Vize-Kanzler, Ministerpräsident, Bundesminister, Parteichef. Sigmar Gabriel war ein großer Politiker. Heute ist er nur noch einfacher Bundestagsabgeordneter. Tut ihm das gut oder plant er sein Comeback? In den Talkshows wirkt er jedenfalls auffällig locker und souverän.

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Es ist nicht lange her, da zählte er zu den beliebtesten Politikern Deutschlands. Auf der Liste der zehn wichtigsten Politikerinnen und Politiker behauptete er sich noch im Februar dieses Jahres hinter Wolfgang Schäuble und vor Kanzlerin Angela Merkel.

67 Prozent wünschten sich damals sogar, er würde Außenminister bleiben. Die Wähler beschrieben ihn mehrheitlich mit den Begriffen "schlagfertig", "kompetent", "sympathisch" und "hat Visionen für die Zukunft".

Wer im Juli 2017 die Wähler fragte‚ welche Politiker künftig eine wichtige Rolle spielen sollten, erhielt Gabriels Name als vierthäufigste Antwort - seiner Zeit war er der beliebteste SPD-Politiker.

Heute: Zu den Top 10 zählen aus der SPD nur noch Olaf Scholz, Heiko Maas und Andrea Nahles. Der Ex-SPD-Chef steht nicht mehr in der ersten Reihe.

"Habe keinen Arbeitsmangel"

So ganz möchte er das Leben als Politik-Pensionär aber wohl noch nicht annehmen. Bei seinem Auftritt in der Talkshow "Anne Will" Mitte des Monats wirkte er ausgesprochen souverän, abgeklärt und frisch.

Von der "WAZ" wurde sein Auftritt gar als "Solo-Show" bezeichnet. Auch bei Markus Lanz saß er wenige Wochen zuvor braungebrannt und mit aufgeknöpftem Hemd. Sein neues Leben als "einfacher Abgeordneter" scheint ihm gutzutun.

Für Aufsehen hatte Gabriel zuletzt mit einer Äußerung gegenüber dem "Hamburger Abendblatt" gesorgt. Zum Rückzug in die hinteren Reihen der Politik zitierte Gabriel seine Tochter mit einer spitzbübischen Anspielung auf Martin Schulz: "Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast Du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht."

Er selbst sagte der "Berliner Morgenpost": "Ich habe genug um die Ohren und bin ja auch Bundestagsabgeordneter. Es ist nicht so, dass ich Arbeitsmangel habe."

Und auch bei Twitter zeigt Gabriel sich immer noch vielbeschäftigt und kämpferisch: "In den nächsten Wochen und Monaten werde ich in ganz Deutschland unterwegs sein. #Wahlkampf #SPD", schreibt der einstige Vize-Kanzler und Bundesminister.

Außerdem: Ende September hat Gabriel sein Buch "Zeitenwende in der Weltpolitik" herausgebracht, in dem er über mehr Verantwortung in ungewissen Zeiten sinniert.

Auf seiner Website kündigt er dazu an: "Um mit möglichst vielen von Euch über die weltpolitische Lage und den deutschen Kurs in der Außenpolitik zu diskutieren, werde ich in den kommenden Wochen mein Buch in der ganzen Bundesrepublik vorstellen."

Dass er sich nicht mehr in die Politik einmischt, lässt sich derweil bei bestem Willen nicht behaupten. Als "Nahles' Quälgeist" bezeichnete ihn jüngst die "Süddeutsche Zeitung" und schrieb: "Er stiehlt ihr die Show, er ist anderer Meinung, er weiß es besser."

Kurzum: Der frühere Parteichef mache "seiner Nachfolgerin das Leben schwer." Das begnadete politische Talent sei gekränkt, weil Scholz und Nahles ihn aus der Regierung herausgedrängt hätten. Den Streit mit Martin Schulz trug Gabriel öffentlich aus.

Gabriel mischt politisch weiter mit

Gabriel mischt weiter mit: Zum Streit zwischen CDU und CSU meldete er sich ebenso zu Wort wie anlässlich des Koalitionskompromisses zum Wechsel von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen ins Innenministerium.

Gabriel sagte gegenüber der "Zeit": "Wenn Illoyalität und Unfähigkeit im Amt jetzt mit Karrieresprüngen belohnt werden, dann hat Horst Seehofer die Chance, noch UN-Generalsekretär zu werden. Das ist doch irre."

