Frankfurter Schulen: Seit Anfang September wird im Neuen Gymnasium und im Stadtgymnasium in Frankfurt unterrichtet.

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Doch die meisten Schüler haben sich diese Schulen nicht ausgesucht. Das stellt Lehrer und Eltern vor große Herausforderungen.

Ein Jahr lang hat Torsten Schulz auf diesen Tag hingearbeitet. Mit den Schulämtern, im Planungsteam, mit dem künftigen Kollegium. Aber häufig auch allein, in seinem alten Büro im Adorno-Gymnasium. Am 27. August steht Schulz, groß gewachsen, mit Brille und im Anzug, vor den ersten Schülern seines neuen Gymnasiums. "Jetzt, wo ihr hier seid, sind wir erst eine richtige Schule."

Auch für die Schüler ist die Eröffnung des Stadtgymnasiums ein großer Tag: Willkommen in der fünften Klasse, die Grundschulzeit ist vorbei. Ein weiterer Schritt in Richtung Ernst des Lebens. Jedes Kind wird einzeln auf die Bühne gerufen, manche strahlen, andere schauen wie versteinert in die etwa hundert Augenpaare vor der Bühne oder suchen in der Menge nach den Gesichtern der Eltern.

Für Schulz ist der Tag kaum weniger bedeutend: "Es gab noch nie einen Tag in meinem Leben, an dem ich so aufgeregt war wie heute", sagt er zur Begrüßung.

Schulz ist Planungsgruppenleiter des Stadtgymnasiums Frankfurt, einer der beiden jüngsten Schulen der Stadt. Alle sagen Schulleiter zu ihm, aber wo es noch keine Schule gibt, gibt es auch keinen Schulleiter. Und bis ein Planungsgruppenleiter zum Schulleiter wird, muss ihn erst das Schulamt dazu ernennen.

Auch Schuldezernentin Sylvia Weber (SPD) wählt große Worte: "Eine der schönsten Aufgaben" sei die Eröffnung neuer Schulen für sie. Diese Woche sei das Stadtgymnasium schon die zweite, das komme nicht so häufig vor. Am Tag zuvor hat Weber das Neue Gymnasium eröffnet.

Beide Schulen teilen sich zunächst eine Containeranlage am Industriehof in Frankfurt-Bockenheim, bevor sie im kommenden Sommer in Teilen und 2026 dann ganz in das umgebaute Bürogebäude daneben einziehen sollen.

Beginn in einem Provisorium

Die Startbedingungen in einem Provisorium sind nicht leicht. Weil es keine Aula gibt, wird die Eröffnung im Saalbau Schönhof, dem nächstgelegenen Bürgerhaus, gefeiert. Eine Turnhalle fehlt auch noch. Und die meisten Schüler sind nicht hier, weil sie unbedingt an die beiden neuen Gymnasien wollten, sondern weil an ihren Wunschschulen kein Platz mehr frei war.

Schulz und Melitta Luta, die Leiterin der Planungsgruppe des Neuen Gymnasiums, sollen helfen, dass es in Frankfurt in den kommenden Jahren genug Gymnasialplätze gibt. Die Stadtbevölkerung und mit ihr die Schülerzahlen steigen seit 15 Jahren stark an.

Obendrein wollen tendenziell immer mehr aufs Gymnasium. Die meisten Frankfurter Schulen können nicht mehr erweitert werden. Damit alle die Schulform bekommen, die sie wollen, braucht es also neue Schulen. Die aufzubauen, das ist Schulz’ und Lutas Aufgabe.

Zunächst bedeutet das sehr viel Planung. Ein Schulprofil muss entwickelt werden: Welche Fächer sollen unterrichtet werden? Vieles davon ist festgelegt, aber in der Sekundarstufe eins, zwischen Grundschule und Oberstufe, haben die Schulen einigen Gestaltungsspielraum.

