Überproduktion und Kostendruck: Der deutsche Weinbau befindet sich in der Krise. Überproduktion, Nachfrageschwäche, Kostendruck und verändertes Konsumverhalten bringen die Winzer in Not. Die Betriebe brauchen dringend eine Perspektive.

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Wenn das Überangebot einer Ware auf eine rückläufige Nachfrage trifft, dann ist die Krise vorgezeichnet. Die simplen Regeln des Marktes erschüttern die deutsche Weinbranche bis ins Mark. Weltweit wird mehr Wein angebaut als konsumiert. Laut der Internationalen Organisation für Rebe und Wein wurden 2022 global fast 260 Millionen Hektoliter Wein produziert, während der Weinkonsum nur bei rund 232 Millionen Hektolitern lag. Der Weinmarkt ist aus der Balance geraten. Weil sich aber bei der auf mindestens drei Jahrzehnte angelegten Dauerkultur Wein die Erntemengen nicht auf Knopfdruck steuern lassen, sieht sich die Branche inmitten einer Krise, die mancher Winzer als die schlimmste seit dem Weinskandal in den Achtzigerjahren bezeichnet.

Eine kurzfristige Lösung ist die Krisendestillation. Im vergangenen Jahr ist dieses Instrument nach Jahrzehnten erstmals wieder in Deutschland eingesetzt worden. In Württemberg wurden rund acht Millionen Liter zu reinem Alkohol verarbeitet. "Aus Trollinger wird Putzmittel", schrieb unter anderem die "Stuttgarter Zeitung" über das traurige Schicksal der liebevoll auch "Schwabenmilch" genannten Rebsorte. Aber nicht nur Trollinger, auch andere rote Rebsorten wie Portugieser waren nicht verkäuflich. Der Druck im Weinkeller wurde zu groß.

Kriselnde Nachfrage ist keine temporäre Delle

Die Destillation von Wein erlaubt nur ein kurzfristiges Durchatmen. Denn die Rebstöcke tragen im nächsten Herbst abermals. Die Nachfrageschwäche ist aber keine temporäre Delle, wie manche Erzeuger hoffen, sondern ein langfristiger Trend. Absatzforscherin Simone Loose von der Hochschule Geisenheim warnt davor, die gegenwärtige Krise in der Hoffnung auf baldige Besserung aussitzen zu wollen.

Auf dem Fassweinmarkt, auf dem sich Kellereien bedienen, um billige Tropfen für den Supermarkt einzukaufen und abzufüllen, ist der Preisverfall schon angekommen. Zwischen 60 und 80 Cent je Liter werden den Erzeugern derzeit geboten. Betriebswirtschaftlich ist das eine Katastrophe, weil in Regionen wie dem Rheingau die Produktionskosten deutlich darüberliegen. Mindestlöhne, hohe Energiepreise und die Folgen der Inflation haben die Kosten für die Weingüter stark steigen lassen. In diesem Frühjahr kamen Frostschäden und im verregneten Sommer noch hohe Kosten für den Pflanzenschutz hinzu. Und die Schließungswelle bei Gaststätten und die häufig zu beobachtende Verringerung der Öffnungstage tragen ebenfalls nicht zu einem stabilen Weinkonsum bei.

"No and low" statt Komasaufen

Besserung ist nicht in Sicht. Dies ist vor allem auf den demographischen Wandel und die veränderte Einstellung junger Menschen zu Alkohol als Alltagsdroge zurückzuführen. Die Zahl der "Komasäufer" unter den Jugendlichen, die vor Jahren noch für Schlagzeilen sorgten, wird immer kleiner. Aber immer mehr in dieser Alterskohorte pflegen einen gesünderen Lebensstil ("No and low"!) und verzichten teilweise oder ganz auf Alkohol. Die Zahl der deutschen Haushalte, die zumindest gelegentlich noch Wein einkaufen, ist auf knapp über 40 Prozent gefallen. Im Jahr 2023 konsumierten die Deutschen mit durchschnittlich 22,5 Liter Wein und Sekt fast einen Liter weniger als im Vorjahr. Das ist eine dramatische Entwicklung.

