Verdacht auf Geldwäsche: Das Landgericht Darmstadt hat ein Urteil über Hawala-Banking gefällt. Diese alte orientalische Form des Finanzverkehrs ist illegal – aber weit verbreitet.

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Die Wanze im Auto des Verdächtigen hat sich als Volltreffer erwiesen. Der Mann sitzt immer wieder mit einem Beifahrer im Wagen, spricht über seine Geschäfte. Die Polizei hört mit, was der Syrer aus dem südhessischen Dreieich alles sagt. Und auch, wenn er allein im Wagen sitzt, langweilig wird es nie. Sprachnachrichten, in denen es um Geldgeschäfte geht, nimmt der Mann während der Fahrt auf, "im Minutentakt", wie eine Kriminalpolizistin sagt, die im Verfahren gegen den Beschuldigten als Zeugin vor dem Landgericht Darmstadt geladen ist. Immer wieder ging es nach ihren Worten um Provisionen, Wechselkurse und um Geld, das eingezahlt werden soll.

Die Geschäfte, die ihm vorgeworfen werden, bezeichnen die Ermittler als "Hawala-Banking". Dabei geht es nicht um das Verleihen oder Anlegen von Geld, sondern um den Transfer von Werten ins Ausland. Das System ist im Mittelalter im Nahen Osten entstanden und ist damit älter als das legale Bankensystem, das aus der Tätigkeit der Geldverleiher in der Renaissance in Norditalien hervorgegangen ist.

Der Geldverkehr auf Hawala-Art basiert auf Vertrauen. Die Ein- und Auszahlungen werden in bar abgewickelt, Geldgeber und Empfänger bleiben anonym. Eine offizielle Buchhaltung, in der Namen und Beträge dokumentiert werden, gibt es nicht. Die Zahlungen sind der staatlichen Kontrolle entzogen – anders als Überweisungen bei legalen Banken, die noch Jahre später nachvollzogen werden können. "Konspirativ" nennt der Staatsanwalt dieses Vorgehen, er spricht von "Untergrundbanken, Schattenbanken".

Günstiger ist als legaler Geldtransfer

Wer Geld verschicken will, zum Beispiel ein Flüchtling, der seiner Familie im Heimatland etwas zukommen lassen möchte, vertraut das Geld einem Hawala-Banker in Deutschland an. Dessen Partner in einem anderen Land, etwa der Türkei oder Syrien, gibt dort gegen ein Codewort den Betrag abzüglich einer Provision heraus.

Asylbewerber nutzen das Hawala-Banking häufig, wenn in ihren Heimatländern wegen des Bürgerkriegs das reguläre Bankensystem zusammengebrochen ist und legale Überweisungen nicht möglich sind, wie es in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Darmstadt heißt. In vielen Fällen wechseln Beträge von nur 100 bis 200 Euro den Besitzer. Die legalen Anbieter von Geldtransfers verlangen dafür viel höhere Gebühren als die Hawala-Banker.

Im Fall des Syrers wurde auch das Mobiltelefon überwacht, wie die Polizistin vor Gericht weiter sagt. Vor allem die Bewegungsdaten, die das Telefon lieferte, waren für die Ermittler wertvoll, weil der Mann in ganz Deutschland unterwegs war. Die Überwachung habe so viel Material erbracht, dass sechs Dolmetscher damit beschäftigt gewesen seien, das auf Arabisch Gesprochene zu übersetzen und aufzuschreiben.

Inzwischen steht fest: Die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts wird den Angeklagten schuldig sprechen und zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilen, weil er nach Überzeugung der Richter Finanzgeschäfte abgewickelt hat, für die er eine Genehmigung der Bankenaufsicht gebraucht hätte. Diese Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) fehlte dem Mann aber, deswegen muss sich der 50 Jahre alte Hesham A. vor Gericht verantworten.

Kioske und Imbissläden als Zahlungsbüros

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft gibt es für das Hawala-Banking keine Filialen, die von außen als solche erkennbar wären. Vielmehr dienen Kioske, Imbisslokale und andere Geschäfte als Zahlungsbüros. Verabredet werden die Einzahlung und die Höhe der Provision in Whatsapp-Gruppen. Wie die Kriminalpolizei beobachtet hat, kamen die Kunden von Hesham A. oft zu ihm nach Hause. Auf Überwachungsvideos werden Geldscheine aus der Tasche gezogen, wie die Beamtin als Zeugin im Gericht weiter sagt.

