70 Jahre Schlosshotel Kronberg: Vor 70 Jahren fängt ein Zimmermädchen im hessischen Schlosshotel Kronberg an.

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Heute macht ein junger Mann dort seine Ausbildung. Die Arbeit im Grandhotel prägt beide für das Leben.

Es war 1954, sie kam aus dem Odenwald, aus dem Dorf Beerfurth, "wo auch die Odenwälder Lebkuchen herkommen". So sagt es Margarethe Schulze-Albermann, die vor 70 Jahren alle Gretel Schulze nannten, in einem Sessel im Foyer ihres Wohnstifts. Sie stieg in einen Zug nach Kronberg. Das Ziel war das Schlosshotel hoch über dem Taunusstädtchen. Einen Bus vom Bahnhof im Tal nach oben zum Hotel gab es nicht. Gretel nahm ein Taxi.

Sie war 20 Jahre jung, noch nicht volljährig, aber sie konnte einiges vorweisen. Die Lehre als Hauswirtschafterin auf einem Gutshof im Odenwald. Den Abschluss als Hotelfachfrau im Traditionshotel Zur Traube in Darmstadt. Berufserfahrung als Saaltochter, also Serviererin, in Bad Mergentheim an der Tauber. Und jetzt die Zusage für eine Stelle als Zimmermädchen im neuen Schlosshotel, das in den Mauern des Witwensitzes von Victoria Kaiserin Friedrich eröffnen sollte. Gretel hatte sich auf eine Anzeige in der Hotelfachzeitung beworben. Persönlich vorstellen musste sie sich im Taunus nicht. Den Arbeitsplatz sah sie zum ersten Mal, als sie den Dienst antrat.

Es war 2022, und Viktor Pahlke, damals 16 Jahre alt, wollte nach der Mittleren Reife in die Luxushotellerie. So sagt er es auf einem Sofa in der Eingangshalle des Schlosshotels. Pahlke, inzwischen 19, arbeitet als Auszubildender zum Hotelfachmann in dem Fünfsternehaus der Unternehmensgruppe Prinz von Hessen, also den Erben Victorias – 70 Jahre nachdem Gretel Schulze dort die Betten für die ersten Gäste bezogen hat. Als Viktor noch in Erlangen bei den Eltern wohnte, wo der Vater als Koch in einem Restaurant arbeitet, machte er Praktika in Grandhotels am Tegernsee, in Baden-Baden und Österreich. Das Kronberger Schlosshotel schaute er sich ebenfalls an. "Hier hat es mich total gecatcht."

Wohnen im Schlossturm

Ähnlich ging es Gretel, als sie am Pförtnerhäuschen aus dem Taxi stieg und durch den Park hinauf zu dem Gebäude im Stil eines englischen Landhauses lief. Sogar einen Golfplatz gab es. "Ich habe das gar nicht glauben können", sagt die 90 Jahre alte Frau im Kronberger Altkönigstift. Weißes, welliges Haar rahmt das runde Gesicht, zu Blazer und Stoffhose trägt sie schwarze Sneakers. "Dass man in dem schönen Interieur arbeiten darf – und dann noch in einem Turm wohnen."

Das Turmzimmer T6 teilte sie mit zwei Kolleginnen, an jedem Fenster stand ein Bett. In der Seniorenwohnanlage breitet Schulze-Albermann Fotos auf dem Tisch aus. Eins zeigt drei Frauen mit Hauben im Haar. Jede Woche bekamen die Zimmermädchen eine frische. Die Schürzen kauften sie selbst. Darunter mussten sie etwas Dunkles tragen.

Mit dem Zeigefinger tippt sie auf Manja, die Älteste. "Sie war schon Mitte 40, Anfang 50." Dann Else. "Die kam aus der DDR." Hinter den beiden anderen steht sie selbst: Margarethe. Konzentriert schaut sie und ernst, wie auch die meiste Zeit an diesem Tag im Stift. "Ich war die Jüngste von allen."

Ein Patissier habe die Bilder aufgenommen. "Es war für jeden etwas Besonderes, im Schloss zu arbeiten." Dabei seien sie doch kleine Angestellte gewesen. "Wir mussten viel arbeiten und wurden auch nicht so toll bezahlt." Ungefähr 60 Deutsche Mark habe sie im Monat bekommen, dazu Kost und Wohnung. Aber stolz, sagt Schulze-Albermann, sei auch sie gewesen.