Es muss ein Kollegium eingestellt werden, am besten eines, das engagiert ist und auch mitgestalten will. Und Schüler müssen gefunden werden – ohne Gebäude, ohne Lehrkräfte und Erfahrungsberichte ist das besonders schwierig. Es bleiben nur Infoabende, Social-Media-Arbeit und eine Homepage.

Alles Arbeit, die die Planungsgruppen zu stemmen hatten. Schulz war die vergangenen fünfeinhalb Jahre stellvertretender Schulleiter des auch noch jungen Adorno-Gymnasiums. Dort wurde dieses Jahr der erste Abiturjahrgang verabschiedet. "Ich weiß, was Schule im Aufbau bedeutet", sagt er.

Auch sein neuer Stellvertreter, Julius Degünther, bringt in dieser Hinsicht Erfahrung mit, er war zuvor am ebenfalls noch im Aufbau befindlichen Gymnasium Nord in Hausen tätig sowie im Staatlichen Schulamt.

Seit Schulz im August 2023 die Verantwortung für das Stadtgymnasium übernommen hat, war er einige Stunden pro Woche freigestellt, um die neue Schule zu planen. Erst im August wurde er ans Stadtgymnasium versetzt, bis dahin musste er parallel noch seine Aufgaben am Adorno-Gymnasium wahrnehmen.

"Eine Doppelbelastung, die nicht ohne war", sagt Schulz. Von den sechs Wochen Sommerferien sei er fünf Tage außerhalb Frankfurts gewesen, "ansonsten war ich in meinem Büro". Es sei viel Arbeit, aber eine Schule zu gründen sei eine "einmalige Geschichte", die er sich nicht entgehen lassen wollte.

Motivierte Lehrkräfte

Auch für die zehn weiteren Lehrer am Stadtgymnasium ist die Eröffnungsfeier ihr erster richtiger Tag an der neuen Schule. Schulz hat darauf geachtet, dass sie sich bewusst für die Neugründung entschieden haben.

"Damit das eine neue Institution in Frankfurt wird, brauche ich motivierte, engagierte Lehrkräfte." Dafür sei das Feld an einer neuen Schule weit offen. "Da kann man sich ausprobieren, und die Möglichkeiten möchte ich den Kollegen auch geben."

Die beiden Schulen haben ein unterschiedliches Profil. Während am Neuen Gymnasium die Naturwissenschaften und das selbständige Lernen besonders großgeschrieben werden, setzt das Stadtgymnasium unter anderem auf Fremdsprachen und "Kulturelle Inszenierung" – ein Wahlfach, in dem Projekte zur Aufführung gebracht werden sollen.

Neue Gewohnheiten etablieren

Gerade im ersten Jahr, sagt Schulz, würden viele Pfade angelegt. "Der erste Jahrgang ist sehr klein, aber ungeheuer wichtig. Da passiert ganz viel, worauf in den nächsten Jahren dann aufgebaut wird."

Melitta Luta ist die designierte Schulleiterin des Neuen Gymnasiums. Sie kommt von der Helmholtzschule im Ostend und hat dort den naturwissenschaftlichen Fachbereich geleitet.

Dass nur 15 bis 20 Prozent ihrer Schüler das Neue Gymnasium ausgewählt haben und die meisten Kinder zugewiesen wurden, sei nicht einfach. Aber Luta versucht, den Eltern und Schülern Zuversicht zu vermitteln: "Wir machen das Beste draus!"

Jeder blüht anders

Auf der Eröffnungsfeier vergleicht sie die Schüler mit einem Blumenstrauß. "Manche mögen es sonnig, andere schattig." Aus den unterschiedlichen Samen würden unterschiedliche Blumen – "alle anders, aber alle schön". Dann wendet sie sich direkt an die Schüler: "Wir werden euch noch ein bisschen gießen und dann in einigen Jahren als voll erblühte Erwachsene verabschieden."

