Kunsthandlung Schneider: Hervorgegangen aus einer Vergolderwerkstatt, ist die Frankfurter Kunsthandlung J.P. Schneider jr. ein Familienunternehmen in fünfter Generation.

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Zum Jubiläum zeigt sie ihre Schätze in einer reizvollen Ausstellung., Hervorgegangen aus einer Vergolderwerkstatt, ist die Frankfurter Kunsthandlung J.P. Schneider jr. ein Familienunternehmen in fünfter Generation. Zum Jubiläum zeigt sie ihre Schätze in einer reizvollen Ausstellung.

Der Weg zum Glück führt durch die alte, untergegangene Welt. In eine andere Zeit, die aber so fremd bei genauerer Betrachtung gar nicht ist. Auch wenn aus der 1824 von Christian Schneider gegründeten Vergolderwerkstatt in der Frankfurter Altstadt und aus dem von seinem Sohn Johann Peter um eine Spiegelfabrik erweiterten Unternehmen schon vor 140 Jahren die Kunsthandlung J.P. Schneider jr. geworden ist. Und es längst nicht mehr zum guten Ton gehört, dass sich die Frankfurter Gesellschaft sonntags nach dem Kirchgang in gediegener, ja musealer Atmosphäre in Schneiders Kunstsalon am Roßmarkt trifft.

Weitaus weniger Menschen besuchen heute die Gottesdienste, und auch der Stellenwert der Kunst ist längst ein anderer. Maler wie Hans Thoma oder Oswald Achenbach, Franz von Stuck oder der 1933 von seiner Professur an der Städelschule verjagte Jakob Nussbaum, deren atelierfrische Werke vor 100 oder 120 Jahren die Besucher in Scharen in die 1884 von Gottfried Andreas übernommene und in die Stadtmitte verlagerte Kunsthandlung strömen ließen, sind längst nicht mehr der neueste Schrei. Bis zu 30 Angestellte habe J.P. Schneider jr. um das Jahr 1900 herum gehabt, weiß Max Andreas, der die Kunsthandlung nach dem Tod des im Mai dieses Jahres im Alter von 74 Jahren verstorbenen Seniorchefs Christoph Andreas in fünfter Generation führt.

Und hier, im Foyer der Jugendstilvilla im Westend, wo J.P. Schneider jr. seit ein paar Jahren zu Hause ist, mag man immerhin noch ahnen, welchen Glanz die wöchentlichen Vernissagen einst verbreiteten. Möchte man sich Otto Scholderer oder Carl Morgenstern, Max Slevogt, Gustave Courbet vielleicht oder auch Louis Eysen vorstellen und wie die hofierten Malerfürsten jener Jahre alle heißen, wie sie mit Gottfried Andreas und später seinen Söhnen Carl und Fritz und einem schon damals internationalen Publikum auf die Ausstellung anstoßen und auf die Kunst. Sieht man von den Überlieferungen der Zeitzeugen und der einstigen Gesellschafter Fritz und schließlich Kurt, dem Vater von Christoph Andreas, ab, weiß man davon aber im Grunde wenig.

"Wenn ich gewollt hätte, hätte ich auch Bergsteiger werden können"

So ist nicht gesichert überliefert, wie die sonntäglichen Eröffnungen nach dem Gottesdienst in Sankt Katharinen sich seinerzeit gestalteten und ob Künstler wie Courbet, wie Ottilie Roederstein, die immerhin in Frankfurt und später dann in Hofheim lebte, ob Jakob Nussbaum oder gar Max Liebermann je den lichten weiten Saal betreten haben, in dem für ein paar Tage oder Wochen ihre Werke hingen. Wurde die Kunsthandlung, wurden Lager, Inventar und Archivalien im Feuersturm 1944 doch beinahe vollständig zerstört. Geblieben von der einstigen Pracht sind wenige Originale, Einladungskarten und Fotografien des dicht an dicht mit den Gemälden Roedersteins oder auch Franz von Stucks ausgestatteten Oberlichtsaals. Und: die Malerei.

Soll heißen, die Kunst des späten 18., des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, für die J.P. Schneider jr., trotz der einen oder anderen Akzentverschiebung, bis heute beim Publikum und seinen treuen Kunden steht. Jene Epoche also, mit der die Familie Andreas ihr Geschäft über Generationen von einer Galerie zur Kunsthandlung entwickelt hat. Mithin zu einer Institution, die nicht lebende Künstler aufzubauen und auf dem Markt zu etablieren versucht, wie es die Galerien auch der Gegenwart sich auf die Fahnen schreiben, sondern die sich ausschließlich mit Werken beschäftigt, deren Schöpfer längst verstorben und zu gesuchten Raritäten oder gar zu Klassikern geworden sind. Dabei, so Andreas, sei es immer ein überschaubarer Kreis an Menschen, der sich von dieser Kunst faszinieren lasse.

Andererseits setze sich die Leidenschaft des Sammelns in einer Familie nicht selten über Generationen fort. Sie finde seine Entsprechung im lange gewachsenen Vertrauensverhältnis zum Kunsthändler. Am Programm, sagt der 1987 geborene Max Andreas, am Profil von J.P. Schneider jr. werde sich denn auch nach dem plötzlichen Tod von Christoph Andreas nichts ändern. Weniger aus Pflicht und Tradition oder weil es am Bewährten nun einmal festzuhalten gälte. Sondern aus Überzeugung und aus Neigung. "Wenn ich gewollt hätte, hätte ich auch Bergsteiger werden können", sagt Max Andreas. Seine Eltern hätten ihm bei der Zukunftsplanung keine Steine in den Weg gelegt. Doch seine Begeisterung für ein atemberaubendes, im Grunde von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg währendes und die Welt vollkommen veränderndes Jahrhundert ist aufrichtig und echt.

