Frankfurter Buchmesse: Es gibt viel, über das die unabhängigen Verlage klagen könnten, in Frankfurt aber wollen sie feiern, dass es sie gibt. Unter dem Motto "Wir tanzen aus der Reihe" laden sie am Buchmessen-Donnerstag zum Drink ein.

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Auf der Fahrt zur Eröffnung der Buchmesse hat Katharina Meyer am Dienstagnachmittag im Radio gehört, dass die tägliche Lesezeit der Deutschen um fünf Minuten gesunken ist. Für die Vorstandsvorsitzende der Kurt Wolff Stiftung, in der sich zahlreiche unabhängige Verlage zusammengeschlossen haben, ist das keine Überraschung.

Die Verlegerin des Merlin Verlags und Chefin von Little Tiger erlebt seit Jahren, was sich am Leseverhalten der Deutschen ändert. "Unser Verlag ist in Familienhand und schließt demnächst sein 67. Jahr ab. Vor 30 Jahren haben Bildungsbürger diese Bücher gekauft. Das tun sie jetzt nicht mehr. Davon haben wir aber alle gelebt."

Dem langsamen Zerbrechen der bürgerlichen Lesekultur, die dazu führe, dass Schüler die Grundschule ohne gesicherte Lesefähigkeiten verließen, müsse die Politik etwas entgegensetzen: "Das ist eine bildungspolitische Angelegenheit."

Sparpläne in der Literaturförderung

Zurückgehende Buchkäuferzahlen, hohe Produktionskosten, drohende Kürzungen in der Kulturförderung – es gibt viel, über das die unabhängigen Verlage klagen könnten. Aber da die Buchbranche stolz ist auf ihre Resilienz, feiern mehr als 50 Verlage am Donnerstag von 17 Uhr an unter dem Motto "Wir tanzen aus der Reihe" in Halle 3.1 gemeinsam mit Kollegen und Besuchern.

Beim Verlag Antje Kunstmann soll es Schlappeseppel-Bier geben, der Ulrike Helmer Verlag schenkt Sekt aus, auch alkoholfreien, und stellt Knabberzeug hin. Beide Verlage haben sich in diesem Jahr einen Messestand in Frankfurt geleistet. Das ist nicht mehr bei allen Verlagen der Fall. Auch Meyer hat keinen mehr.

Vor Kurzem hat sie in der F.A.Z. auf die Probleme der unabhängigen Verlage aufmerksam gemacht und für die Einführung der strukturellen Verlagsförderung plädiert, deren Prüfung sich die Parteien der Ampel vorgenommen hatten. Stattdessen machte Berlin mit Sparplänen in der Literaturförderung von sich reden, die zum Haushalt von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Die Grünen) gehört, wofür die Politikerin sich auf der Eröffnungsfeier der Bücherschau zu rechtfertigen hatte.

Keine Rede von struktureller Verlagsförderung

Wie Roth hält Meyer es für möglich, dass in der parlamentarischen Abstimmung noch etwas zu retten sein könnte: "Dass Frau Roth noch einmal betont hat, sie wisse sehr genau, wie die Lage ist, finde ich ermutigend."

Von struktureller Verlagsförderung allerdings war auf der Feier keine Rede mehr. "Auch das habe ich zur Kenntnis genommen", sagt Meyer: "Dass die wirtschaftliche Situation schwierig ist, wissen wir." Bei den Verlagen, so meint man herauszuhören, ist das erst recht bekannt.

"Aber für mich ist nicht klar, warum das nicht realisiert wird. Obwohl doch offenbar allen drei Parteien der Bundesregierung klar war, dass man das prüfen möchte und es sogar in den Koalitionsvertrag aufnahm. Das Thema scheint unbequem zu sein. Und das verstehe ich nicht."

Abwägen von Kosten und Nutzen

Mit der Lage, wie sie ist, haben auf der Buchmesse derweil die Aussteller umzugehen. "Es wäre schön, wenn man einen Stand haben könnte, ohne sich in Schulden stürzen zu müssen", sagt Myriam Halberstam, Verlegerin des Berliner Ariella Verlags. Sie verzichtet seit der Corona-Pandemie auf einen Messestand in Frankfurt. In Leipzig, wo die Messe selbst der Veranstalter der Buchmesse ist und den Ausstellern deshalb bei den Standkosten entgegenkommen kann, hat sie sich 2023 wieder einen geleistet.

Wenn sie die Frankfurter Buchmesse besucht, wohnt die in Wiesbaden aufgewachsene Halberstam bei ihrer Mutter im Taunus und pendelt von dort aus drei Tage lang in die Messehallen. Denn das muss sein: "Es ist wichtig, sich vernetzen zu können." Aber nicht jeder hat Verwandte in der Gegend. Meyer ist froh darüber, durch ihr Ehrenamt im Stiftungsvorsitz eine "Homebase" am Stand der Kurt Wolff Stiftung zu haben – und in den Unterschrank der Sitzbank ihre Sachen einschließen zu können.

Man muss rechnen. Und Kosten und Nutzen gegeneinander abwägen. Dabei kommt jedes Unternehmen zu anderen Ergebnissen. Kristine Listau vom Berliner Verbrecher Verlag hat auf der Messe viele Termine. Sie trifft Kollegen aus Paris und Slowenien sowie von deutschen Verlagen, mit denen sie über Taschenbuchlizenzen spricht, vor allem aber Veranstalter: "Das ist wichtig für die Autoren." Sowie für Blogger, mit denen man sich in Frankfurt ebenfalls verabreden kann.

All das spricht für einen Messestand, auch wenn der Verlag die Standkosten, anders als in Leipzig mit seinen vier Besuchertagen, nicht durch den Buchverkauf wieder einnimmt. Noch etwas anderes kommt für Listau hinzu: "Wo ist man heutzutage noch live sichtbar?" Man treffe sich viel zu sehr in den sozialen Medien.

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Der Verlag reist mit vier Personen an, damit der Stand jederzeit besetzt ist, die Mitarbeiter aber auch ausschwärmen können, zu den Kollegen der Kurt Wolff Verlage zum Beispiel. "Wir geben uns gegenseitig Tipps." Auch dafür sei die Messe wichtig: "Damit man nicht nur alleine vor sich hinarbeitet." Am Verbrecher-Stand gibt es am Donnerstagnachmittag Crémant und mehr: "Wir haben sogar einen Wein, der Lesestoff heißt."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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