Einen Tag später erklärt Schulz auf der Eröffnungsfeier des Stadtgymnasiums, wie er sich den Umgang in der Schulgemeinde vorstellt. Er nimmt dazu ein weißes Blatt Papier in die Hand. Wenn jemand sage "Dich mögen wir nicht" oder "Geh doch dahin, wo du hingehörst", dann sei das verletzend.

Dazu zerknittert Schulz bei jedem Satz eine Ecke des Blatts. "Dann kommt die Entschuldigung: Tut mir leid, war nicht so gemeint." Er streicht eine Ecke nach der anderen wieder glatt. Aber die Knicke bleiben. So wie die Narben der Beleidigungen, sagt Schulz seinen Fünftklässlern. "Passt auf, dass diese Narben bei euren Mitschülern nicht entstehen!"

Solidarität unter Mitschülern

Wofür er bei seinen Schülern wirbt, einen höflichen, respektvollen Umgang, das braucht auch eine Schulgemeinschaft als Ganzes. Denn wenn eine neue Schule gegründet wird, läuft nicht alles sofort reibungslos.

Am Stadtgymnasium heißt Schulz bei der Eröffnung 135 Schüler willkommen. Mehr als die Hälfte von ihnen wurde vom Staatlichen Schulamt zugewiesen. Nur etwa 60 haben die neue Schule als Erst- oder Zweitwunsch angegeben.

Schulz findet diese Zahl trotzdem "unglaublich hoch". Als seine alte Schule, das Adorno-Gymnasium, gegründet wurde, hätten sich deutlich weniger Eltern und Schüler bewusst dafür entschieden.

Berufsverkehr verlängert den Schulweg

Die Stimmung unter den Eltern ist nach einigen Wochen trotzdem gemischt. Für Marsal Ghiasi etwa läuft es schon jetzt so schlecht, dass sie sagt: "Wir werden unseren Sohn wahrscheinlich aus der Schule nehmen." Er wurde dem Stadtgymnasium zugewiesen.

Ghiasi wohnt mit ihrer Familie am Frankfurter Berg, zum Industriehof möchte sie ihren Sohn nicht mit Bus und Bahn fahren lassen. Und mit dem Auto dauere die Strecke im Berufsverkehr 45 Minuten. Sie arbeitet in der Finanzbranche, ihr Mann ist Arzt. Beide arbeiten Vollzeit. Sie haben noch einen Sohn im Kindergartenalter, die Fahrten zur Schule seien da nur schwer zu stemmen.

Als sie das Schreiben vom Schulamt bekommen haben, hätten sie "erst mal geschluckt", wollten der Schule aber eine Chance geben. "Bei so einem Millionenprojekt wird man sich ja Mühe geben", hätten sie gedacht. Ein Freund ihres Sohnes, der in der Nähe wohne, sei dem Neuen Gymnasium zugewiesen worden, das werde es für ihn leichter machen. Der werde nun aber morgens von einem Schultaxi abgeholt, während weder die Schule noch das Schulamt ihrem Sohn ein solches Angebot böten.

"Es ist kein schönes Gefühl"

"Ich finde es unvorstellbar, wenn das eine Kind abgeholt wird, das andere aber nicht", sagt Ghiasi. Die Lehrer und auch die Schulleitung seien zwar sehr nett. Aber sie frage sich bei solch einer organisatorischen Katastrophe, wie es weitergehe. "Es ist kein schönes Gefühl."

Das Bildungsdezernat verweist auf das Regelwerk. Demnach sei die Stadt verpflichtet, Schulbuslinien einzurichten, sofern Kinder, die einer Schule zugewiesen wurden, mindestens 45 Minuten dorthin unterwegs sind und zweimal oder häufiger umsteigen müssen. Das sei bei 37 Schülern des Neuen Gymnasiums, die überwiegend aus dem Frankfurter Westen kommen, zwar der Fall.

Am Stadtgymnasium erfülle jedoch kein Kind diese Kriterien. Deshalb werden zum 1. Januar zwei Schulbuslinien eingerichtet, die aus dem Westen Frankfurts nach Bockenheim fahren. Drei Schüler aus Eckenheim, Preungesheim und dem Frankfurter Berg werden gemeinsam mit einem Taxi befördert, weil eine Schulbuslinie für sie nicht wirtschaftlich sei.