Das Kaiserappartement im Taunus

Viktor Pahlke, der Azubi, ist nicht einer von dreien, sondern einer von 40. So viele Auszubildende beschäftigt das Haus Hessen im Schlosshotel, in dem insgesamt etwa 80 Angestellte arbeiten. Pahlke ist im dritten Lehrjahr. Zum blauen Anzug mit Einstecktuch trägt er weißes Hemd und Lederschuhe. Das sind seine eigenen Sachen. Setzt das Hotel ihn am Empfang, im Restaurant oder als Page ein, zieht er die jeweils vorgesehene Personalkleidung an.

Der junge Mann mag das Entree mit den hohen Wänden, dem Kamin, dem Wandteppich einer Seeschlacht. Die Gespräche mit den Stammgästen, "wenn Frau Müller-Meier in der Halle sitzt". Gerade trinkt an einem der Tische eine Frau Tee. Ein Mädchen löffelt ein Patisserie-Törtchen.

Die Zimmermädchen Manja und Else waren für die 16 Räume der zweiten Etage zuständig, Gretel für die sieben Zimmer des ersten Stocks. Eins davon war das Kaiserappartement. Dort logierte einst Wilhelm II., der Sohn Victorias und des 99-Tage-Kaisers Friedrich III. Nach dem frühen Tod ihres Mannes hatte die Kaiserin, Tochter der britischen Königin Victoria, das Schloss nach ihren Wünschen bauen lassen. 1893 war es fertig. Schulze-Albermann sagt: "Wenn ich an das Kaiserbett denke – wie oft man da herumlaufen musste, bis man das Laken gespannt hatte." Oder die Tagesdecke aus Brokat darüber ausgebreitet.

Nach Staub wird mit weißen Handschuhen gefahndet

Heute hat das Haus gut 60 Gästezimmer. Viktor Pahlke betritt eines davon. Als Gretels Kolleginnen Manja und Else dafür zuständig waren, sah es noch anders aus. Vor ein paar Jahren hat eine Innenarchitektin vieles umgestaltet. Jetzt ziert eine Blumentapete die Wände, an der Stirnseite rahmt ein Vorhang das Bett. Der Auszubildende führt vor, wie sich das Personal beim Zimmercheck durch den Raum arbeitet, bevor neue Gäste einziehen.

Ist das Klingelschild poliert? Geht das Licht im Schrank, das Tablet? Hängen die Bügel zwei Finger breit auseinander? Ist der Safe leer? Sind Shampoo, Conditioner und Körpermilch aufgefüllt? Nach Staub wird mit weißen Handschuhen gefahndet.

Meist hat der Auszubildende aber andere Aufgaben. Er lernt alle Abteilungen kennen. Food and Beverage, also Essen und Getränke. Den Service. Pahlke übt sich auch als Page, poliert Gästeschuhe, steht mit den Bell Boys an der Tür. Der Job der Zimmermädchen heißt heute Housekeeping.

Am meisten Spaß macht es dem jungen Mann, im Team der Empfangschefin den Gästen etwas zu empfehlen. Eine Reservierung im gehobenen Restaurant in der Altstadt möglich zu machen, überhaupt "die Extrameile für den Gast" zu gehen. Besondere Wünsche zu kennen. Ob jemand gern Jasmintee vorfindet, Orangenblütenhonig schätzt oder dünn aufgeschnittene Zitrone. Wegen der internationalen Klientel lernt Pahlke Spanisch und Französisch.

"Unser Reichtum ist der Anstand"

Schulze-Albermann hat damals die Betten vieler Reicher und Prominenter gemacht. Schließlich war sie für das Kaiserappartement zuständig. Sie zählt auf, wer im Schlosshotel logierte: Adenauer, Rockefeller, Brigitte Bardot, Elinor von Opel und ihr Sohn Gunter Sachs. Die Zimmermädchen mussten "ganz vorsichtig und vornehm klopfen". Daraufhin hätten "die Herrschaften aufgemacht – oder sich nicht gemeldet".

In den ersten Wochen sah Gretel noch Handwerker am Stuck arbeiteten. "Die Amerikaner hatten das Schloss böse zugerichtet." Die Besatzungsmacht hatte Friedrichshof, wie Victoria es genannt hatte, vom Haus Hessen beschlagnahmt und einen Club für Offiziere eingerichtet. 1953 war es zurück an die Nachkommen der Kaiserin gegangen, die das Erbe in ein Hotel umwandelten.

Die alte Frau erinnert sich an den Respekt, den sie vor "diesen wunderschönen Möbeln" gespürt habe, "der Élégance". Sie sagt nicht Eleganz, und wenn ihr etwas außerordentlich gefällt, nennt sie es formidabel. Aber sie kann auch im Dialekt sprechen wie einst der Großvater im Odenwald. "Wir sind keine reichen Leute. Unser Reichtum ist der Anstand, die Ehrlichkeit, der Fleiß, die Zuverlässigkeit und die Würdigung anderer." Wer so erzogen sei, vergesse das nicht.

