Frankfurter Auktionshaus: Das Frankfurter Auktionshaus Rudolf Bangel befriedigte die Lust des Bürgertums auf schöne Dinge: Kaum jemand sonst im Deutschen Kaiserreich versteigerte so viele Kunstwerke.

Mehr News aus Hessen finden Sie hier

Es braucht Zeit, um eine Auktion, namentlich eine Kunstauktion, vorzubereiten. Objekte müssen eingeliefert, gesichtet, geprüft und beschrieben, in Katalogen und dann am Ort der Auktion präsentiert werden. Nachdem der Hammer gefallen ist, geht die Arbeit weiter: Der Auktionator muss Versand oder Abholung organisieren, die Bezahlung abwickeln, sich um Reklamationen kümmern. Dementsprechend beschränken sich heute die meisten Häuser auf zwei, drei Auktionen im Jahr.

Bei Rudolf Bangel war das völlig anders. Das Frankfurter Auktionshaus versteigerte mehrmals im Monat, was der Kunstmarkt hergab: Gemälde alter Meister, Meissener Porzellan, Louis-seize-Möbel, Juwelen und Münzsammlungen, schöne Dinge aus Japan, China und Persien bis hin zu afrikanischen Dolchen, Schilden und Lanzen. Im Akkord gab Bangel dem betuchten Bürgertum der Kaiserzeit, was es brauchte, um sein Verlangen nach Kunst und dem damit einhergehenden gesellschaftlichen Status zu befriedigen.

Maike Brüggen spricht mit Blick auf die rasche Folge von Auktionen von einem "unglaublichen Intervall, einem unglaublichen Takt". Die freie Provenienzforscherin hat die Geschichte des Auktionshauses erforscht und jetzt zusammen mit Franziska Kiermeier und Anja Heuß den Band "Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten. Das Auktionshaus Rudolf Bangel in Frankfurt am Main 1873 bis 1929" herausgegeben.

Handschriftliche Notizen in Katalogen

In seiner Hochzeit vor dem Ersten Weltkrieg habe das Unternehmen alle zwei Wochen zu Versteigerungen eingeladen, sagt Brüggen. Die Umsätze seien riesig gewesen, der Name Bangel sei bei Kunstsammlern im ganzen Deutschen Reich ein Begriff gewesen. Man habe überregionale Kooperationen mit anderen Kunsthandlungen gepflegt, besonders stark sei die Stellung jedoch am Firmensitz in der prosperierenden Handelsmetropole Frankfurt gewesen. In ihrem eigenen Beitrag zu dem bei Henrich Editionen erschienen Band schreibt Brüggen, "dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts wohl in jedem Frankfurter kunstsinnigen Haushalt ein Objekt gehangen oder gestanden haben dürfte, welches durch Bangels Hände gegangen war".

Die Publikation, die in der Reihe "Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst (AFGK)" von der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte in Verbindung mit dem Institut für Stadtgeschichte herausgegeben wird, basiert auf einem zweijährigen Forschungsprojekt, das sich mit den Bangel-Katalogen beschäftigt. 860 mit sogenannten Annotationen, also handschriftlichen Notizen versehene Auktionskataloge, sind erhalten geblieben – ein Bestand, der nach Art und Umfang selten, wenn nicht einmalig ist. Dass er nun ausgewertet wurde und weiter erforscht werden kann, ist dem Ende Mai unerwartet verstorbenen Christoph Andreas zu verdanken. Der langjähriger Inhaber der Frankfurter Kunsthandlung J. P. Schneider jr. hatte die Kataloge der Forschung zur Verfügung gestellt und hat auch das Vorwort zur jetzt vorliegenden Publikation geschrieben.

Einzigartige Quelle für kunstgeschichtliche Forschung

"Das Konvolut der Kataloge ist eine einzigartige Quelle für die stadt-, sammlungs- und kunstgeschichtliche Forschung – dieser Schatz musste unbedingt gehoben werden", sagt Mitherausgeberin Kiermeier, geschäftsführende Vorsitzende der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte. Sie berichtet von neuen Erkenntnissen, zum Beispiel über die herausragende Stellung, die Bangel beim Verkauf von sogenannten Ostasiatika, von Waffen aus dem Kongo und von Künstlernachlässen und Depotware aus deutschen Museen einnahm.

