Lars Klingbeil besucht ab Sonntag die afrikanischen Länder Namibia, Südafrika und Ghana. Der globale Süden trete immer selbstbewusster auf, sagt der SPD-Vorsitzende im Interview. Ein Gespräch über schwierige Partnerschaften, unterschiedliche Perspektiven auf Geschichte und Deutschlands Ansehen in der Welt.
Die SPD hat ein weltweites Netz von Schwesterparteien. Es gehört zur Aufgabe des Parteivorsitzenden
Insbesondere in Namibia und Südafrika, wo jeweils die SPD-Partnerpartei regiert, dürfte Klingbeil auf viel Skepsis stoßen. In Namibia sind nicht alle glücklich mit Deutschlands Aufarbeitung seiner kolonialen Verbrechen und Südafrikas Positionen zu den Kriegen in Gaza und der Ukraine stehen diametral zu den deutschen.
Doch vor seiner Abreise nach Afrika muss sich der SPD-Vorsitzende der unmittelbaren Nachbarschaft widmen: Der französische Präsident Emmanuel Macron hat viel diplomatisches Porzellan zerbrochen, als er Anfang der Woche die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine nicht ausschließen wollte. "Das macht Menschen Angst", sagt Klingbeil.
Herr Klingbeil, Sie haben Emmanuel Macron deutlich widersprochen, nachdem er am Montag die Entsendung von westlichen Bodentruppen in die Ukraine nicht ausschließen wollte. Ist es nicht klüger, in einem militärischen Konflikt den Gegner im Unwissen über die eigene Strategie zu lassen?
Wir haben in Deutschland eine große Zustimmung zu unserer Unterstützung für die Ukraine, auch weil
Wir werden der Ukraine das liefern, was sie aktuell am meisten braucht in ihrem Verteidigungskampf gegen Putins Armee: Munition und Flugabwehr. Genau da macht Deutschland gerade enorme Anstrengungen und übernimmt Führung in Europa.
Macron hat aber auch Scholz' zögerliche Haltung bei Waffenlieferungen kritisiert. Viele, die vorher "nie, nie" zu bestimmten Waffen gesagt haben, würden diese heute in die Ukraine liefern, so der französische Präsident. Hat er da einen Punkt?
Der Bundeskanzler überlegt sehr intensiv und handelt besonnen. Und wenn er entschieden hat, dann kann man sich auf ihn verlassen. Das weiß auch der ukrainische Präsident Selenskyj. Übrigens unterstützt Deutschland die Ukraine mit acht Milliarden Euro jährlich, während es bei Frankreich derzeit nicht mal eine Milliarde ist. Ich würde mir wünschen, dass man weniger öffentliche Schein-Debatten führt, sondern sich in allen europäischen Ländern auf das für die Ukraine Wesentliche konzentriert.
Kommunikativ ist diese Unstimmigkeit zwischen Frankreich und Deutschland ein Desaster: Es entsteht der Eindruck, die beiden wichtigsten EU-Länder liegen bei der Ukraine-Frage über Kreuz.
Bei besagtem Treffen am Montag in Paris herrschte eine große Einigkeit unter den europäischen Ländern. Ich hätte mir gewünscht, dass es gar nicht zu dieser öffentlichen Debatte kommt. Die Einigkeit in der EU und in der Nato ist ein starkes Pfund gegen Präsident Putin.
Noch stärker ist bei diesem Thema der Dissens mit Südafrika, das sich den Sanktionen gegen Russland nie angeschlossen hat. Sie reisen kommende Woche in das Land und sprechen mit Vertretern des regierenden ANC, der SPD-Schwesterpartei. Wollen Sie dort für eine größere Unterstützung der Ukraine werben?
Gespräche, die ich in Ländern des globalen Südens führe, sind oft nicht einfach, weil dort ein anderer Blickwinkel auf diesen Krieg herrscht. Dennoch will ich natürlich auch in Südafrika unsere Perspektive deutlich machen und erklären, warum wir so entschieden an der Seite der Ukraine stehen. Das wird eine kontroverse Debatte, aber am Ende ist es auch im Interesse Südafrikas, dass Staaten heute nicht mehr mit Gewalt Grenzen verschieben können. Es ist wichtig, dass wir den Dialog suchen, gerade wenn wir uns nicht in allem einig sind. Während China und Russland in den Ländern des globalen Südens sehr aktiv sind, haben wir als Westen den Dialog vernachlässigt.
Noch schwieriger dürften Ihre Diskussionen über den Krieg in Gaza werden. Südafrika hat vor dem Internationalen Gerichtshof eine Klage gegen Israel auf Grundlage der Völkermordkonvention eingereicht. Die deutsche Regierung hat angekündigt, im Hauptverfahren aufseiten Israels zu intervenieren. Wie wollen Sie das Ihren südafrikanischen Parteigeschwistern erklären?
Am 7. Oktober haben Hamas-Kämpfer Menschen brutal getötet und entführt, einfach nur, weil sie Israelis waren und weil die Terroristen Israel ausrotten wollen. Aufgrund dieser Vorfälle, aber auch wegen der deutschen Geschichte, ist es für mich klar, dass Deutschland an der Seite Israels steht. Trotzdem muss auch die israelische Reaktion verhältnismäßig sein und das Völkerrecht unbedingt wahren. Das muss der Maßstab für Israel sein. Die Zweifel daran sind ja überall zu hören. Ich warne vor einer groß angelegten Offensive in Rafah. Das wäre eine humanitäre Katastrophe mit Ansage. Es braucht jetzt eine nachhaltige Waffenruhe zur Freilassung aller Geiseln und für die humanitäre Versorgung der Flüchtlinge in Gaza. Am Ende müssen eine Verhandlungslösung und der Weg zu einer Zweistaatenlösung stehen, auch wenn der Weg dahin lang erscheint. Da sind wir sehr klar. Mit dieser Position werde ich in Südafrika in die Gespräche gehen.
