Bund streicht Zuschüsse: Im Sozialkaufhaus in Offenbach wird sichtbar, was es bedeutet, wenn der Bund den Jobcentern die Mittel für Langzeitarbeitslose kürzt.

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Das kostet einige Menschen die Lebensaufgabe und andere die Gelegenheit, trotz kleinem Budget mal shoppen zu gehen.

Gut zu Fuß ist die zierliche alte Frau nicht mehr. Aber zum Kaufhaus Luise 34 macht sie sich noch öfter auf den Weg. Gebrauchsspuren an der sauberen Kleidung lassen vermuten, dass die wortkarge Frau mit weißem Haar und ernstem Blick das nicht zum Spaß macht. Dieses Mal sucht sie wohl Dekoratives. Später wird sie das Offenbacher Sozialkaufhaus an der Luisenstraße mit einem Stern aus kunstschneebesprühten Zweigen und einem knappen Lächeln um die schmalen Lippen wieder verlassen.

Weihnachtsdekoration. Die hat das Team um Anette Bacher, Bereichsleiterin der Caritas-Tochter Carijob, in diesem Jahr schon früh aus dem Lager in den Verkaufsraum geräumt, denn das Haus steht nach 17 Jahren vor dem Aus. Es wird zu teuer – der Caritas-Verband schießt im Jahr sechsstellige Summen zu.

Luise 34 muss zum Jahresende schließen und alles vorher raus. So auch Großmutters geblümtes Sonntagsporzellan mit Goldrand, das gerade eine Familie polnischer Herkunft in einen Kombi lädt, wohl als Erstausstattung für die sehr junge Tochter mit kleinem Kind auf dem Arm.

Im Sozialkaufhaus geht es aber nicht nur darum, täglich bis zu 200 Kunden, die nur über ein äußerst knappes Budget verfügen, gespendeten Hausrat, Möbel und Kleidung in gutem Zustand für wenig Geld anzubieten. Eine zweite wichtige Funktion von Luise 34 ist es, gemeinsam mit dem kommunalen Jobcenter Mainarbeit, Langzeitarbeitslosen eine Aufgabe, einen geregelten Tagesablauf und letztlich das Gefühl zu geben, gebraucht zu werden. Gelingt das, ist schon sehr viel erreicht, denn die Betroffenen tragen oft schwer an mehreren körperlichen und psychischen Handicaps. "Es geht auch um soziale Teilhabe", sagt Bacher.

Wie es enden kann, wenn diese Teilhabe wegfällt, musste das Luise-Team auch schon erleben: Zwei Helfer mit Suchtgeschichte sind kurz nach dem Ausscheiden aus der auf maximal zwei Jahre begrenzten Förderung in die Sucht zurückgefallen und bald darauf tot aufgefunden worden, wie Bacher berichtet.

Auch für den 63 Jahre alten Madi N. ist die Arbeit im Sozialkaufhaus mehr als ein Job. Er war viele Jahre im Textilhandel selbständig, bis er schwer erkrankte. Es folgten Operationen. Während der Pandemie kam auch noch eine Corona-Infektion hinzu. Als diese überstanden war, wollte er unbedingt wieder zurück in den Beruf, wie er sagt.

"Ich habe viele Bewerbungen geschrieben. Aber ich bin zu alt, und ich darf aus gesundheitlichen Gründen nicht alles machen." So erklärt Madi N. sich den Umstand, dass er oft nicht einmal eine Absage bekam. Er hörte einfach nie mehr etwas von den Unternehmen. Daheim sitzen will Madi N. aber auf keinen Fall. Er hat Angst, depressiv zu werden. "Deshalb war das Angebot, hier zu arbeiten, ein Glück für mich", sagt er.

Um so härter hat ihn die Nachricht vom Ende des Sozialkaufhauses getroffen. Caritasdirektorin Christiane Leonhardt-Içten spricht ihm Mut zu, sieht eine Chance bei der Arbeitsvermittlung für Senioren. Seine offensichtliche Sorge kann sie Madi N. aber erst einmal nicht nehmen.