Wer die Weinregale in Supermärkten studiert, wo der Großteil des Weins gekauft wird, der schaut auf jeden Cent und greift im Zweifel zur ausländischen Konkurrenz. "Es sind riesige Probleme, vor denen wir derzeit in der Weinwirtschaft stehen", sagte der Pfälzer Weinbaupräsident Reinhold Hörner kürzlich dem Südwestrundfunk, und er befürchtet in den kommenden zehn Jahren die Aufgabe von fast jedem zweiten Betrieb.

Kein Nachwuchs in Sicht

Die Zahl der Weinpatrioten, die wegen der Qualität deutschen Wein bevorzugen, ist in Deutschland geringer als in anderen Erzeugerländern. Der Marktanteil des deutschen Weins ist hierzulande auf 42 Prozent gefallen. Ein erschütternd geringer Wert. Erklärungsversuche bleiben in der Regel beim geschickteren Marketing und den niedrigeren Preisen der ausländischen Konkurrenz stecken. Der Stolz der Deutschen auf "ihren" Riesling und Spätburgunder ist nach Ansicht der Winzer jedenfalls ausbaufähig.

Hinzu kommt: Die Alterskohorte der bislang regelmäßigen Weingenießer wächst langsam aus der Lebensphase des häufigen und intensiven Konsums hinaus. Eine nachwachsende Weingenussfraktion in vergleichbarer Stärke ist nicht in Sicht. Als wäre diese Entwicklung aus Sicht der Winzer nicht schon schlimm genug, meldet sich mitten in dieser krisenhaften Zuspitzung die Deutsche Gesellschaft für Ernährung zu Wort und empfiehlt nachdrücklich, die Finger besser vom Alkohol zu lassen, um Krankheitsrisiken zu vermeiden. Entsprechend drastisch fielen die wenig schmeichelhaften Kommentare der Winzer aus. Der Export verspricht kaum Entlastung, zumal in Märkten wie China die Eigenversorgung mit Wein gewachsen ist und gleichzeitig von der obersten Führung Skepsis gegenüber dem Getränk Wein als Ausdruck des westlichen Lebensstils verbreitet wird. Nicht ausgeschlossen, dass der sich anbahnende Handelsstreit mit China wieder Zölle für europäischen Wein zur Konsequenz haben wird.

Staatliche Hilfen voraussichtlich nötig

Die Folge der Krise: Weltweit und in Deutschland wird über die Rodung von Weinbergen nachgedacht. Dabei trifft die Absatzflaute die 13 deutschen Weinregionen in unterschiedlichem Maß. Anbaugebiete wie der Rheingau, wo der Anteil der Direktvermarktung sehr hoch ist und viele Winzer einen treuen Privatkundenstamm aufgebaut haben, sind weniger betroffen als größere Gebiete wie beispielsweise Rheinhessen. Doch die Kauf- und Pachtpreise für Weinberge sind auch im Rheingau stark rückläufig. Womöglich wiederholt sich ein Phänomen wie vor zwei Jahrzehnten, als am nördlichen Rand der Weinbergslandschaft vermehrt brach gefallene Weinberge als Pferdekoppeln genutzt wurden

Gleichzeitig setzt sich die Konzentration in der Branche unvermittelt fort. Immer weniger Weingüter bewirtschaften immer mehr Fläche. Doch die Neigung der Großbetriebe, die Parzellen aufgebender Kleinwinzer zu übernehmen, ist längst nicht mehr so ausgeprägt wie noch vor wenigen Jahren. Im Rheingauer Weinbauverband wird schon darüber nachgedacht, ob es eine Lösung sein kann, Weinberge für bis zu acht Jahre brach liegen zu lassen. Auch eine ökologische Umgestaltung der Weinberge, die auf Kosten der Produktionsmenge Platz für mehr Artenvielfalt in der Monokultur schafft, könnte helfen.

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Am Ende wird es nicht ohne mit staatlicher Finanzhilfe ermöglichte Rodungen von Weinbergen gehen. Ein Vorschlag lautet, die sonnenverwöhnten Steilhänge mit Freiflächensolaranlagen zu bestücken, um grünen Strom zu liefern. Für die Flachlagen blieben aber nur Kartoffeln, Getreide oder Obst. Sicher ist: Die Kulturlandschaft steht – wieder einmal – vor einem tiefgreifenden Wandel.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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