Frankfurt im Jahr 1925: Vor 100 Jahren erlebte die Mainmetropole unter Oberbürgermeister Ludwig Landmann einen wahren Modernisierungsschub. Viele der Themen von damals sind auch heute wieder aktuell.
Die Inflation ist gebannt, doch noch steckt der Schrecken der Geldentwertung den Frankfurter Bürgern in den Knochen: Die Rede könnte durchaus von heute sein, doch wir sprechen nicht von 2024, sondern von 1924. Wie furchtbar der Währungsverfall vor einem Jahrhundert auch Frankfurt traf, zeigt exemplarisch die Entwicklung der Straßenbahntarife im Jahr der Hyperinflation 1923: Dreißigmal musste die Stadt damals innerhalb von zwölf Monaten den Preis für die Fahrkarten verändern. Im Februar jenes Jahres konnten die Frankfurter die kleinste Teilstrecke von zwei Kilometern noch für 200 Mark zurücklegen, im Juni mussten sie dafür schon 1500 Mark aus ihrer Brieftasche kramen, im September gar eine Million und schließlich Ende November unvorstellbare 90 Milliarden Mark. Für ein Straßenbahnticket.
Mit der Einführung der Rentenmark am 15. November 1923 wurde dem Spuk dann ein Ende bereitet. Und Ende 1924 warf die "Frankfurter Zeitung", das Vorgängerblatt der F.A.Z., einen Blick zurück auf das vergangene Wirtschaftsjahr. Die Überschrift des Artikels lautete: "Währungsreform und Wirtschaftssanierung". Tatsächlich war das Wirtschaftsleben 1924 auch in der Mainmetropole wieder einigermaßen gesundet. Und nun, im neuen Jahr 1925, erhofften sich Stadtregierung und Bürgerschaft einen weiter gehenden Aufschwung. Allerdings auf ein, von heute aus betrachtet, bescheidenes Niveau.
Wie hatte Oberbürgermeister Ludwig Landmann bei seinem Amtsantritt am 18. November 1924 gesagt: "Ich weiß, dass wir in einer Zeit der Verarmung leben." Um sogleich hinzuzufügen: "Das soll uns aber nicht davon abhalten, großen Zielen nachzugehen." Und das taten Landmann und seine Stadtregierung dann tatsächlich auch mit einigem Erfolg. Heute, 100 Jahre später, lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass die Wahl Landmanns zum Oberbürgermeister ein Schlüsselereignis der jüngeren Frankfurter Geschichte war. Ohne das von ihm initiierte Modernisierungsprogramm sähe die Stadt heute anders aus und stünde wirtschaftlich, sozial und kulturell vermutlich deutlich schlechter da.
2025 blickt die Stadtregierung der Finanzmetropole auf ganz ähnliche Herausforderungen wie damals vor 100 Jahren. Die Stadt braucht mehr Wohnungen, sie muss neue Schulen bauen und alte sanieren. Frankfurt muss seine Verkehrsinfrastruktur und seine Energieversorgung auf den modernsten Stand bringen. Die Wirtschaft benötigt Entwicklungsmöglichkeiten, die Messe und der Flughafen müssen weiterhin florieren.
Apropos Flughafen: Der war 1925 noch ein Hoppelfeld am Rebstock. Aber Oberbürgermeister Landmann erkannte vor den meisten anderen deutschen Politikern das Potential der Luftfahrt, und so beschloss der Magistrat unter anderem auf seine Initiative hin, den Flughafen Rebstock zu einem Zentralflughafen auszubauen und dafür eine städtische Gesellschaft zu gründen. So meldete es die "Frankfurter Zeitung" am 6. Dezember 1924. Die neue Gesellschaft solle sich aber selbst tragen, nachdem sie von der Stadt ein verzinsliches Darlehen von 200.000 Mark erhalten habe. Das Tiefbauamt und das Verkehrsamt wurden per Magistratsbeschluss beauftragt, Straßen und eine Straßenbahnverbindung zu dem geplanten Zentralflughafen zu bauen.
