Social-Media-Hysterie: Gibt es keine anderen Probleme auf der Welt? Doch – und nicht zu knapp. Vermutlich ist das auch ein Grund für den Hype um Dubai-Schokolade.

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Trumps Wahlsieg erschüttert die internationale Ordnung, in Berlin zerfällt die Ampelkoalition, die UN-Klimakonferenz verhandelt über die Zukunft des Planeten. Und mit was beschäftigen sich die Menschen? Mit Dubai-Schokolade. In der Schlange, die sich in dieser Woche vor dem Geschäft des Schokoladenherstellers Lindt an der Frankfurter Kaiserstraße bildete, standen manche die halbe Nacht an, andere hatten Hunderte Autobahnkilometer zurückgelegt, um rechtzeitig zur Ladenöffnung da zu sein und für 14,99 Euro eine Tafel zu ergattern.

Verrückte Welt. In den Besitz einer mit Pistazien, zarten Teigfäden und gerösteten Sesamkernen gefüllten Süßigkeit zu kommen, die durch Tiktok und geschicktes Verknappungs-Marketing zum Hype geworden ist – haben wir keine anderen Probleme? Doch, die haben wir und nicht zu wenige.

Vermutlich ist das ein Grund, warum sich so viele nach Dubai-Schokolade sehnen. Und wo es ein Bedürfnis gibt, da gibt es in der Marktwirtschaft auch ein Angebot: So haben zwei clevere Ladeninhaberinnen aus dem mittelhessischen Linden den Confiserie-Trend früh erkannt und machen nun das Geschäft ihres Lebens.

Phantasien von Luxus und Sinnesfreuden

Wer meint, das sei alles eine überdrehte Social-Media-Hysterie, hat einerseits recht. Andererseits ist kein Medium und kein Influencer in der Lage, einen Hype aus dem Nichts zu schaffen. Videos, in denen die angeblich beste neapolitanische Pizza der Welt gekürt, die neueste Sauerteigkreation aus dem heimischen Ofen präsentiert wird, in denen Youtuber oder Instagrammer so herzhaft in Hamburger und Döner-Taschen beißen, dass ihnen die Soße nur so an den Mundwinkeln herunterläuft, fluten das Internet. Nichts läuft derzeit so gut wie Food-Content.

Und warum schlagen sich die Leute ausgerechnet für Dubai-Schokolade und nicht für – sagen wir – Frankfurter Bethmännchen die Nacht um die Ohren? Ein klein wenig wird es auch mit dem Namen zu tun haben. Dubai, das klingt nach dem, was früher als Morgenland bezeichnet wurde und noch immer Phantasien von Luxus und Sinnesfreuden, im von Stagnation ermatteten Europa inzwischen auch von wirtschaftlicher Dynamik aufkommen lässt.

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Dass man den Namen der Emirate-Hauptstadt auch mit dem hemmungslosen Verbrennen fossiler Energieträger oder eingeschränkter Meinungsfreiheit verbinden könnte – geschenkt. Für den Moment zählt der Genuss. Die Welt ist grau genug.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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