Kritik von Youtuber Thomas Panke

Warum das zweite Kind aus dem Frankfurter Berg, das auf das Stadtgymnasium geht, nicht einfach mitfahren darf, erschließt sich nicht. Dessen Mutter ist mit ihrer Beschwerde nicht allein.

Der als "Held der Steine" bekannte Lego-Youtuber Thomas Panke prangert die negativen Folgen, die die Zuweisung der Schüler für den Alltag der Familien hat, ebenfalls deutlich an.

Für ihn ist das ein Beleg für eine verfehlte Bildungspolitik in Frankfurt, also eine Art Systemversagen. Weil Panke in seinen Videos auch über das Stadtgymnasium und seine Containeranlage spottet, sah sich der designierte Schulleiter Schulz zu einer Stellungnahme auf der Internetseite der Schule genötigt. Um "Unwahrheiten" zu widersprechen und den "Schulfrieden" sicherzustellen, wie er schreibt.

Kleine Klassengemeinschaft

Andere Eltern begrüßen die Neueröffnung. Franziska Hedrich wohnt in Bockenheim, ihr Sohn geht nun auf das Stadtgymnasium. Seine Klasse dort habe nur 20 Schüler, das mache den Unterricht einfacher.

Ihrem Sohn gefiele auch die Aussicht, immer zu den Ältesten in der neuen Schule zu gehören. Hedrich selbst sah bei den Elternabenden eine "Aufbruchstimmung" und ließ sich, um etwas beizutragen, zur stellvertretenden Elternsprecherin wählen.

Filka Kuszmierz würde dem Neuen Gymnasium auf einer Skala von null bis zehn sogar die Note acht geben. Ihr Sohn habe Naturwissenschaften zu seinem Lieblingsfach erkoren. "Er geht gerne hin und kommt guter Dinge nach Hause", sagt sie. Dass er sogar mit dem Taxi zur Schule fahren darf, sei natürlich angenehm. Die Lehrer seien sehr engagiert und bemüht. Besonders gefällt ihr das breite Angebot an Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag – von der Glücks-AG über Astronomie, Sport und Musik bis zur Forscher-AG sei alles dabei.

Containerwände sind dünn

Auch Luta freut sich über ihr engagiertes Lehrerteam. "Zwölf Kollegen haben zwölf AGs auf die Beine gestellt, eine toller als die andere." Vor den Herbstferien klingt sie durchaus zufrieden mit dem bisher Erreichten. "Nach den anfänglichen Besorgnissen der Eltern haben sich die Kinder schnell eingewöhnt und Freunde gefunden." Auch die Eltern seien dabei, sich zu organisieren. "Der Förderverein ist auf einem guten Weg."

Allerdings erschwere das Gebäude den Unterrichtsalltag. Die Containeranlage, die sich die beiden Schulen im ersten Jahr teilen müssen, ist nämlich sehr hellhörig. Durch die versetzten Pausenzeiten der beiden Gymnasien kommt es zu Konflikten.

"Es ist ein Balanceakt zwischen dem Bedürfnis, in der Pause laut zu sein und zu rennen, und dem Ruhebedürfnis im Unterricht", sagt Luta. Gerade im Herbst und Winter, wenn die Kinder bei schlechtem Wetter die Pausen auch mal in der Mensa verbringen müssen, die nicht schallgedämmt ist. "Wenn hundert Kinder in der Mensa sind, dann steppt der Bär."

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Aber auch diesen Befund kann Luta positiv wenden: "Die Basis unseres Unterrichtsgebäudes ist Rücksichtnahme." Sie hofft, dass nach den Herbstferien die Beamer einsetzbar sind, die endlich geliefert wurden. "Sonst ist das Unterrichten eine einzige Kopierschlacht."  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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