• Antony Blinken soll neuer US-Außenminister werden.
  • Der jüdische High-Society-Sprössling gilt als Intellektueller und ist für Joe Biden kein Unbekannter.
  • Als erfahrener Außenpolitiker steht er für eine Rückkehr zu Allianztreue, Diplomatie und Multilateralismus.
Eine Kolumne
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Antony John Blinkens Leben könnte "einem jüdischen High-Society-Drehbuch" entstammen, urteilt die "Washington Post". Das stimmt.

Sein Vater Donald Blinken war eine Großgestalt der New Yorker Gesellschaft, Gründer und Direktor der New Yorker Investmentbank Warburg Pincus & Company, ein Riese des Risikokapitals, der seine Karriere 1994-1998 als US-Botschafter in Ungarn ausklingen ließ.

Seine Mutter war eine glamouröse Kunstmäzenin, die nach der Scheidung mit ihrem Sohn nach Paris auswanderte und dort Samuel Pisar heiratete. Pisar überlebte Majdanek und Dachau, entkam den Gaskammern in Auschwitz und wurde ein globaler Staranwalt für Prominente.

Antony Blinken: Jugend in der Pariser Bohème

Der junge Antony Blinken wuchs in eine schillernde, internationale Welt jüdischer Prominenz, Künstler und Intellektueller hinein. Er spielte in einer Pariser Jazzband, debattierte mit Valéry Giscard d'Estaing und alberte mit Leonard Bernstein, John Lennon oder Mark Rothko, während seine Mitschüler Hausaufgaben machten oder Fußball spielten.

Als Jugendlicher in Paris nimmt ihn seine Mutter - damals Vorsitzende des American Center for Students and Artists - auf jede Vernissage und Ausstellung mit. Der Künstler Christo (von Blinkens Stiefvater Pisar anwaltlich vertreten) erinnert sich, als er in Paris die Pont Neuf verpackt, an Blinken als einen "ganz feinen, anspruchsvollen und neugierigen" jungen Mann. Diese drei Attribute werden ihm auch in seiner politischen Karriere zeitlebens zugeschrieben.

Mit Antony Blinken (Jahrgang 1962) bekommen die USA einen neuen, außergewöhnlich feinsinnigen Außenminister - das personifizierte Gegenbild zur ruppigen, humorlosen Dampframmenkultur Donald Trumps oder Mike Pompeos. Mit der Berufung Blinkens gibt der designierte neue Präsident Joe Biden der Weltöffentlichkeit ein klares Signal neuer Konzilianz und Kooperationswilligkeit.

Die USA sollen wieder in der Rolle als Ordnungsmacht

Als bekennender Multilateralist kritisiert Blinken den Umgang Trumps mit seinen westlichen Verbündeten. Kurz vor der Wahl hat er die Grundprämisse einer Außenpolitik unter Biden bestimmt: "Ob wir es mögen oder nicht: Die Welt ordnet sich nicht von allein." Nach vier Jahren des Rückzugs wolle Amerika wieder seine alte Rolle als Ordnungsmacht übernehmen. Wenn Washington nämlich nicht führe, führten entweder andere oder aber es entstehe ein Vakuum. Den amerikanischen Interessen diene das jedenfalls nicht.

"Einfach ausgedrückt, die großen Probleme, denen wir als Land und als Planet gegenüberstehen, ob es der Klimawandel ist, ob es eine Pandemie ist, ob es die Verbreitung schlechter Waffen ist - nichts davon hat unilaterale Lösungen", verkündet Blinken. "Sogar ein so mächtiges Land wie die Vereinigten Staaten kann damit nicht alleine fertig werden." Blinken betont, dass die Vereinigten Staaten von Amerika wieder deutlich machen werden, mit wem man verbündet ist und mit wem nicht: "Unsere Freunde wissen, dass Joe Biden weiß, wer sie sind. Unsere Gegner wissen das auch. Diesen Unterschied würde man am ersten Tag spüren."

