Die drei Landtagswahlen im Saarland, Schleswig-Holstein und NRW haben die politische Landkarte der Republik neu geschrieben. Die überraschend heftigen Wahlniederlagen von SPD und FDP im Norden und Westen erschüttern das Machtgefüge der Ampelregierung. Die politischen Nachbeben werden kommen. Fünf Dinge sind zu diagnostizieren:

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Erstens ist die Ampelregierung schon nach einem Halbjahr ziemlich angeschlagen. Normalerweise kann in großen Krisen die jeweilige Regierungspartei Wähler für sich mobilisieren. Da das nun in eklatanter Dimension nicht der Fall ist, dürfte Volkes Stimmung gegen die Berliner Regierung gekippt sein. Eine NRW-Wahl ist immer auch eine kleine Bundestagswahl, und wenn die Regierenden in Berlin eine derartige Quittung bekommen, dann bedeutet das ein miserables Zwischenzeugnis für das erste Halbjahr der neuen Koalition.

Plötzlich fühlt sich die Ampel nur noch wie ein zugiger Umsteigebahnhof der Berliner Republik an. Zu viel Streit, zu unklare Linien, zu schwaches oder gar skandalbelastetes Ministerpersonal – von der Familien- bis zur Verteidigungsministerin. Für Scholz und seine Ampelkoalition wird es aber auch deshalb ungemütlich, weil der linke SPD-Flügel dem Kanzler nach den Wahlniederlagen nicht mehr so willfährig folgen wird. Insbesondere rund um die Aufrüstungsfrage brechen tiefe Gräben bei den Sozialdemokraten auf.

Zweitens formiert sich mit Schwarz-Grün eine neue Siegerkoalition. In Schleswig-Holstein hätte sie eine Mehrheit, in NRW auch. Wenn Schwarz-Grün aber im größten Bundesland wirklich kommt, dann wirkt das auf Berlin wie eine Blaupause für die Zukunft. Die SPD wirkt irgendwie überspannt und gestrig, sie regiert von den letzten 24 Jahren bereits 20 Jahre mit. Die FDP hat Probleme mit ihrer Profilbildung. Daher wirken Union und Grüne derzeit wie das kraftvollere Pärchen mit Zukunftsoptionen.

Drittens gerät in der SPD jetzt nicht nur die schwer angeschlagene Verteidigungsministerin unter zusätzlichen Druck. Vor allem auf den Kanzler selbst wirkt diese Niederlage wie eine Abrissbirne staatsmännischer Fassaden. Plötzlich wird auch aus der SPD heraus seine hermetische Kommunikation, sein emotionsbefreites Zaudern und seine zeitlupenhafte Unentschiedenheit offen kritisiert. Mit Robert Habeck, Annalena Baerbock und Friedrich Merz profilieren sich gleich drei Spitzenpolitiker als gefühlte Ersatzkanzler – weil alle drei verkörpern, was Scholz fehlt: Entschiedenheit und klare Kommunikation.

Viertens hat die FDP ein Profilierungsproblem. Sie ist durch die drei Wahlgänge besonders verwundet worden. Anders als bei der SPD redet der FDP-Vorsitzende Christian Lindner an dem Drama auch nichts schön. Das sei eine „desaströse Niederlage“. Mancher in Berlin unkt bereits, die Liberalen würden nun wie angeschossenes Wild umhertaumeln und die Koalition unkontrolliert destabilisieren. Das dürfte nicht passieren, dafür ist Christian Lindner zu sehr auf „staatspolitische Verantwortung“ konzentriert.

Allerdings wird Lindner fortan Profil zeigen müssen – und also ein deutlich ungemütlicherer Regierungspartner werden. Bislang war Lindner wie ein seelenruhiger Gruppentherapeut darauf bedacht, die wilden Gemütsschwankungen der Ampel zu beschwichtigen und das bunte Muskelspiel mit dicken Spendierhosen zusammenzuhalten. Während Habeck und Baerbock lautstark ihr Profil auslebten, setzte Lindner auf Scheckbuch, Kompromiss und Verschwiegenheit. Ausgerechnet er, der lustvolle Klartexter, war im ersten Halbjahr der Om-tönende Yoga-Mediator der Ampel. Seine jetzige Offenbarung („Die Ampelkoalition war nie unser Wunschtraum“) kann man daher wie eine Ankündigung lesen, dass es mit der ausgleichenden Gangart jetzt vorbei sein wird.

Fünftens ist die CDU wieder da. Vor einem halben Jahr wirkte die Union gedemütigt und ausgebrannt, in den Umfragen war sie sogar unter die Marke von 20 Prozent abgerutscht. Friedrich Merz wurde nach dem Bundestagswahldebakel als Notarzt-Vorsitzender alarmiert und die Zweifel waren groß, ob die CDU überhaupt reanimierbar sei. Inzwischen erholt sich die Union in den Umfragen immer weiter, sie liegt wieder bei 25 bis 27 Prozent und hat die SPD klar überholt. Die deutlichen Wahlsiege im Norden und Westen geben der Republik nun das klare Signal, dass die CDU zu alter Kraft zurückfindet.

Mit Wüst und Günter sind zugleich zwei Politiker der neuen, konzilianten CDU-Generation am Werk, womit klar wird, dass Merz auch Teamplay kann. Er positioniert sich als Ersatzkanzler, hält freundliche Beziehungen zu den Grünen und signalisiert, dass er jederzeit den Regierungswechsel von der Ampel zur Jamaika-Koalition vollziehen könnte.

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