Die FDP kämpft ums Überleben: Der Wiedereinzug in den Bundestag ist akut gefährdet. Zwei Wochen vor der Wahl treffen sich die Liberalen in Potsdam zum Parteitag – und scharen sich um Christian Lindner. Mal wieder hängt alles am Parteichef.
"Es wird keine Koalition der Freien Demokraten ohne eine Aktienrente geben", ruft Franziska Brandmann, Vorsitzende der FDP-nahen Jugendorganisation Junge Liberale (Julis), am Sonntagmorgen vor der Kulisse der Potsdamer Medienstadt Babelsberg. Dort haben die Liberalen zum Außerordentlichen Parteitag geladen.
Die Julis haben für ihre traditionelle Aktion vor der Veranstaltungshalle ein drei Mal drei Meter großes Banner auf dem Boden ausgelegt. "Das Rentenloch", erklärt Brandmann. Sie hat eine gelbe Warnweste und einen gleichfarbigen Baustellen-Helm auf. Ihre "tragfähige Lösung", um das Loch zu überbrücken? Die Aktienrente – heute in Form eines gelben Holzbrettes, das die Julis über das symbolische Loch legen.
Die Stoßrichtung vor dem Parteitag der Liberalen ist klar: An der FDP führt kein Weg vorbei – auch wenn die Umfragen derzeit wenig Hoffnung machen. Da steht die Partei konstant bei vier Prozent. Die Aktienrente soll trotzdem Koalitionsbedingung bleiben. So hat es die Partei am Sonntag in Potsdam auch offiziell beschlossen.
Von Ampel-Frust und miesen Umfragewerten wollen sich die Freien Demokraten nicht einschüchtern lassen. Für sie ist klar: Sie ziehen wieder in den Bundestag ein und regieren im besten Fall auch mit. Oder wie es Parteichef
Die FDP inszeniert sich im Wahlkampfendspurt als "das Bollwerk gegen Schwarz-Grün" (O-Ton Partei-Vize
Bundestagswahl: FDP schließt Koalition mit Grünen aus
In seiner Rede arbeitet sich Parteichef Lindner immer wieder an Wirtschaftsminister
Ob in der Wirtschaftspolitik oder bei der Migration: Lindner sieht in den Grünen und ihrem Spitzenmann das größte Hindernis für einen Politikwechsel. Die Koalitionsabsage ist aus freidemokratischer Sicht also notwendig, ja geradezu zwingend. Lindner begründet sie "mit den Erfahrungen der Ampel und der letzten Wochen". Was der FDP-Chef in seiner Rede auslässt: Auch in der liberalen Bundestagsfraktion stimmte ein knappes Viertel der Abgeordneten nicht mit Union und AfD im Bundestag für schärfere Migrationsregeln. Das Zustrombegrenzungsgesetz scheiterte.
Lindner geht darüber hinweg, er nutzt seine Redezeit lieber, um gegen SPD und Grüne auszuteilen. Aber auch die Union und ihr Kanzlerkandidat
Das kommt hier gut an. Immer wieder halten die Delegierten Schilder mit der Aufschrift "Alles lässt sich ändern" hoch. Der Parteichef ist ein begnadeter Rhetoriker, auch wenn er inhaltlich nicht viel Neues sagt. Niedrige Steuern, weniger Bürokratie, mehr Realismus in der Migrationspolitik: Es sind liberale Klassiker, die Lindner abspielt.
Für den Parteichef selbst steht viel auf dem Spiel: Er hat die Liberalen einst aus der außerparlamentarischen Opposition zurück in den Bundestag geführt. Für Lindner geht es auch um sein politisches Lebenswerk. Scheitern die Liberalen, scheitert auch er. Der Parteitag in Potsdam soll die Trendwende in den Umfragen einleiten. Es ist womöglich Lindners letzte Chance.
Lindner ist der beste Wahlkämpfer der FDP
Der FDP-Chef spricht frei, er weiß, wie er sein Publikum begeistert. Lindner ist der beste Wahlkämpfer, den die FDP hat. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass der Oberliberale trotz zahlreicher verlorener Landtagswahlen, Ampel-Aus, und konstant schlechter Umfragewerte unangefochten ist. Die FDP schart sich in Potsdam um Christian Lindner, weil alles an ihm hängt. Lindners Schlagfertigkeit, seine Pointen, sein Elan im Wahlkampf entscheiden über die Zukunft der FDP.
Die scharfe Abgrenzung zu den Grünen soll liberale Wähler mobilisieren – und die FDP irgendwie über die Fünf-Prozent-Hürde hieven. Dem Vorschlag ist seine Partei nun gefolgt – per Akklamation; ergo rund 30 Sekunden Standing Ovations. Die Liberalen setzen also voll auf Schwarz-Gelb. Oder, zur Not, auf eine Deutschland-Koalition mit Union und SPD.
Partei-Vize Johannes Vogel sagt auf Anfrage unserer Redaktion: Die Union werde die stärkste Kraft, offen sei aber, mit wem sie regiert und welchen Kurs das Land nimmt. "Wer Union wählt und Schwarz-Grün bekommt, der wird sich schwarz ärgern." Wenn die FDP in den Bundestag einzieht, würden die Chancen für Schwarz-Grün schwinden, ist Vogel überzeugt.
"Man muss sich nicht lieben, um eine Bundesregierung gemeinsam zu begründen. Wenn ich Friedrich Merz lieben würde, wäre ich in der CDU."
Gelbe Attacken in Richtung CDU und CSU
Schwarz-Gelb nach der Wahl ist allerdings rechnerisch unwahrscheinlich. Das wissen auch die Liberalen. Und so verwundert es nicht, dass kritische Töne in Richtung der Union zu hören sind. Juli-Chefin Franziska Brandmann macht es deutlich: "Arrogant und kurzsichtig" sei die Aussage von Merz, der kürzlich der Funke-Mediengruppe sagte: "Vier Prozent für die FDP sind vier Prozent zu viel."
Um Leihstimmen bei CDU und CSU wollen die Liberalen nicht betteln. Sie setzen auf die große Anzahl unentschlossener Wähler. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt die Jungliberale Brandmann: "Es kann immer noch für Schwarz-Gelb reichen, für eine Deutschland-Koalition sowieso." Natürlich wolle sie am liebsten mitregieren mit ihrer Partei. "Aber es hat auch einen Mehrwert, wenn die FDP in der Opposition sitzt. So oder so: Wir müssen wieder in den Bundestag."
Mit Kritik an Friedrich Merz spart die Juli-Chefin aber nicht. "Man muss sich nicht lieben, um eine Bundesregierung gemeinsam zu begründen", findet Brandmann. "Wenn ich Friedrich Merz lieben würde, wäre ich in der CDU. Aber ich bin in der FDP. Im Wahlkampf kämpft jeder für die Inhalte, die er wichtig findet."
Alle Augen der Liberalen richten sich einmal mehr auf Christian Lindner.
Verwendete Quellen
- Besuch des Außerordentlichen Parteitags der FDP in Potsdam
- Gespräch mit Franziska Brandmann
- Schriftliches Statement von Johannes Vogel
![JTI zertifiziert](https://s.uicdn.com/uimag/7.5711.0/assets/_sn_/module_assets/article/jti-z-light.png)
![JTI zertifiziert](https://s.uicdn.com/uimag/7.5711.0/assets/_sn_/module_assets/article/jti-z-dark.png)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.