Und als Gast von Anne Will ließ er sich in der Manier eines Politikerklärers über Europa und den Brexit aus: "Man muss den Briten mehr Zeit geben. Verhandeln. Man muss aufhören, die Bevölkerung vorzuführen und den Leuten nicht die Wahrheit zu sagen. Man wagt das wahnsinnige Experiment, Europa in die Luft zu jagen. Unfassbar, was sich Europa da leistet."

Mit Blick auf die Fülle seiner Kommentare zitiert die Süddeutsche gar einen beobachtenden Abgeordneten mit den Worten: "Haben wir schon wieder einen neuen Vorsitzenden?" und die "Bild" fragte nach seinem Auftritt bei Markus Lanz: "Will Sigmar Gabriel noch mal angreifen?"

Sein Online-Terminkalender zeigt jedenfalls neben Landtagswahlkampfterminen eine Reihe an Veranstaltungen mit Ortsvereinen: Vom SPD-Ortsverein in Stendal (Sachsen-Anhalt) über Festreden bei der SPD-Arnsberg (NRW) bis hin zu einem Raffinerie-Besuch in Heide (Schleswig-Holstein). In Goslar wurde er erst kürzlich zum Ehrenbürger gekürt.

Wechsel in die Wirtschaft

Doch die Politik ist nicht mehr sein einziges Metier. Anfang kommenden Jahres zieht es Gabriel in die Wirtschaft.

Nach Ablauf der vorgeschriebenen Karenzzeit von mindestens einem Jahr nach Ausscheiden aus seinem Regierungsamt wird Gabriel in den Verwaltungsrat des neuen deutsch-französischen Zugherstellers "Siemens Alstom" einziehen.

Die Vergütung des Postens wird in Industriekreisen auf 55.000 bis 60.000 Euro pro Jahr geschätzt, sein Bundestagsmandat wird er derweil behalten.

Für den Wechsel in die Wirtschaft, den auch Parteikollege Schröder wagte, erntete Gabriel Kritik, denn: Als Wirtschaftsminister hatte er das Fusionsprojekt beider Konzerne unterstützt.

Auch in universitäre Gefilde bewegt sich der Ex-Minister: Nach einem Lehrauftrag im vergangenen Sommersemester an der Universität Bonn zieht es ihn nun nach Amerika.

Im Herbst wird der Ex-SPD-Vize aus dem Harz auf Einladung der amerikanischen Elite-Universität Harvard in den USA lehren.

Dort wird Gabriel nicht nur Vorträge halten und mit Studenten, Wissenschaftlern und Politikern diskutieren, sondern auch an der Harvard-Konferenz "The Summit on the Future of Europe" – einem Gipfel zur Zukunft Europas – teilnehmen.

In einer Mitteilung seitens der Universität wird Gabriel mit folgenden Worten zitiert: "Nachdem ich den Großteil meines Berufslebens im öffentlichen Dienst verbracht habe, ist es nun ein Privileg für mich, Kontakt zu der dynamischen intellektuellen Umgebung des Zentrums für Europäische Studien zu knüpfen."

Zukunft der SPD bewegt ihn

Dass ihn, der die SPD 2009 nach ihrem Absturz wieder aufrichtete, die Zukunft der Sozialdemokratie weiterhin in besonderem Maße bewegt, ist zu erwarten.

Mit der "Berliner Morgenpost" sprach er über die Reform der SPD, welche sich nicht "in liberalen und in Teilen Eliten-bezogenen Diskursen" erschöpfen dürfe. Gabriel warnte: "Sonst ergeht es uns so wie den Demokraten in den USA. Wer sich um den Arbeiter im Rust Belt nicht kümmert, den wird der Hipster in Kalifornien auch nicht retten."

In diesem Zusammenhang biete die Digitalisierung Beschäftigten neue Freiheitsspielräume.

Auch bei Markus Lanz zeigte sich Gabriel nachdenklich in Bezug auf die mehrfachen GroKo-Krisen innerhalb weniger Wochen.

Und wie gefällt Gabriel sein "neues" Leben? Gegenüber der "Berliner Morgenpost" sagte er: "Es ist neu und anders. Und es macht Spaß." Nach abgeschlossenen Lebensabschnitten müsse man sich neu orientieren und nicht ständig über die Vergangenheit nachdenken.

Wer weiß, vielleicht entdeckt Gabriel auch alte Leidenschaften wieder? Nach dem Ausscheiden aus dem Amt des Ministerpräsidenten von 2003 bis 2005 übernahm er das neugeschaffene Amt des Beauftragten für Popkultur und Popdiskurs der SPD, was ihm den Spitznamen Siggi Pop einbrachte. Und auch Sänger feiern ja häufig Comebacks...

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