Die Zimmermädchen aßen im Keller, neben den Lagerräumen. Das Personalessen kam aus der Hotelküche. Die Kantine ist am selben Ort geblieben. Auch Viktor Pahlke sitzt manchmal in dem kleinen Raum mit dem gefliesten Schachbrettboden, in dem schon Gretel vor 70 Jahren die Mahlzeiten einnahm. Er wohnt aber im Personalhaus in einem Kronberger Stadtteil, wie die meisten Azubis. Gemeinsam probierten sie Restaurants aus, schauten sich auch einmal andere Hotels an. Wenn man in der Hotellerie arbeite, sei es schwer, sich in der Freizeit vom Beruf abzuspalten.

Vom Zimmermädchen zur Hausdame

Gretel, Manja und Else vertrieben sich abends die Zeit mit Stricken im Turmzimmer. Es sei denn, sie waren zum Spätdienst eingeteilt, etwa in der Spülküche. Zwei Jahre lang wohnten die Frauen zusammen. Doch in dieser Zeit änderte sich etwas in Gretels Leben: Sie wurde schwanger. 1956 kam ihr Kind zur Welt. Ulrike. "Der Vater meiner Tochter war auch im Schloss im Service." Später habe er in Paris gearbeitet. Ein richtiges Paar seien sie nie gewesen. "Wenn man in so einem Beruf arbeitet, ist es gar nicht so einfach, eine Familie zu haben."

Gretel zog mit dem Säugling in die Kronberger Altstadt. An manchen Tagen sei sie viermal von der Pferdstraße zum Hotel und zurück gehetzt. Zum Frühdienst, zu Abendveranstaltungen. "Man musste nach wie vor arbeiten, es gab keinen Mutterschaftsurlaub." Die Vermieterfamilie passte auf das Kind auf. Schulze-Albermanns Tochter ist vor einer Weile gestorben, Ulrikes Vater aber lebt noch am Bodensee. Manchmal telefoniert Schulze-Albermann mit ihm.

Nach ein paar Jahren als Zimmermädchen stieg Gretel auf. Als Hausdame war sie zuständig für die Magazinverwaltung, also die Vorräte. "Ich habe nachbestellt, was die Köche brauchten." Nach ein paar Jahren wechselte sie in den Hessischen Hof nach Frankfurt. Der hatte 1952 eröffnet, zwei Jahre vor dem Schlosshotel. Inzwischen hat die Unternehmensgruppe Prinz von Hessen das Frankfurter Haus verkauft.

Damals war in beiden Hotels ein Ehepaar namens Bertram Pächter. "Eine sehr gute Hotelfamilie, aber auch sehr streng", sagt Schulze-Albermann. Als die Frau von einer Straßenbahn erfasst und verletzt worden sei, hätten die beiden sie in Frankfurt gebraucht. Fortan also verließ die junge Mutter früh um halb sechs die Kronberger Wohnung und ihre Tochter, um mit dem Zug nach Frankfurt zu fahren. Nach zehn Jahren kehrte sie der Hotellerie den Rücken – und wandte sich einer ganz anderen Branche zu. Ab 1966 arbeitete sie in Banken.

Ein Hotel wie eine wechselnde Bühne

Geheiratet hat Margarethe Schulze erst spät. Ferdinand Albermann arbeitete schon zur selben Zeit wie sie im Schlosshotel. Aber damals waren sie bloß Kollegen. Jahre später traf sie ihn wieder. Er kam als Kunde in die Bank, bei der sie nun angestellt war. Nach der Rente zog das Ehepaar zurück in Margarethes Heimat, den Odenwald. Sie machte bei den Landfrauen mit. 2010 starb ihr Mann. Seit ein paar Jahren lebt sie wieder in Kronberg. Im Stift strickt sie viel.

Noch zweimal hat Schulze-Albermann das Hotel in den vergangenen Jahren besucht. Einmal offiziell, dabei hat sie Viktor Pahlke kurz kennengelernt. Und einmal inkognito, mit dem Schwiegersohn und den Enkeln. Sie hat in der Halle Kaffee getrunken. "Mir viel Zeit gelassen."

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Bei Pahlke wird sich nächstes Jahr entscheiden, ob er weiterzieht oder bleibt. Er mag es, dass dieses Haus voller Antiquitäten und Kunst kein Museum ist. Sondern dass Menschen darin wohnen. Für ihn, sagt er, sei das Schlosshotel wie eine Bühne. Jeden Tag werde ein anderes Stück gespielt.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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