächsten Monaten noch einmal "enormer russischer Druck kommt".

Ähnlich schätzt auch James Stavridis die Lage ein. Die neuen Rekruten seien vielleicht nicht besonders gut ausgebildet, "aber die Quantität wird sich dann selbst in eine Qualität übersetzen." Deshalb seien Panzer, egal welcher Art, "von kritischer Wichtigkeit". Warum sich nun auch die USA für die Lieferung von Panzern entschieden haben, habe drei Gründe: Russland habe sich in der Ukraine immer stärker verfestigt, es gebe immer mehr Kriegsverbrechen und die neue Massen-Mobilmachung für eine neue Offensive. Das habe zu Druck auf Berlin, Washington und Warschau geführt.

Matthias Gebauer glaubt, dass auch Leopard-Panzer nichts Wesentliches an der Front verändern würden. Dennoch würde dadurch "ein Tor aufgestoßen, das weitere Entscheidungen nach sich ziehen wird". Die Ukraine könne also mit mehr Nachschub rechnen, was auch die Moral der Ukrainer stärken könne – insbesondere bei einem weiteren Vorstoß der Russen: "Es geht im Moment nur darum, dass die ihre Linien halten können."

Werden also nach den Mardern auch bald Leopard-Panzer folgen? Hier glaubt Norbert Röttgen: ja. "Ich glaube, es wird so laufen, wie es beim Marder gelaufen ist." Wenn man der Ukraine nicht "das Mögliche" und "das Nötige" gebe, so Röttgen, "dann wird das ein lang andauerndes Blutbad geben". So werde es auch keine politische Lösung geben. Der Druck werde laut Röttgen so groß werden, dass es um das Ramstein-Treffen in der kommenden Woche sehr schnell gehen werde.

Ähnlich sieht es auch Matthias Gebauer, wünscht sich aber gleichzeitig, dass man die Entscheidung bereits jetzt technisch vorbereitet. Dazu gehören Gespräche mit der Industrie und der Bundeswehr über die Verfügbarkeit der Waffen. Dass bei der Marder-Entscheidung technisch nichts vorbereitet gewesen sei, habe Gebauer enttäuscht. Dabei hätten er und seine Kollegen dies bereits im Sommer in ihren Artikeln gefordert, doch "nichts davon ist passiert".

Die militärische Einschätzung des Abends:

James Stavridis hält Panzerlieferungen für den Bodenkampf für besonders wichtig, man dürfe dabei aber nicht den Kampf am Himmel vergessen. "Da ist Putin erfolgreicher, als er es am Boden war." Dafür brauche die Ukraine Patriot-Systeme, aber nicht nur: "Ich denke schon, dass die Ukraine Kampfflugzeuge braucht", sagt Stavridis und sieht dabei zwei Möglichkeiten. Entweder MiG-20-Flugzeuge aus Polen oder F-16-Flugzeuge aus den USA. Die Waffensysteme, die man der Ukraine liefert, seien nicht nur defensiver Natur, sondern ermöglichten auch die Rückgewinnung besetzter Gebiete.

Nicole Deitelhoff sieht bei der Einschätzung der Lage verschiedene Probleme: Man könne nur schwer einschätzen, wie es um die militärische Stärke Russlands stehe, etwa bei der Munition. Gleichzeitig habe etwa die Ukraine einen enormen Munitionsverbrauch. "Die Produktionskapazitäten vieler westlicher Staaten fangen das eigentlich nicht auf. Wir haben da auch bald einen sehr, sehr großen Engpass." Momentan gehe es darum, dass die Ukraine ihre Linien halte kann.

Was die Rückeroberung der besetzten Gebiete anbelangt, ist Stavridis insbesondere bei der Krim pessimistisch, denn auf der Krim gebe es eine starke emotionale Bindung zu Russland. Aber es könne trotzdem Wendungen geben, weshalb man die Ukraine weiter darin unterstützen müsse, eine starke Verhandlungsposition zu erlangen.

Die Aussage des Abends:

Die Motivation beider Seiten versucht Stavridis bildlich darzustellen. Würde sich die ukrainischen Soldaten an der Front umdrehen, würden sie Folgendes sehen: "Ihre eigenen Kinder, sie sehen ihre Familie, sie sehen ihre Eltern, ihre Verwandten, ihre Städte. Diese Menschen dort kämpfen für all das, was ihnen wichtig ist." Würden sich hingegen die russischen Soldaten umdrehen, sähen sie "einen Diktator in Moskau, eine Invasion, die das Völkerrecht gebrochen hat, sie sehen schlechte Generäle und sie sehen eine nicht besonders effektive Logistik".

Die Meinungsverschiedenheit des Abends:

Man müsse sich endlich vom Klein-Klein der Panzer-Frage lösen und ein Kriegsziel formulieren, fordert Katrin Eigendorf mit Blick auf die zukünftige Sicherheitsarchitektur in Europa. Das Ziel könne nicht sein, die Ukraine zur Verteidigung ihres Landes zu befähigen. "Unser Ziel muss doch sein, dieses russische Regime daran zu hindern, weiter in dieser Art und Weise Krieg zu führen. Denn es ist ja nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine. Es ist ein Krieg gegen die westliche Welt." Wenn dies das Ziel des Westens ist, müsse man die Ukraine noch viel beherzter unterstützen.

Maybrit Illner zieht aus Eigendorfs Worten den Schluss, die Ukraine nun zu einem Patt befähigen zu müssen, bei dem beide Seiten mit Waffen nicht mehr weiterkommen, um Verhandlungen mit Russland zu erreichen. Das sieht Norbert Röttgen anders: "Meine Einschätzung ist, dass das Patt beide Seiten in diesen Krieg verstrickt und eine politische Lösung verhindert." Für Putin gebe es keinen Weg zurück aus einem Patt heraus und auch die Ukraine würde dies in einer "Position der Schwäche" zementieren. Daher sieht Röttgen nur eine Alternative: "Das Desaster ist das Patt. Die einzige Alternative, um zu einer Friedenslösung in Europa zu kommen, ist der militärische Erfolg der Ukraine."

Die Verhandlungsbereitschaft von Wladimir Putin schätzt Matthias Gebauer gering ein. Putin habe schon so hohe Verluste erlitten, die kein Kriegsherr akzeptiert hätte. Dabei sei er äußerst brutal vorgegangen, habe sogar die Wagner-Söldner als Kanonenfutter benutzt, um zu sehen, wo ukrainische Stellungen sind. Sein Schluss: "Den Weg zurück, den gibt es so nicht mehr." Ähnlich sieht es Eigendorf. Putin gehe es nur um seinen Machterhalt: "Putin hat keine Rezepte in diesem Krieg und es gibt für ihn auch keinen Ausweg."

Das Fazit:

Es war insgesamt eine doch recht informative Diskussion, was vor allem an der Sachlichkeit der Gesprächspartner lag. Norbert Röttgen garnierte seine Antworten zwar gerne mit einer Kritik an der Bundesregierung, aber zum einen stieg Jessica Rosenthal darauf nur bedingt ein, zum anderen überwog am Ende doch die nüchtern-sachliche Argumentationsweise der anderen Gesprächspartner.

Und so konnte der Zuschauer am Ende doch einige Einschätzungen in der Sache mitnehmen und auch die eigentliche Frage der Sendung, wo denn nun die roten Linien sind, fand so etwas wie eine Antwort: wohl bald jenseits der Leopard-2-Panzer und sie werden weiter wandern.

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