Der Wandertipp: Auf den Spuren der heiligen Hildegard geht es von Geisenheim nach Eibingen, wo an zwei Stätten ihr Erbe bewahrt wird.
Ihre Klostergründungen führt der Konvent der 1904 errichteten Abtei fort, während ihre Gebeine in der Pfarrkirche ruhen.
Nein, Hildegard liegt hier nicht bestattet. Sie ist unten in der Pfarrkirche von Rüdesheim-Eibingen zu suchen. Der häufigen Frage nach dem Grab der Heiligen beugt das in den Weinbergen aufragende Kloster St. Hildegard jetzt mit einem Aushang vor. Er sagt viel über den Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung unabhängig von Hildegards theologischem Rang.
Als Mystikerin, Universalgelehrte, Komponistin oder ganz allgemein als Lebensratgeberin entdeckte sie erst die aufgeschlossenere Gegenwart, was sie nun zu einer der "bedeutendsten Frauengestalten des Mittelalters" macht, wie es im unterdessen hinzugekommenen "Inforaum" der Abtei heißt.
Die ausführlichen Schautafeln erläutern natürlich auch, warum das Erbe der Äbtissin in Eibingen zweigeteilt wirkt. Entgegen der Erwartung besitzt das so erhaben über allem thronende Kloster keinen direkten biographischen Bezug. Es entstand, als sich Ende des 19. Jahrhunderts eine Neugründung der 1814 aufgehobenen Benediktinerinnen-Abtei in Eibingen abzeichnete.
Mittelalterlich – auf den ersten Blick
Da man mangels Platz nicht an die angestammte Stätte zurückkehren konnte, an der Hildegard 1165 neben ihrem Hauskloster Rupertsberg bei Bingen ein weiteres nicht adliger Frauen begründet hatte, ließ sich dank der Stiftungsgelder von Fürst Karl zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg aber ein – 1904 bezogener – Neubau errichten.
Begünstigt durch einige zusammenhängende Grundstücke, war kein besserer Standort denkbar, um die romanische Traditionslinie der Architektur zur Geltung zu bringen. Die Doppeltürme oder die säulchengezierte Apsis sind kaum von mittelalterlichen Vorgaben zu unterscheiden; erst der Blick ins Innere, die Ausmalungen nach Vorbild der Beuroner Schule oder die vom Jugendstil beeinflusste Ornamentik verweisen auf den Zeithintergrund.
Nur Hildegard fehlt. Ursprünglich war die 1179 Verstorbene in Rupertsberg bestattet, kam jedoch nach seiner Zerstörung via Mainz und Köln 1636 nach Eibingen. Die seit der Säkularisation "sicher verwahrte" Heilige, fand dann Aufnahme in dem von 1831 an als Pfarrkirche genutzten Gotteshaus der früheren Abtei. Doch auch diese ist seit einem verheerenden Brand 100 Jahre später nicht mehr original.
Eben noch rechtzeitig konnten der 1929 zum 750. Todestag gefertigte Goldschrein für Hildegards Gebeine sowie die Reliquien einiger heute offen in der Südwand eingelassener Schutzheiliger geborgen werden. Seit der umfassenden Neugestaltung zu Hildegards 900. Geburtstag 1998 steht der Schrein zentral im Altarraum vor dem deckenhohen Mosaik, das einer Bildtafel aus Hildegards Hauptwerk "Scivias" (Wisse die Wege) nachempfunden ist.
In der Abtei tragen noch 35 Ordensschwestern das geistige Vermächtnis ihrer Ahnin weiter, wozu im Sinne von Hildegards ganzheitlichem Verständnis von Leib und Seele die praktische Lebensführung gehört. Sie bauen hochgelobte Weine aus, betreiben Café und Buchladen und führen ein Gästehaus für mehrtägige spirituelle oder kunsthandwerkliche Kurse. Kirchenbesucher werden auch nicht ausgeschlossen, wenn zwischen 6 und 19.30 Uhr fünfmal Gotteslob, Gebet und Gesang das Tagewerk unterbrechen, ebenso wenig bei den weihnachtlichen Feiern.
Wegbeschreibung
Auch das als Startpunkt vorgesehene Geisenheim besitzt mit der Pfarrkirche Heilig Kreuz ein außergewöhnliches Gotteshaus. Dieser "Dom des Rheingaus" besticht durch die stilsichere Ergänzung mit jüngerer Substanz. Wüsste man es nicht besser, wäre kaum zu erwarten, dass die Doppeltürme des spätgotischen Langhauses erst 1839 angefügt wurden.