Aus der damaligen städtischen Gesellschaft ist die 1947 gegründete, heutige Fraport AG geworden, an der die Stadt beziehungsweise die Stadtwerke 20 Prozent und das Land Hessen 31 Prozent der Anteile halten. Der Konzern betreibt heute unter anderem den Frankfurter Flughafen, beschäftigt weltweit rund 18.000 Mitarbeiter und setzt ungefähr vier Milliarden Euro im Jahr um. Damals, Anfang Januar 1925, legte der Magistrat den Grundstein dafür, dass Frankfurt heute einen Weltflughafen hat – der allerdings im harten Wettbewerb mit anderen internationalen Drehkreuzen steht und im Augenblick mit einer zu schwierigen Kostenstruktur zu kämpfen hat.
Sozialdemokratischer Reichspräsident Friedrich Ebert als Feindbild
Im Rathaus Römer hatte sich Ende 1924 das demokratische System stabilisiert, die Politik Landmanns wurde von den Demokraten, den Sozialdemokraten und dem Zentrum mitgetragen. Doch im Rest der Republik attackierten immer wieder rechte Parteien und vor allem die Nationalsozialisten die Weimarer Demokratie. Eines ihrer Feindbilder war der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert, dem sie Landesverrat vorwarfen, weil er während des Ersten Weltkrieges Streiks unterstützt hatte. Ebert klagte gegen einen Redakteur, der diese Behauptung in seiner Zeitung verbreitet hatte, wegen "übler Nachrede", doch ein Schöffengericht in Magdeburg verneint diesen Tatbestand.
Die "Frankfurter Zeitung" schrieb daraufhin ironisch von einem "lieblichen Weihnachtsgeschenk" an das deutsche Volk: Ihm sei vom Magdeburger Gericht mitgeteilt worden, dass der Reichspräsident vor sieben Jahren Landesverrat begangen habe. Reaktionäre aller Farben hätten ein solches Urteil ersehnt, hieß es in der Zeitung. Die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung aber stellte sich zu Jahresbeginn 1925 in ihrer Mehrheit demonstrativ hinter Ebert und entbot ihm aus Anlass der gegen ihn gerichteten Angriffe ihre Hochachtung und Verehrung.
Wie stark die in der "Frankfurter Zeitung" erwähnten reaktionären Kräfte geworden waren, zeigt das Beispiel von Weimar. Am 13. Januar vermeldete die Zeitung das Ende des Bauhauses, jener 1919 von Walter Gropius gegründeten Kunstschule, die heute als Heimstätte der klassischen Modernen in Architektur, Kunst und Design gilt. Die von der NSDAP tolerierte thüringische Regierung unter Richard Leutheußer von der Deutschen Volkspartei hatte dem Bauhaus die finanziellen Zuschüsse so stark beschnitten, dass die Kunstschule gezwungen war, nach Dessau umzusiedeln.
Die Vorbehalte der Rechtsradikalen und der völkischen Bewegung gegen den Modernismus des Bauhauses haben sich bis heute gehalten. Auch die AfD wetterte jüngst gegen das Bauhaus: Die Fraktion im sächsischen Landtag bezeichnete die Modernisierungsbewegung als "Irrweg der Moderne" und sprach von "Bausünden". Man darf vermuten, dass die Rechtspopulisten auch das "Neue Frankfurt" als einen Irrweg ansehen.
Dieses "Neue Frankfurt" war das Frankfurter Pendant zum Bauhaus. Oberbürgermeister Landmann hatte die Reformbewegung damals ins Leben gerufen. Für die Ausführung seiner Pläne benötigte er einen Städtebauer, der, wie die "Frankfurter Zeitung" am 24. Februar 1925 forderte, eine "allererste technische Kraft" sein müsse. Der neue Mann müsse einen langfristigen "Generalsiedlungsplan" erstellen, einen geschlossenen Grüngürtel rund um die Stadt schaffen, einen Durchgangsbahnhof als Ergänzung des Hauptbahnhofs planen und das Straßen- und Trambahnnetz ausbauen. Zudem sei es die Aufgabe eines solchen Städtebauers, Neuland für Wohnsiedlungen zu gewinnen.
