Frankfurt/Berlin - Drängeln, Hupen, Schneiden oder sogar Handgreiflichkeiten - aggressives Verhalten im Straßenverkehr führt auch auf Hessens Straßen immer wieder zu Konflikten und gefährlichen Situationen.

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Mehr Autos, Fahrräder, E-Scooter und andere Verkehrsmittel in den Städten bei gleichem oder geringerem Platzangebot, Zeitdruck und Stress - Die Ursachen sind vielfältig. Wie lässt sich gegensteuern?

Es sei zu beobachten, dass die gefühlte Stimmung aggressiver werde, sagt ein Sprecher des ADAC Hessen-Thüringen. Betroffen seien alle Verkehrsteilnehmer - Autofahrerinnen und Autofahrer ebenso wie Fahrradfahrer und Fußgänger. Als Grund sieht der Automobilclub auch "Verteilungskonflikte" im Straßenverkehr, etwa durch neue Verkehrskonzepte in Innenstädten. Der Platz nehme ab, während die Arten der Fortbewegung zunähmen, sagt der ADAC-Sprecher.

ADFC: Manche haben das Gefühl, ihnen wird etwas weggenommen

Auch aus Sicht des Vorsitzenden des Allgemeinen Deutsche Fahrrad-Clubs (ADFC) Hessen, Ansgar Hegerfeld, wird die "Zündschnur" vieler Menschen im Straßenverkehr kürzer. Platzverteilung spiele dabei eine zunehmende Rolle.

Durch neue Fahrradspuren etwa hätten manche Leute das Gefühl, ihnen werde etwas weggenommen - dabei komme es in der Realität gar nicht zu deutlich mehr Staus. In vielen Köpfen sei das Bild entstanden, dass unterschiedliche Gruppen auf der Straße gegeneinander arbeiten müssten. "Das ist eigentlich ziemlich schade", findet Hegerfeld.

Einen Appell zu mehr Rücksicht richtet er vor allem an Autofahrer, da sie das potenziell gefährlichste Fahrzeug nutzten. Für viele Radfahrer gehöre es zum Alltag, von Autofahrern angehupt oder angepöbelt zu werden. Auch Abdrängen oder zu dichtes Vorbeifahren komme vor - das könne schnell auch richtig gefährlich werden. Solche Vorfälle gebe es nicht nur in Städten, sondern auch in ländlichen Regionen, obwohl dort eigentlich kein Platzmangel herrsche.

ADFC sieht mangelnde Ahndung von Verstößen

Geahndet werden solche offensichtlichen Verstöße aus ADFC-Sicht kaum, weil generell "praktisch keine oder kaum Polizeikontrollen im Straßenverkehr" stattfänden, sagt Hegerfeld. Der Polizei fehlten dafür das Personal und die technische Ausstattung - beispielsweise, um Geschwindigkeiten aus dem fahrenden Auto heraus zu messen.

Mögliche weitere Tatbestände im Bußgeldkatalog zu schaffen, würde daher aus Sicht das ADFC nichts bringen. Stattdessen sollten bestehende Gesetze umgesetzt und Straftaten verfolgt werden. Schon in Fahrschulen sollten zudem Führerscheinanwärter besser über die Risiken regelwidriger und aggressiver Fahrweise aufgeklärt werden, fordert Hegerfeld.

Auch viele Konflikte unter Autofahrern

Aber nicht nur zwischen verschiedenen Gruppen im Straßenverkehr kommt es zu Konflikten, sondern oft genug auch zwischen Autofahrern, wie man auch beim ADAC weiß. Erst Mitte Dezember hatte der Deutsche Verkehrssicherheitsrat die Ergebnisse einer Online-Umfrage unter 1.000 Verkehrsteilnehmenden zum Verhalten im Straßenverkehr veröffentlicht.

Fast die Hälfte der Befragten (45 Prozent) gab dabei an, sich zu ärgern, wenn sich vor ihnen jemand strikt an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält. Und fast ein Fünftel der Teilnehmer räumte ein, auch mal etwas dichter aufzufahren, wenn sie auf der Autobahn hinter einem langsameren Fahrzeug fahren müssen und keine unmittelbare Möglichkeit zum Überholen besteht.

Als bekannt gilt, dass Eigen- und Fremdwahrnehmung im Straßenverkehr häufig auseinanderklaffen. Ein Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer werde meist deutlicher wahrgenommen als eigene Verstöße, sagt der ADAC-Sprecher. Viele Autofahrer sähen zudem ihren Wagen als eigenen Bereich und eine Art "rollendes Wohnzimmer". Wenn dann andere vielleicht das eigene Fortkommen behindern, könne das je nach Charakter auch Aggressionen auslösen.

Verkehrspsychologe: Aggressionen haben Wurzel in der Kindheit

Ähnlich erklärt der Frankfurter Verkehrspsychologe Peter Fiesel das Phänomen: Die Menschen nähmen belastende Erlebnisse oder familiäre Spannungen auch mit ins Auto. Im Fahrzeug bestehe kein direkter Kontakt zu anderen Verkehrsteilnehmern, dadurch könne auch die soziale Kontrolle in den Hintergrund geraten. Musik aus dem Radio könne zudem Stimmungen verstärken. Hinzu komme die individuelle Persönlichkeit: "Leute, die aggressiv sind, sind in der Regel als Kind Opfer gewesen von Aggressionen", sagt Fiesel.

Ministerium verweist auf polizeiliche Maßnahmen und Kampagnen

Das hessische Innenministerium verweist auf Maßnahmen der Polizei, die für mehr Sicherheit im Straßenverkehr sorgen sollen. Ziel sei, das Entdeckungsrisiko bei Verkehrsverstößen zu erhöhen und auch die Einsicht zu fördern, dass Vorschriften zu beachten sind.

Hinzu kämen Kampagnen wie "Mit Abstand sicher unterwegs", bei der es 2023 um den Mindestüberholabstand zu Radfahrenden ging. Auch der bundesweiten Initiative "#mehrAchtung", die für mehr Respekt und Rücksichtnahme im Straßenverkehr wirbt, hätten sich Ministerium und Partner angeschlossen.

Generell empfehle es sich, bei neuen Kampagnen auf ein ausgewogenes Verhältnis zu achten, um "Gewöhnungs- oder Sättigungseffekte" bei den Verkehrsteilnehmern zu vermeiden, hieß es im Ministerium. Auch eine konsequente Ahndung sei erforderlich, um die Problematik rücksichtslosen Verhaltens im Straßenverkehr zu entschärfen.  © Deutsche Presse-Agentur

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