Zahlreiche Arbeiten an Liebhaber verkauft

Sie wirkt ansteckend, lässt man sich von dem in München ausgebildeten Kunsthistoriker durch die zum Jubiläum eingerichtete Ausstellung führen. Dabei ist der im hauseigenen Verlag aufgelegte Katalog zum 200. Geburtstag im Grunde schon wieder veraltet. So sind Christian Stöcklins Ende des 18. Jahrhunderts entstandene Ansichten der Kircheninterieurs von Frankfurter Dom und Liebfrauenkirche, von Sankt Katharinen und Sankt Leonhard vom 25. Oktober an in der "Raumwunder"-Ausstellung des Dommuseums zu sehen – und ist Caspar David Friedrichs frühes, bis vor ein paar Jahren noch gänzlich unbekanntes Skizzenblatt zum 250. Geburtstag des Künstlers gerade nach Berlin verliehen.

Zahlreiche Arbeiten wie Otto Scholderers um 1884 in Öl auf Karton entstandene Landschaft, Georges Michels erstaunlicher, wohl um 1800 entstandener "Aufziehender Sturm", Carl Morgensterns "Schwanheimer Eichen" oder Adolf Schreyers "Zwei arabische Reiter an einer Felswand" waren überdies schon bald an Liebhaber verkauft. Die Qualität aber ist auch in der jetzt aktuellen Hängung außerordentlich. Sie kann mit einer raren, zu Lebzeiten des Künstlers vermutlich kaum je gezeigten Voralpenlandschaft von Carl Spitzweg, mit Eugen Brachts "Felslandschaft im Tessin", zwei herrlichen Pastellen von Max Liebermann oder mit Johann Christian Clausen Dahls bezauberndem, kaum postkartengroßem "Seesturm" beglückende Akzente setzen.

Eine Frage des Anstands, nicht der Wiedergutmachung

Keineswegs zuletzt machen auch die Maler des "französischen Jahrhunderts", wie Andreas es nennt, den besonderen Reiz aus. Da sind etwa eine frühe, in Öl auf Papier entstandene "Paysage panoramique" Théodore Rousseaus, eine verblüffend modern anmutende, in den späten Achtzigerjahren des 18. Jahrhunderts in Öl auf Holz gemalte Studie Jean Joseph Xavier Bidaulds und die eigens für die Schau aus einer Privatsammlung entliehenen Landschaften Camille Corots, deren die Moderne ankündigendem Charme man sich schwerlich nur entziehen kann. Weshalb man Max Andreas tatsächlich nur beneiden kann. "Es ist ein Privileg, mit der Kunst zu arbeiten", räumt der junge Kunsthändler ein. "Und mit Menschen, die sich dafür begeistern." Überwindung kostet ihn der Handel offenbar dennoch manchmal, weil schon mal Bilder angeboten werden, "die man am liebsten behalten" möchte.

Die Arbeit des Kunsthändlers, sagt Andreas, sei ungeheuer vielseitig. Von der Recherche über den Kontakt zu Museen, Wissenschaftlern und privaten Sammlern bis zur eingedenk von Kunstraub, Vertreibung und Ermordung der früheren jüdischen Besitzer in den vergangenen Jahren immer wichtiger gewordenen Provenienzforschung gelte es, sich der Kunst aus höchst unterschiedlichen Perspektiven zu nähern. Auch hier also bleibt Max Andreas dem vor Jahrzehnten eingeschlagenen Weg des Unternehmens treu. Denn die Kunsthandlung J.P. Schneider jr. und namentlich Christoph Andreas haben sich auf dem Feld der Provenienzforschung und in der Frage von Restitutionen an die Erben der einstigen Besitzer einen weit über die Region und die Grenzen Deutschlands hinausweisenden Ruf erworben.

"Das ist ein Thema, das uns immer beschäftigen wird", so Sohn Max. "Es ist essenziell zu wissen, wo ein Bild zwischen 1933 und 1945 gewesen ist." Eine Sisyphusarbeit ist das mitunter und längst nicht immer von Erfolg gekrönt. Dabei stelle ein jedes erfolgreich abgeschlossenes Restitutionsverfahren nicht mehr als ein kleines Sandkorn vor, wie Andreas formuliert, wobei jedoch jedes dieser Körnchen ein auf dem Feld der Kunst verlegter Stolperstein ist, der die Vergangenheit mit unserer Welt der Gegenwart verbindet. Es ist eine Frage des Anstands, wie Christoph Andreas wohl gesagt hätte. Nicht der Wiedergutmachung. Das verbietet sich angesichts der Opfer und der wahrlich ungeheuren Vielzahl ungeklärter Fälle. Vielmehr ist es eine Frage der Gerechtigkeit.

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200 Jahre Kunsthandlung Schneider: Die laufend aktualisierte Ausstellung ist für Besucher in der Kunsthandlung J. P. Schneider jr., Im Trutz Frankfurt 2, Frankfurt, nach Vereinbarung unter kontakt@j-p-schneider.com oder der Rufnummer 069/281033 geöffnet.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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