Nahverkehr in Wiesbaden: Die Wiesbadener müssen den Busverkehr neu lernen. Mit dem neuen Nahverkehrsplan ändern sich nicht nur die Nummern der Linien, sondern auch Routen und Taktung.

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Bricht das Chaos aus, oder herrscht eitel Freude über einschneidende Verbesserungen im Wiesbadener Busverkehr? In der Stadtpolitik gehen die Erwartungen auseinander, doch Gegner hat der neue Nahverkehrsplan nicht. Im Mobilitätsausschuss enthielt sich die Opposition, während das Linksbündnis aus Grünen, SPD, Linken und Volt den 430 Seiten starken Plan verteidigte. SPD-Fraktionschef Silas Gottwald sprach von "der größten Reform im ÖPNV seit Jahrzehnten", mit der das Versprechen einer Neuordnung eingelöst werde.

Versprochen wird den Wiesbadenern ein transparentes, attraktives, klar gegliedertes und in seiner Qualität stark verbessertes Busnetz. Das soll schon für die Basisvariante gelten, obwohl nicht mehr Fahrplankilometer angeboten werden als heute.

Das wünschenswerte "Zielnetz" liegt noch in weiter Ferne, weil für fast 20 Prozent mehr Kilometer und erweiterte Routen mehr Geld, mehr Fahrer und mehr Busse notwendig sind. Darunter besonders lange Doppelgelenkbusse, für die mit Millionenaufwand ein zweiter Betriebshof an einem bislang unbekannten Standort gebaut werden muss.

Vertraute Linien erhalten neue Nummern

Die Wiesbadener werden ihren Busverkehr jedenfalls neu lernen müssen. Die bisher vertrauten Linien erhalten sämtlich neue Nummern und teils andere Routenführungen. Das ist das Ergebnis des Auftrags an die Planer.

Sie sollten den Busverkehr nicht einfach fortentwickeln, wie es seit den Achtzigerjahren mit jedem neuen Nahverkehrsplan geschehen ist. Vielmehr sollten sie auf Basis valider Daten auf einem "weißen Blatt Papier" den Busverkehr für eine Großstadt mit fast 300.000 Einwohnern und 26 teils ländlichen Stadtteilen und Vororten neu konzipieren. Und das unbelastet von einem "veralteten Liniennetz", wie Verkehrsdezernent Andreas Kowol (Die Grünen) sagt.

Beteiligt an der Neuordnung waren Behörden, Ortsbeiräte und Bürger. Letztere hatten sich unter anderem einen dichteren Takt auf den Hauptachsen, mehr schnelle Direktverbindungen in die City und in die weiter entfernt liegenden Ortsteile gewünscht.

Sprinterbusse fahren zügig in Stadtteile

Rückgrat des neuen Nahverkehrsplans sind die in Wiesbaden bislang unbekannten Metrobusse, die auf den Hauptachsen tagsüber im 15-Minuten-Takt unterwegs sind. Weil auf vielen Routen mehrere Buslinien geführt werden, ergibt sich für die an den Haltestellen wartenden Bürger ein dichterer Takt.

In der neuen "Hierarchie" darunter stehen die Stadtbusse für die Erschließung der Stadtteile. Als Premiumprodukt gelten Sprinterbusse, die Fahrgäste möglichst zügig zwischen der City und den entlegeneren Stadtteilen befördern sollen. Vergleichsweise wenige Haltestellen sollen die Fahrzeit kurz halten. Ergänzt wird das Angebot durch Rufbusse (On-demand-Verkehr): Das sind Kleinbusse, die auf Bestellung via Internet, App oder Telefon angefordert werden.

Die Verkehrsplaner halten das für ein klares und abgestuftes Konzept. Ihr wichtigstes Argument: Das Reisezeitverhältnis wird die kritische Marke von 1,5 nehmen. Das heißt, dass der Umstieg vom Auto auf den Bus weniger als die eineinhalbfache Zeit in Anspruch nehmen wird. Geht es schneller, wächst die Zahl der Autofahrer, die dem Nahverkehr eine Chance geben.

Dem Basisnetz wird ein Wert von 1,4 zugebilligt, dem wünschenswerten Zielnetz einer von 1,3. Vor allem die neuen Tangentiallinien und die Direktverbindungen sollen attraktiv sein.

Stichtag für die gesamte Umstellung noch unklar

Wann das Vorhaben in konkrete Fahr- und Dienstpläne bei Eswe Verkehr mündet und welcher Stichtag für die Umstellung infrage kommt, ist noch nicht entschieden. Verkehrsdezernent Kowol nannte den Sommer 2026 ein ambitioniertes Ziel. Von der CDU gab es den Hinweis, dass das Kommunalwahljahr im Frühjahr 2026 womöglich kein geeignetes Umfeld für eine derart gravierende Umstellung sei, die mehr als 60 Millionen Fahrgäste im Jahr betreffen werde.

Kowol erwartet nach der Umstellung und der Eingewöhnung eine weitere Steigerung der Fahrgastzahlen. Der Marktanteil der Busse soll um 1,9 Punkte auf 18,7 Prozent zulegen.

Kowol deutete aber an, dass die Umstellung erst im Sommer 2027 greifen könnte, zumal eine Öffentlichkeitskampagne nötig werde, um die Bürger vorzubereiten. Am Geld werde es für das Basisnetz nicht scheitern, sagt Kowol. Er geht davon aus, dass der vom Linksbündnis gewährte Zuschuss in Höhe von 64 Millionen Euro an Eswe Verkehr auch in den nächsten Jahren gezahlt wird. Bis Herbst 2025 will Eswe den Finanzbedarf für das Basisnetz ermitteln.

Allerdings steht die Realisierung des Plans unter einem Finanzierungsvorbehalt. Dass sich die Opposition bei der Abstimmung nur enthielt, lag unter anderem an "politischen Aussagen" im Plan, die etwa Marc Dahlen (CDU) nicht teilte. So halten es die Planer für "zwingend erforderlich, langfristig in den Bau eines hochwertigen kommunalen Schienenverkehrsmittels für Wiesbaden zu investieren, um die Mobilitäts- und Klimaziele zu erreichen".

Das wird von der Opposition als Ankündigung einer Neuauflage der Citybahn-Debatte verstanden. Martin Kraft (Die Grünen) warb dafür, die Änderung nicht mit Ängsten zu befrachten und mehr Mut aufzubringen: "Die Welt hat sich weitergedreht."

Alexander Winkelmann (FDP) hätte sich viele Elemente des Plans, wie die Einführung von Tangentiallinien, schon als Alternative zur Citybahn gewünscht. In den östlichen Vororten gebe es zudem Bedenken, dass der neue Plan nicht wirklich Verbesserungen bringe.

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Christian Hill (FWG/ Pro Auto) sieht mit der Planänderung eine große Verwirrung auf die Wiesbadener zukommen, die sich neu orientieren müssten, weil bei dem seit vielen Jahren vertrauten Busnetz kein Stein auf dem anderen bleibe. Zudem schwebe über allem das "Damoklesschwert der Wiesbadener Finanzen: Es wird nicht billiger".  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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