Krimiautor Jean-Luc Bannalec: Es gibt eine Insel, die ist noch bretonischer als die Bretagne. Dort spielt der neue Krimi, den Jörg Bong alias Jean-Luc Bannalec verfasst hat.

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Der Lichtstrahl des Leuchtturms von Créac’h reicht 60 Kilometer weit. Hier liegt der Eingang in den Ärmelkanal, hier ist der Atlantik von reißenden Strömungen geprägt, die Insel Ouessant wird von starken Winden und hohen Wellen gepeitscht. "Ouessant, das ist die Bretagne extrem", sagt Jörg Bong.

Er muss es ja wissen. Schließlich ist er unter dem Namen Jean-Luc Bannalec anerkannter Fachmann für bretonische Eigenheiten, Schönheiten und Verbrechen. Dabei kannte Bong die Insel bis vor vier Jahren gar nicht. Aber sie zählte für ihn schon bald zu den möglichen Handlungsorten eines der Krimibestseller, die er unter seinem vor einigen Jahren gelüfteten Pseudonym veröffentlicht.

Mehr als sechs Millionen Mal haben sich die Bände der Kommissar-Dupin-Reihe bislang verkauft. Der 13. Band, "Bretonische Sehnsucht", ist vor Kurzem bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, wie immer pünktlich zum Beginn der Sommerferien, wie üblich von null auf eins in die Bestsellerlisten eingestiegen, für Buchhandel und Kunden seit Jahren ein verlässlicher Sommerbegleiter.

Als Bong die Insel zum ersten Mal betrat, war ihm ihre Krimi-Eignung sofort klar. Wildromantische Natur, lauter gefährliche Fußpfade auf hohen Klippen, Sagen zuhauf. "Es gibt mehr Schafe als Menschen und mehr Legenden als Schafe", sagt er im Literaturhaus Frankfurt, wo er den Band vorstellt.

Beim ersten Ertrunkenen bleibt es nicht

Frankfurter Leser haben es gut in dieser Hinsicht, Bong gibt als Bannalec nicht viele Lesungen. Noch eine am 1. Juli in Dresden, dann erst wieder eine Mitte Oktober in Köln. Der Auftritt in Frankfurt, der Stadt, in der er studiert und lange gearbeitet hat, hat sich eingebürgert, seit er nicht mehr als verlegerischer Geschäftsführer von S. Fischer tätig ist, sondern nur noch als freier Schriftsteller.

Zu Beginn des neuen Bandes ist ein Mann ins Meer gefallen und ertrunken. In solchen Fällen übernehmen auf der Insel Ermittler vom Festland die Arbeit. Eigentlich wäre der Kollege aus Brest an der Reihe, aber der hat Urlaub, also setzt Präfekt Locmariaquer grollend Dupin in Marsch. Für den es nicht bei diesem ersten Tod bleibt.

Die Rätsel verdichten sich schon bald wie der Nebel, der um einen alten Steinkreis wabert, und der Kommissar, der einst als Bretagne-Skeptiker aus Paris aufs Land kam, bekommt es mit einer Turbo-Version dessen zu tun, was ihm bisher begegnet ist.

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Druidisches Wissen, betörende, geradezu magische Musik, das böse Locken der Meerjungfrauen – all das scheint in das Handeln von Opfern und Verdächtigen zunehmend verwoben. "Alles, was Sie sehen, täuscht. Nichts ist, wie es scheint", hört Dupin von einer Inselbewohnerin, die seherisch begabt zu sein scheint.

Dass das Mysteriöse und Mythische diesmal eine größere Rolle als sonst spielt, ist kein Zufall. "Das wollte ich unbedingt mal machen", sagt Bong vor Beginn der Lesung: "Dies ist der Fall, wo ich es mir erlaube."

Schon frühere Bände hatten mit keltischen Mythen gespielt. Bezeichnend sei für die Bretagne schließlich die Weigerung, zwischen Natürlichem und Übernatürlichem zu unterscheiden: "Das, was wir säuberlich trennen, gehört dort zusammen." Fasziniert hat Bong das immer: "Mich interessiert das als narrativer Wunderort."

"Bei Verlagen erlaube ich mir, parteiisch zu sein"

Angefangen hat die aus dieser erzählerischen Quelle gespeiste Reihe 2012 mit "Bretonische Verhältnisse". Damals war er noch Verleger mit einem Job "rund um die Uhr, sieben Tage die Woche", und fand im Krimischreiben Erholung, wie er im Gespräch mit der Journalistin Margarete von Schwarzkopf berichtet. Wie Dupin, der sich trotz seiner Furcht vor offenem Wasser einem Ruderboot anvertraut hat und dem Tod im Meer trotzt, liest Christoph Pütthoff, Mitglied im Ensemble des Schauspiels Frankfurt.

Seine alte Heimat, der Fischer-Verlag, sagt Bong im ausverkauften Lesesaal des Literaturhauses, sei für ihn nach wie vor das schönste aller deutschsprachigen Verlagshäuser: "Bei Verlagen erlaube ich mir, parteiisch zu sein."

Inzwischen ist er beruflich beweglicher, schreibt aber nach wie vor am liebsten in der Bretagne. Er müsse sie "sehen, fühlen, schmecken". Wenn dann alles so laufe, wie er es liebe, stelle sich ein Zustand ein, den er wie folgt beschreibt: "Ich bin eine Schreibmaschine, die Bretagne diktiert."

In den nächsten Monaten wird er die Arbeit an "Tage der Entscheidung" abschließen, dem zweiten Band seiner Geschichte der Revolution von 1848, und den 14. Bannalec verfassen. Der Bretagne untreu zu werden, plant er derzeit nicht. Schließlich sei sie der Protagonist der Reihe, mit Orten, Sitten, Leuten. Und nicht Dupin. Die Bücher seien eine "Liebeserklärung" an Landschaft und Menschen, dem wird Bong nicht untreu.

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Die Zahl der Bände sieht er darum nach wie vor als begrenzt an: "Für mich ist sie limitiert durch die Anzahl der Orte mit auratischer Kraft." Beliebig wolle er nicht werden: "Da würde man sich vergehen. Deswegen ist es vorbei, wenn ich keine distinkten Orte mehr finde." Und der billige Ausweg wird auch nicht genommen: "Dupin wird nicht an die Côte d’Azur fahren."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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