Kennzeichnend für das System ist, dass Geld nicht physisch den Ort wechselt. Das heißt, es werden nicht Bündel von Scheinen ins Zielland transportiert. Vielmehr verrechnen die Partner untereinander den Transfer mit umgekehrten Zahlungen. Fließt aber mehr Geld in eine Richtung als zurück, so wie aus Deutschland in den Nahen Osten, muss ein Ausgleich geschaffen werden. Denn mit Einzahlungen in Deutschland wird der "Topf", von dem die Ermittler vereinfachend sprechen, hierzulande immer voller. Währenddessen leert sich der "Topf" im anderen Land, aus dem das Geld für die Empfänger genommen wird.

Dieser Ausgleich zwischen den "Töpfen" ist ebenfalls Gegenstand des Darmstädter Prozesses. Der zweite Angeklagte, ein 36 Jahre alter Autohändler aus Ägypten, hat den Export von Autos vermittelt, wie Marwan E. im Prozess zugegeben hat. Kunden in Ägypten haben bei ihm Fahrzeuge bestellt, die er dann in Autohäusern in Deutschland ausgesucht hat. Die Besteller der Autos zahlten in Ägypten bei Hawala-Bankern ein. Aus dem "Topf" in Deutschland wurde der Kaufpreis bei den Autohäusern beglichen.

Bank vermutete Geldwäsche

Dazu hat der Hauptangeklagte Hesham A. ein Konto eröffnet, in das bar eingezahlt wurde und von dem an die Autohäuser überwiesen wurde, wie der Syrer im Gerichtssaal berichtet. Doch dabei gab es nach seinen Worten Schwierigkeiten, denn die Bank wurde wegen der vielen hohen Bareinzahlungen misstrauisch und schloss das Konto wegen des Verdachts auf Geldwäsche.

Auf das Hawala-Banking sind die Strafverfolger erst vor einigen Jahren aufmerksam geworden, als solche Geschäfte mit einer Änderung des Finanzdiensteaufsichtsgesetzes illegal wurden. Der angeklagte Syrer war dabei eine Art Regionalleiter für das Rhein-Main-Gebiet, baute sich ein eigenes Netz aus Helfern auf, die für ihn Geld einsammelten – davon sind Anklage und Richter überzeugt.

Trotz der aufwendigen Ermittlungen braucht der Darmstädter Prozess nur vier Verhandlungstage. Denn beide Angeklagte gehen auf einen "Deal" ein und legen umfangreiche Geständnisse ab. Die Richterkammer hat die Urteilsabsprache schon vor der Hauptverhandlung mit den Verteidigern ausgehandelt.

Wie es in der Einlassung von Hesham A. heißt, hat er das Hawala-Banking zunächst als Kunde für die Unterstützung seiner Familie genutzt, nachdem er 2015 als Flüchtling nach Deutschland gekommen war. Als er einmal den Kontakt zu den "Geschäftsleuten" gefunden hatte, zahlte er auch für Bekannte ein. Bei einer Fahrt durch die Schweiz wurden 200.000 Euro beschlagnahmt, die ihm nicht gehörten. Deshalb stand er unter Druck, diese Schulden abzuarbeiten.

Richterin: Hawala-Banking schafft Drogengeld ins Ausland

In der Urteilsbegründung wird Hawala schließlich als "Schattenfinanzsystem" bezeichnet, das aus guten Gründen verboten ist. Denn der anonyme Geldverkehr ist nicht nur für Flüchtlinge interessant, sondern auch für die organisierte Kriminalität, die sich des Systems bedient, um Geld zu waschen und Gewinne etwa aus dem Drogenhandel ins Ausland zu schaffen, wie die Vorsitzende Richterin ausführt. Zugunsten der Angeklagten werden die Geständnisse berücksichtigt, denn ohne diese hätte der Prozess sich viel länger hingezogen, weil der Geldfluss Schritt für Schritt hätte nachgewiesen werden müssen.

Strafverschärfend wirkt allerdings, dass es dem Hauptangeklagten egal war, aus welchen Quellen, legal oder illegal, das von ihm transferierte Geld stammte, wie es in der Urteilsbegründung heißt. Das entnehmen die Richter den von der Polizei abgehörten Gesprächen. Die Wirtschaftsstrafkammer stellt in ihrem Urteil fest, dass der Syrer fast zwei Millionen Euro bewegt und dafür rund 25.000 Euro an Provisionen kassiert hat.

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Mit der Entscheidung des Landgerichts Darmstadt ist nur ein kleiner Teil des Materials abgearbeitet, das die monatelangen Ermittlungen ergeben haben. Im Juli 2023 waren 99 Wohnungen und Büros in Deutschland, Polen, Österreich und den Niederlanden durchsucht worden. Immerhin ist nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft der Hauptbeschuldigte verurteilt worden. Die übrigen 36 Personen, gegen die noch ermittelt wird, sind nach Angaben der Strafverfolger dessen Helfer und Partner gewesen. Anklagen gegen sie werden vorbereitet.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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