Für die Forschung besonders wertvoll sind die Anmerkungen der Auktionatoren. Die handschriftlichen Notizen verraten die Namen und Geschichten hinter den Transaktionen. "Der Kunstmarkt, damals wie heute, gilt als eine sehr diskrete Branche, aus der nur wenig konkrete Informationen nach außen dringen", sagt Mitherausgeberin Brüggen. Aus den Bangel-Katalogen gehe vieles hervor, das sonst im Verborgenen bleibe: Wer welche Kunst sammelte oder kaufte, wer verkaufen wollte oder musste, wer mit wem zusammenarbeitete oder in wessen Namen handelte – und nicht zuletzt, wie viel Geld dabei floss.

So lassen sich aus den Notizen nicht nur Erkenntnisse über den Kunstmarkt, sondern auch über die Frankfurter Sammlungs- und Stadtgeschichte ableiten. Unter den Einlieferern und Höchstbietenden finden sich viele mit bekanntem Namen, etwa der Städel-Direktor Georg Swarzenski, der Kaufhausbesitzer Hermann Wronker, der Goetheturm-Stifter Gustav Gerst, die Maler Alfred Oppenheim und Wilhelm Trübner oder auch Emma Mumm von Schwarzenstein, die Gattin des sogenannten Champagnerbarons, und der Wirtschaftsjurist Paul Roediger, der Direktor der Metallgesellschaft war und dem Verwaltungsrat des Frankfurter Kunstvereins vorstand.

Anfänge mit Kaffee und Pferden

Wie aber kam es dazu, dass das Haus eine so bedeutende Stellung auf dem regionalen und nationalen Kunstmarkt einnahm? Der 1820 in Mülheim geborene Rudolf Bangel, ein gelernter Buchhändler, zog 1856 von Heidelberg in den damaligen Frankfurter Vorort Rödelheim, versuchte sich zuerst im Baugeschäft, hatte darin aber ebenso wenig Erfolg wie als Agent für diverse Versicherungsunternehmen. Erst nachdem die Freie Stadt Frankfurt 1866 von Preußen annektiert wurde, wendete sich sein wirtschaftliches Schicksal. In den folgenden Jahren entdeckte er das Geschäft mit Versteigerungen: Anfangs brachte er alles Mögliche unter den Hammer – von einer Buchdruckerei über Ballen gebrannten Kaffees bis zu Zugpferden und Stallutensilien.

Wie Brüggen darlegt, verfolgten der 1882 verstorbene Firmengründer und seine Erben eine Geschäftsstrategie, die auf Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit setzte, um sich dann auf den wachsenden Markt der Kunst- und Kulturgüter zu konzentrieren. Klug war auch, dass das Auktionshaus seine Räume, die erst an der Rothofstraße, dann an der Neuen Mainzer Straße und schließlich gegenüber dem Hauptbahnhof lagen, für Ausstellungen und kulturelle Begegnungen öffnete – "Zeichen für eine wachsende Verschmelzung von Handel und Kultur, wie sie damals vielerorts zu beobachten war".

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs brachte das Geschäft nicht zum Erliegen, sondern führte, wie Mitherausgeberin Anja Heuß schreibt, sogar dazu, dass Bangel seine Tätigkeit mit karitativen Versteigerungen im Sinne der "Kriegsfürsoge" ausbauen konnte. In der Weimarer Republik versteigerte das Auktionshaus zunehmend Kunst aus öffentlichem Besitz: Viele Museen waren in finanzieller Not, mussten Objekte verkaufen, um Kosten zu decken oder Sammlungen neu auszurichten.

Obwohl das Unternehmen davon profitierte, geriet es selbst in Schieflage. Spekulationen über die Echtheit von Werken und Prozesse um finanzielle Unregelmäßigkeiten leiteten den Niedergang ein. Auch geänderte Steuergesetze und die verheerende Inflation führten zum Konkurs im Jahr 1929. Danach geriet das Auktionshaus völlig in Vergessenheit, auch der im Zug des Forschungsprojekts unternommene Versuch, Kontakt mit Nachfahren aufzunehmen, brachte kein Ergebnis. Nur die 860 Kataloge überdauerten die Zeit.

Interessieren Sie die Artikel der F.A.Z.?
Uneingeschränkter Zugriff auf diesen und alle weiteren zahlungspflichtigen F+ Inhalte auf FAZ.NET. Jetzt Abo abschließen.

Der Band "Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten. Das Auktionshaus Rudolf Bangel in Frankfurt am Main 1873 bis 1929" ist bei Henrich Editionen erschienen. Anlässlich der Publikation stellt ein Symposion im Frankfurter Karmeliterkloster am Mittwoch, 3. Juli 2024, von 14 Uhr an die Forschungsergebenisse vor. Teilnahme nach Anmeldung beim Institut für Stadtgeschichte Frankfurt.   © Frankfurter Allgemeine Zeitung

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.