Digitales Geschichtsprojekt: In den Köpfen und auf den Speichern der Einwohner von Hochheim am Main lagert ein Schatz: die Erinnerung an die Stadt von einst. Jetzt wird er gehoben.

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Der Schaukasten zur Stadtgeschichte hat zwar vier Ecken, aber viel mehr Dimensionen als eine Tafel oder eine Vitrine. Die neue Internetseite der Stadt Hochheim geht in die Tiefe. Wer dort Filme schaut, Audiodateien lauscht und Fotos betrachtet, kann die Vergangenheit erleben, als wäre sie gegenwärtig. Das klappt aber nur, wenn genug Zeugnisse der Hochheimer Geschichte zusammenkommen – und gut aufbereitet werden. Was bisher davon zu sehen ist, lässt erwarten, dass der Plan des Stadtarchivs und der städtischen Museen aufgeht.

Der Plan geht so: Die Stadt hat schon vor zwei Jahren das Fotoarchiv Hirchenhein gekauft und die 20.000 Bilder aufbereitet, die Fotografen der gleichnamigen Familie mit dem Studio an der Wilhelmstraße drei Generationen lang gemacht haben, von 1902 bis 2002. Die Frau, die sich damit befasst, heißt Isabel Bootz und leitet außerdem das Weinbaumuseum. Die Bilder bilden den Grundstock der neuen digitalen Plattform zur Stadtgeschichte.

Das Motto lautet "Hochheim spaziert"

Aber Bootz’ Idee geht weiter. Die Hoffnung ist, dass viele Hochheimer und ehemaligen Hochheimer ihre Erinnerungen teilen wollen. Damit viele Facetten der Stadtgeschichte sichtbar werden – und nicht nur Historiker und Archivare zu Wort kommen, sondern auch Bürger. Bürgermeister Dirk Westedt (FDP) lädt alle ein, "aktiv mitzuwirken".

Die Internetseite www.schaukasten-stadt.de beginnt jetzt erst einmal mit 26 Schaukästen, alle zu Orten in der Stadt und unter dem Motto "Hochheim spaziert". Bootz klickt auf die Kachel zum Alten Rathaus von 1688, das bis 1964 am Kälberplatz stand. Dahinter verbirgt sich ein Video: Ein Zeitzeuge hält ein Ölgemälde des Gebäudes in den Händen. Ein Flaksoldat habe es 1944 gemalt, sagt er, gegen etliche Flaschen Wein sei es in den Besitz seiner Familie übergegangen. Er nennt das Haus das "uralte Rathaus", denn das heutige Alte Rathaus stehe an der Kirchstraße. Vom uralten gibt es außerdem Schwarz-Weiß-Bilder – und ein Foto des alten Stadtwappens aus Sandstein, das an der Fassade angebracht war.

Auf einem Feld der Internetseite steht: "Teile deine Erinnerung mit uns!" Dazu gibt es eine Einführung, wie das Teilen vor sich geht. Hochgeladen werden können Bilder, selbst verfasste Texte bis 500 Zeichen, Audios und Videos bis 50 Megabytes. Bootz nennt ein Beispiel: Eine Frau, die im heutigen Rathaus an der Burgeffstraße, das früher ein Krankenhaus war, ihr Kind bekommen habe, könnte ein Foto von dessen Geburtsarmbändchen beisteuern. Die Mitarbeiter schauen sich zunächst alles an, nichts wandert direkt ins Netz. In einem Formular lässt sich hinterlegen, ob der Name des Eigentümers gezeigt werden darf, und wenn ja, ob abgekürzt oder vollständig.

25.000 Euro Projektkosten

"Wir haben einen riesigen kulturhistorischen Schatz auf Dachböden und in den Köpfen der Menschen", sagt Bootz. "Aber wir wussten bisher nicht, wie wir da herankommen." Die Angestellten von Archiv und Museen können es nicht leisten, die Menge an Kisten zu sichten, die in Privathäusern lagern, und auch für systematische Interviews mit Zeitzeugen fehlt die Zeit. Wenn aber die Eigentümer dieser Schätze, ob es nun Objekte, Dokumente oder Erinnerungen sind, eine Vorauswahl treffen, kommen die Zeugnisse aus der Tiefe der Stadtgeschichte ans Licht.

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Einschließlich des Kaufs des Fotoarchivs Hirchenhein hat das Projekt 25.000 Euro gekostet, der Eigenanteil der Stadt beträgt 12.000 Euro, Fördergeld kam vom Museumsverband Hessen und vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur. Nächstes Jahr erweitert der Schaukasten seine Fenster um den Schwerpunkt "Hochheim vereint", dann werden Dokumente aus dem Vereinsleben gesucht. Für 2026 peilt Bootz noch eine weitere Dimension an. Der Arbeitstitel: Hochheim weinfestselig.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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