Was verbindet die SPD bei so vielen Differenzen mit dem ANC überhaupt noch?
Ohne Frage sind in den letzten Jahren die Beziehungen abgekühlt. Aber ich habe es als sehr positives Zeichen wahrgenommen, dass man mich als SPD-Vorsitzender eingeladen hat. Bei allen Differenzen bin ich mir sicher, dass wir auch Gemeinsamkeiten haben: etwa wenn es um die Verteidigung der regelbasierten Ordnung geht, um Fragen der Energie- und Klimapolitik oder bei der Reform der Bretton Woods Institutionen und der Vereinten Nationen.
Eine weitere Station auf Ihrer Afrika-Reise ist Namibia, wo die regierende SWAPO ebenfalls Schwesterpartei der SPD ist. Der vor Kurzem verstorbene namibische Präsident Hage Geingob kritisierte die Haltung Deutschlands im Gaza-Krieg und sagte, das Land sei "unfähig, Lehren aus seiner grausamen Geschichte zu ziehen". Sie begründen Deutschlands Solidarität mit Israel aber ja gerade mit der Geschichte. Kann zwischen diesen Standpunkten noch irgendwie vermittelt werden?
Gespräche sind immer richtig. Ich werde mit einer Perspektive nach Namibia reisen, die von der Geschichte des Unrechts geprägt ist. Unrecht, dass Deutschland mit einem Völkermord an den Herero und Nama zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Namibia begangen hat. Und Unrecht, das Deutschland mit den schrecklichen Verbrechen des Holocaust an Jüdinnen und Juden begangen hat. Den Vorwurf, wir stünden an der Seite Israels, weil wir aus unserer Geschichte nichts gelernt haben, kann ich nicht nachvollziehen. Das Gegenteil ist richtig: Weil wir aus der Geschichte gelernt haben, stehen wir an der Seite Israels.
In Namibia haben viele das Gefühl, dass der Völkermord an den Herero und Nama in deutschen Debatten zu kurz kommt.
Deutschland hat mit Namibia einen Aussöhnungsprozess begonnen, weil wir bereit sind, uns unserer Verantwortung zu stellen. Bei der Trauerfeier des verstorbenen namibischen Präsidenten hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Rede gehalten. Das zeigt die enge Verbundenheit zwischen unseren Ländern. Es gab in den letzten Jahren einen guten Dialog und auch Ergebnisse, wie ein gemeinsamer Aussöhnungsprozess aussehen kann. Diesen Prozess führen nicht viele ehemalige Kolonialmächte so ernsthaft. Deutschland nimmt seine Verantwortung wahr.
Deutschland will 1,1 Milliarden Euro im Rahmen eines "Aussöhnungsabkommen" an Namibia zahlen. Manche Vertreter der Herero und Nama empfinden das Angebot als viel zu niedrig.
Das ist das Ergebnis von Gesprächen mit den politisch Verantwortlichen auf deutscher und namibischer Seite. Ich weiß, dass es auch kritische Stimmen im Land gibt. Deswegen werde ich vor Ort auch die Gruppen treffen, die skeptisch auf den aktuellen Stand des Aussöhnungsprozesses gucken.
Muss Deutschland mehr tun, um seine kolonialen Verbrechen aufzuarbeiten?
Wir tragen eine große Verantwortung. Das betrifft aber den ganzen Westen. Ich habe auf meiner Reise nach Namibia, Südafrika und Ghana viele Programmpunkte, bei denen es darum geht, die Geschichte vor Ort zu verstehen. Wenn wir mit einem selbstbewussten globalen Süden auf Augenhöhe zusammenarbeiten wollen, dann müssen wir auch ihre Geschichte und ihren Blick auf die Welt verstehen lernen.
Derzeit sind aber nicht nur Namibia und Südafrika, sondern weite Teile des globalen Südens von der deutschen Haltung zum Gaza-Krieg irritiert. Verliert Deutschland gerade auf der ganzen Welt Sympathien?
Man kann nicht drum herumreden, dass viele Länder unsere Position kritisch sehen. Übrigens auch in der Europäischen Union. Aber gerade deswegen ist der Dialog wichtig. Deutschland hat meinem Eindruck nach international ein sehr gutes Standing. Die deutsche Politik unter Bundeskanzler Olaf Scholz hat in den letzten zwei Jahren klare Signale an den globalen Süden gesendet, dass wir unsere Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil ausbauen wollen. Wir wollen mehr strategische Partnerschaften in vielen verschiedenen Bereichen eingehen. Dafür müssen wir uns von dem Denken lösen, dass alle so sein wollen wie wir. Im globalen Süden verfolgt man selbstbewusst seine eigenen Interessen.
Was können Deutschland und der sogenannte Westen den Ländern im globalen Süden anbieten, was China und Russland nicht haben?
Wir sind ein verlässlicher Partner. Mit unserem demokratischen System machen wir ein Angebot, das viel nachhaltiger ist als zum Beispiel das von Autokraten wie Putin. Er hat diesen Ländern gegenüber nur harte, eigennützige Interessen. Am Ende lässt er sie skrupellos fallen. Genau das tun wir nicht.
Über unseren Gesprächspartner
- Lars Klingbeil (*1978) ist neben Saskia Esken einer der beiden Bundesvorsitzenden der SPD. Zuvor war der Niedersachse Generalsekretär der Partei, für die er seit 2009 im Bundestag sitzt. Klingbeil gehört dem als konservativ geltenden SPD-Flügel "Seeheimer Kreis" an und beschäftigt sich insbesondere mit Verteidigungs-, Außen- und Netzpolitik.
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