Blinken weiß genau, wovon er redet. Denn nach seiner schillernden Jugend-Sozialisation in der Bohème hat er die harte Juristenschule der Harvard University und Columbia Law School absolviert und sich früh außenpolitisch konzentriert. Schon mit seiner Harvard-Abschlussarbeit widmet er sich dem Problem sowjetischer Gaspipelines in Beziehung zu den europäischen Verbündeten. Kaum einer dürfte sich im Streit um Nord Stream besser auskennen als er.

Der Jurist stieß zu Biden, nachdem er in den Clinton-Jahren in unterschiedlichen Funktionen im Nationalen Sicherheitsrat gearbeitet hatte. Als George W. Bush 2001 ins Weiße Haus einzog, wechselte Blinken als Stabschef in den Auswärtigen Ausschuss im Senat, dessen Vorsitzender Biden war. Biden und Blinken sind seitdem ein unzertrennliches Gespann. Beide wechselten nach der Wahl Barack Obamas ins Weiße Haus.

In der ersten Amtszeit Obamas diente er dem Vizepräsidenten als Sicherheitsberater und war vor allem mit Afghanistan, Pakistan und Iran befasst. In Obamas zweiter Amtszeit wechselte er in den West Wing und wurde stellvertretender Sicherheitsberater des Präsidenten. Im legendären Foto während der Razzia auf Osama bin Ladens Anwesen sieht man ihn wie den Strippenzieher der Aktion im Hintergrund. Der Krieg in Syrien und der Ukraine-Konflikt bestimmte dann seine Agenda. 2015 wechselte er ins State Department, wo er John Kerrys Stellvertreter wurde.

Antony Blinken soll offenbar Joe Bidens Außenminister werden

Der gewählte US-Präsident Joe Biden stellt sein Kabinett zusammen. Außenminister könnte nach Angaben von US-Medien Antony Blinken werden. Der 58-Jährige war bereits Nationaler Sicherheitsberater.

Antony Blinken liebt französische Filme und irische Lieder

Blinken ist auf alle außenpolitischen Gemengelagen perfekt vorbereitet und wird vom ersten Tag an handlungsfähig sein. In sicherheitspolitischen Kreisen hat er den Ruf eines ideologiefreien Brückenbauers.

Er hat einen ausgeprägten Sinn für Sprache und Sprachwitz. So eröffnete er einmal ein Treffen des Weißen Hauses zur Arktis-Politik mit den Worten: "Bevor ich dieses Thema weiter vertiefe, müssen wir das Eis brechen".

Insbesondere in Europa freut man sich über seine Berufung, denn Blinken ist tief von europäischer Kultur und Diplomatie geprägt. Französische Filme haben es ihm ebenso angetan wie britische Musik. Er hat in Paris Abitur gemacht und schlich sich schon mal aus der Wohnung seiner Familie am Avenue Foch-Platz an den Nachbarn Arthur Rubinstein (Pianist) und Grace von Monaco (Prinzessin) vorbei, um ein Konzert der Rolling Stones zu sehen. In Paris organisierte Blinken ein Kurzfilmfestival, und er kennt Künstler und Intellektuelle.

So kann sich Frankreich eine besondere Zuneigung vom neuen Außenminister erwarten. Irland aber auch. Denn nicht nur der neue US-Präsident ist stolz auf seine irisch-katholische Herkunft. Auch die Frau des neuen Außenministers ist es.

Antony Blinken ist mit Evan Ryan verheiratet, einer ehemaligen Assistentin Hillary Clintons, die heute im Außenministerium arbeitet. Und wenn Blinken zuweilen seine Gitarre hervorkramt, um mit dem Ex-Pressesprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, und anderen Kumpels aus Washington zu jammen, dürfen neben Blues- und Beatles-Songs irische und französische Lieder nicht fehlen. Die transatlantischen Töne dürfen deutlich harmonischer werden.

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