Bei Anreise mit der Bahn – oder unter Nutzung der dortigen Parkplätze – weisen Berliner, Behl- und Winkeler Straße herüber. Zu entdecken sind auch eine fünfhundertjährige Linde sowie einige stattliche Gutshöfe aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Parkt man an der Uferstraße, gibt die Steinheimerstraße die Richtung vor. Die Prälat-Wehrmann-Straße führt vom Lindenplatz zum Bahnübergang und weiter zur Blaubachstraße, rechts und links mit der Straße Kirchspiel zum Nordring, nach rechts wechselnd in die Behlstraße.
Ihre Linkskurve mündet in eine Kreuzung – das Signal, um links in die Weinberge einzuschwenken und damit zu den roten Buchstaben K und O. Sie weisen den Weg rund um den Rothenberg, dessen Spitze – nach kurzem Abstecher ausgangs der Rechtskurve – ein großartiges Panorama zwischen der linksrheinischen Rochuskapelle und den breit am Hang liegenden Bruchsteinmauern der Abtei eröffnet.
Doch es kommt noch besser. Zunächst geht es mit dem K abwärts und dann nach rechts in Hauptrichtung Marienthal. Über Weinbergen und Kleingärten treten die Doppeltürme mehrfach ins Bild. Erst später – nun ohne K – werden sie verdeckt, wenn sich die inselartig konzentrierte Vegetation der Geisenheimer Heide beim steten Geradeaus davorschiebt.
Anschließend nähert man sich dem nur aus Eigenheimen bestehenden Marienthal. Dort wendet man sich gleich nach links und nach rechts über den Parkplatz, dann geht es nach links an der Straße Im Hähnchen mit leichtem Anstieg hindurch. Oben, nach wenigen Schritten im Wald, hält man sich an der Kreuzung links zu Rhein- und Klostersteig. Sie teilen sich bald; man verbleibt geradeaus bei dem Zeichen mit den drei Spitzen des acht Rheingauer Klöster verbindenden Steigs, darunter das einsam liegende Nothgottes.
Bis dahin hält der Weg abwechslungsreiche Partien bereit. Jenseits der Landstraße dominiert erst Hochwald, tiefer unten, nach der optionalen Runde um den idyllischen Offermanns Weiher, die Blaubachtalung, in deren Mitte später das Kloster Nothgottes auftaucht. Seit einigen Jahren von (vietnamesischen) Zisterziensern neu besiedelt, berührt dies nicht die Zugänglichkeit der gotischen Kirche, die etwas verdeckt hinter den Klausurgebäuden steht.
Man bleibt auf dem Klostersteig entlang des Blaubachs. Vom Rheinsteig ergänzt, überqueren ihn beide am Waldausgang. Dann erklimmt man mit scharfer Rechtskehre einen Hang. Von dort lässt sich die Tour bei Auslassen von Eibingen verkürzen: Dafür geht man immer geradeaus durch die Weinberge bis zum Wiederanschluss östlich der Gemeinde.
Die Markierungen führen aber zur Abtei. Wenn sie nach Rechts-links-Abzweigen die Straße queren, verlaufen sie zunächst unterhalb davon. Reizvoller ist es, rechts entlang der Straße anzusteigen, um dann links mit der Zufahrt auf die hohe Apsis zuzuhalten. So erahnt man die Größe des über die gesamte Wölbung in Anlehnung an byzantinische Mosaike in Goldtönen gemalten Erlösers.
Vorbei an der südlichen Front, biegt man hinter dem Café an der ersten Möglichkeit links ab, und nach 150 Metern geht es halb rechts weiter talwärts zur Eibinger Pfarrkirche. Mangels Durchgängen zwischen den Rebzeilen muss man sich ein Stück entfernen, ehe unten links der Zugang möglich ist. Wie im Kloster steht auch hier die Tür am Tag offen.
Über die Marienthaler Straße läuft man durch Eibingen, fortgesetzt geradeaus in den Weinbergen 300 Meter zu einem Querweg; dort, wo auch die Abkürzenden ankommen, nach rechts. Um Beton auszuweichen, biegt man am zweiten, begrasten Weg nach links – bei Nässe besser eine Möglichkeit tiefer – 400 Meter bis zu dem rechts schnurgerade abwärts führenden, befestigten Wirtschaftsweg.
Unten stößt er auf eine breite Straße, links und jenseits der Nothgottesstraße vorbei an den neuen Hörsaal- und Institutsgebäuden der Geisenheimer Hochschule mit den Schwerpunkten Wein- und Landschaftsbau. Studien am lebenden Objekt erlaubt der im 19. Jahrhundert angelegte Park rings um das Verwaltungsgebäude im roten Ziegelkleid. Ausgangs sind die Bahngleise zu unterschreiten. Über das Pfädchen links (Burggraben) findet man zum Bahnhof oder geradeaus mit der Beinstraße ins Zentrum. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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