Auch das klingt erstaunlich nach aktuellen Themen im Jahr 2025. Den Grüngürtel gibt es mittlerweile. Für einen Durchgangsbahnhof in der Form eines Tunnels unter dem Hauptbahnhof erstellt die Bahn seit einiger Zeit ernsthafte Pläne. Die Suche nach neuen Siedlungsflächen ist in der Kommunalpolitik seit Jahren ein Großthema, und der Ausbau des Straßenbahnnetzes steht auch seit geraumer Zeit wieder auf der Tagesordnung.
Doch zurück ins Jahr 1925: Landmann fand damals mit Ernst May den richtigen Städtebauer. Der in Frankfurt geborene Architekt wurde vom Oberbürgermeister zum Stadtbaumeister berufen und erhielt den Doppelauftrag, einen Generalbebauungsplan für Frankfurt aufzustellen und ein langfristiges Wohnungsbauprogramm zu verwirklichen.
Einen Vorgeschmack auf das gewaltige Bauprogramm des "Neuen Frankfurts" bekamen die Frankfurter dann am 21. Mai 1925 zu sehen. An diesem Tag wurde nämlich das neue Waldstadion nach vier Jahren Bauzeit eröffnet, das passende Schwimmbad nebenan wurde ein knappes halbes Jahr später fertig. Ihre erste große Bewährungsprobe erlebte die Arena schon nach einigen Wochen: Vom 24. bis 28. Juli 1925 fand dort die erste Arbeiter-Olympiade statt, ein großes Sportfest der internationalen Arbeiterbewegung. Damals fasste das Stadion 35.000 Zuschauer, heute finden im inzwischen nach einem Sponsor benannten "Deutsche Bank Park" knapp 60.000 Besucher Platz und – die Frankfurter sprechen immer noch lieber vom Waldstadion.
Die Reformbewegung "Neues Frankfurt" hat die Stadt baulich enorm bereichert. Innerhalb von etwa sieben Jahren wurden damals in Frankfurt etwa 12.000 neue Wohnungen gebaut: in der Römerstadt etwa und in den Siedlungen Hellerhof, Bornheimer Hang und Bruchfeldstraße. Helligkeit, Klarheit, Nüchternheit, Bauten mit Flachdach und ohne Ornamente: Das sind bis heute die Kennzeichen der sogenannten May-Siedlungen. Heute dauert allein die Planung solcher Siedlungen sieben Jahre. Wegen ihrer Lage außerhalb der Kernstadt blieben die damals errichteten Wohngebiete im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs weitgehend unzerstört und prägen bis heute das Stadtbild.
Die Ikone des "Neuen Frankfurts" wurde die von Martin Elsaesser entworfene Großmarkthalle. Sie war viele Jahrzehnte für die Versorgung der Bevölkerung mit frischem Obst und Gemüse unverzichtbar, wurde aber 2004 geschlossen, weil ihre Technik nicht mehr den modernen Standards entsprach. Als architektonisches Kunstwerk hat sie allerdings überlebt: Wo früher Kartoffeln und Äpfel verkauft wurden, wachen heute Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank über den Euro.
2025 feiert Frankfurt den 100. Geburtstag des "Neuen Frankfurts". Die Stadt ist stolz auf diese Reformbewegung. Sie steht aber immer noch im Schatten des Bauhauses, obwohl in Frankfurt viel mehr im neuen Stil gebaut wurde als in Weimar. Die mangelnde Würdigung des "Neuen Frankfurts" hängt wohl auch damit zusammen, dass Ernst May und viele seiner Mitstreiter nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ihre Arbeit in der Sowjetunion fortzuführen versuchten, wo sie aber bald in Ungnade fielen. Danach blieben sie lange mehr oder weniger vergessen. Die Heroen des Bauhauses dagegen, etwa Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe, emigrierten in die Vereinigten Staaten, wo sie als Architekten Triumphe feierten und bis heute als Väter der Moderne gelten. Vielleicht kann Frankfurt jetzt im Jubiläumsjahr das Bild des "Neuen Frankfurts" wieder stärker erstrahlen lassen. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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