Kompetenz erkannt und genutzt

Als das Second-Hand-Kaufhaus 2007 eröffnet hat, war die junge Noura Annouri schon dabei. Sie war einem Angebot des Jobcenters gefolgt und entdeckte im Luise 34 ihr Talent, Abläufe zu organisieren, Ware zu arrangieren und Menschen anzuleiten. Diese Fähigkeiten hat man auch bei Carijob schnell erkannt und der jungen Frau einen festen Vollzeitarbeitsplatz angeboten.

Wenn sie heute über ihre Arbeit und die Menschen spricht, die sie inzwischen unter ihre Obhut genommen hat, ist ihre große Empathie für diejenigen spürbar, die ihre oft erhebliche Last durch Handicaps bis hin zu Suchterkrankungen im vertrauten Arbeitsumfeld von Luise 34 leichter ertragen und vielleicht überwinden können. Deshalb bewegt auch Annouri die Schließung des Kaufhauses sichtlich, obwohl sie selbst nach dessen Schließung weiter im Caritas-Verband arbeiten wird.

In guten Zeiten haben im Luise 34 im Schnitt 75 Menschen eine Arbeitsgelegenheit erhalten, mit deren Hilfe sie im besten Fall wieder den Weg zurück auf den ersten Arbeitsmarkt finden konnten. Und wenn nicht, dann haben sie doch durch ihre Arbeit im Sozialkaufhaus eine Stabilisierung erfahren, das Gefühl dazuzugehören, wie Judith Dethlefsen-Wehr sagt. Die Sozialpädagogin leitet Luise 34 und koordiniert darüber hinaus die Familienbetreuung im Caritas-Verband Offenbach.

Langzeitarbeitslose, die in Einrichtungen wie Luise 34 tätig werden, bekommen in dieser Zeit weiter das Bürgergeld und eine "Mehraufwandsentschädigung". Die Träger sozialer Einrichtungen zahlen nur einen vergleichsweise geringen Betrag an die Kräfte und können so mehr von ihnen beschäftigen – beispielsweise um ein Sozialkaufhaus wie Luise 34 zu betreiben.

In den Hochzeiten waren genug Helfer da, um gespendete Möbel und Hausrat abzuholen und Gekauftes auszuliefern. Sogar ein Mittagessen für Kinder der Beschäftigten gab es, und in einem kleinen Café wurden Menschen aus der Nachbarschaft bewirtet. Doch diesen umfassenden Service kann das Team von Luise 34 längst nicht mehr bieten. Inzwischen sind nur noch 15 Helfer gelistet.

Das Offenbacher Sozialkaufhaus kann, ähnlich wie vergleichbare Einrichtungen in anderen Kommunen, die Spenden von Bürgern wie Möbel, Geschirr, Kleidung und dergleichen aber nur dann abholen, lagern und gegen einen geringes Entgelt wieder verkaufen, wenn genügend Arbeitskräfte für Logistik und Verkauf vorhanden sind, die nicht regulär entlohnt werden müssen. Sie sind auf die Langzeitarbeitslosen vom Jobcenter mit Arbeitsgelegenheit-Pauschalen angewiesen.

Da die Bundesregierung aber die "Leistungen zur Eingliederung in Arbeit" von 4,7 Milliarden Euro im Jahr 2023 auf 4,2 Milliarden Euro gekürzt hat und den Jobcentern damit eine halbe Milliarde Euro weniger zur Verfügung steht, geht diese Rechnung auch für die Stadt Offenbach nicht mehr auf. Das kommunale Jobcenter, die Mainarbeit, hat schon im laufenden Jahr nur noch rund sechs Millionen Euro zur Verfügung; nach 9,3 Millionen im Jahr 2023.

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Im nächsten Jahr werden es dann nur noch 2,3 Millionen Euro sein, mit denen die Mainarbeit die Eingliederungshilfe für Langzeitarbeitslose unterstützen kann. Allein in Offenbach wird damit die Zahl der über einen längeren Zeitraum arbeitslosen Frauen und Männer, die noch in einem passenden Hilfsprojekt betreut werden können, um zwei Drittel auf 2300 sinken.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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