Frankfurter Apfelwein: Der "Ebbelwei" ist so alt wie die Stadt, in der er zu Hause ist. Heinrich Heym beschrieb das Volksgetränk Apfelwein in diesem Artikel von 1965 in historischer, soziokultureller und sogar chemischer Hinsicht.

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Und kommt doch zu dem Schluss: Ein Rest ist unerklärbar., Der "Ebbelwei" ist so alt wie die Stadt, in der er zu Hause ist. Heinrich Heym beschrieb das Volksgetränk Apfelwein in diesem Artikel von 1965 in historischer, soziokultureller und sogar chemischer Hinsicht. Und kommt doch zu dem Schluss: Ein Rest ist unerklärbar.

Würde man einem Fremden am Abend drüben in Sachsenhausen in vorgeschrittener Stimmung beim "Ebbelwei" erzählen, dieses Getränk, oder "Stöffche", hätten die Frankfurter, wie so vieles andere, Karl dem Großen zu verdanken, täte er das für Aufschneiderei oder liebenswürdige Spinnerei halten. Zu denken auch, daß der Begründer eines Weltreiches gleichzeitig der Stifter der Sachsenhäuser Ebbelwei-Gemütlichkeit war, scheint absurd. Da sitzen sie vor billigen gerippten Gläsern, Kenner haben einen Holzdeckel darübergelegt, damit der Duft drinbleibt im Glas, trinken, sinnieren vor sich hin oder unterhalten sich. Vor allem das letztere gehört zum Merkmal der Apfelweinrunde. Sie essen Rippchen mit Kraut, singen dann später vielleicht zu den Klängen einer Ziehharmonika; das aber ist schon fast nicht mehr "frankforterisch" in einem Ebbelwei-Lokal. Und das alles von Karl dem Großen?

Ja! Historisch verbürgt, urkundlich überliefert ist das. Um das Jahr achthundert erließ Karl der Große ein Edikt, "Capitulare de villis" genannt, Anweisungen für die Verwaltung der Königsgüter. In Kapitel 45 dieses "Capitulares" heißt es in der Übersetzung: "Wir ordnen an, daß jeder Richter unter seinem diensttuenden Personal tüchtige Meister habe, also Eisenschmiede, Silber- und Goldschmiede . . . und solche Leute, die berauschende Getränke, sei es Bier, Birnenwein, Äpfelwein und sonst eine zum Trinken geeignete Flüssigkeit bereiten können . . ."

Frankfurt war ein Königsgut, Äpfel gediehen sicher schon damals in der Mainebene. So kann man also getrost behaupten, der Kaiser der Franken habe den Frankonofurten den Ebbelwei gestiftet. Freilich kennt man den Apfelwein als Obstwein sicher schon länger in der Welt, und selbst die Germanen sollen neben dem Met schon den Apfelwein gekannt haben. In Frankreich kennt man seit alter Zeit den Apfelwein als den berühmten "Cidre", und von daher mag sich die Legende festgesetzt haben, Frankfurt habe den Ebbelwei durch die eingewanderten Hugenotten kennengelernt. Aber dagegen spricht neben Karls des Großen Erlaß auch überzeugendes Frankfurter Urkundenmaterial.

Die Trauben hängen zu hoch

Es ist grundsätzlich anzunehmen, daß im frühen Mittelalter, bis etwa zum Jahre 1500, in Frankfurt, wie auch anderswo, der Traubenwein über den Apfelwein dominierte. In jener Zeit allerdings erließ der Rat ein Verbot, wonach keine neuen Weinberge mehr angelegt werden durften. Die Stadt wuchs, und das Land wurde für den Anbau von Getreide gebraucht. Da wird der Wein teurer geworden sein, und die Gärtner, die Küfer, die Schiffer und Fischer begannen als Volksgetränk den Apfelwein zu bevorzugen. Zunächst natürlich für den eigenen Bedarf, bis die Behörde die Erlaubnis zum öffentlichen Ausschenken gab.

Eine Ratsverordnung von 1560 zeigt schon die neue Situation an. Es wird vom Rat die Vermischung, das heißt die Verfälschung von Traubenwein durch Apfelwein, verboten. 1638 wird noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der "Gerechte Wein" nicht mit Apfelwein vermischt werden darf. Drei Jahre später, im Jahre 1641 wird, das erstemal schon das Heraushängen eines Kranzes in den Akten erwähnt zum Zeichen, daß in diesem Haus Apfelwein ausgeschenkt wurde. Damit sind die sogenannten "Heckenwirtschaften" geschichtliche Existenz, und nur dreizehn Jahre später erfahren wir aus Urkunden, daß der Rat dabei ist, auch den Apfelweinausschank zu besteuern.

Eine weitere Urkunde von 1731 dokumentiert die fortwährende Existenz des Volksgetränks Ebbelwei, und 1733 werden bereits "Kellervisirer" ernannt, die dafür sorgen mußten, daß nicht mehr Wein ausgeschenkt wurde, als versteuert worden war. Das ganze achtzehnte Jahrhundert sieht dann eine lange Auseinandersetzung zwischen den Bierbrauern und den Apfelweinkeltereien, denn die Bierbrauer fürchteten um ihre Existenz, bis ihnen 1750 erlaubt wird, ebenfalls Apfelwein auszuschenken. Das nimmt nicht Wunder, denn immerhin kostet damals noch ein Glas Bier soviel wie ein Maß Apfelwein.

Der Umsatz des "Stöffche" ist teilweise ungeheuer groß gewesen, dies obwohl damals die Fremden noch nicht nach Sachsenhausen kamen, wie heute. Sie haben in einem Jahr einmal nur in Sachsenhausen über 10 000 Hektoliter ausgeschenkt. Denkt man an die Frankfurter Apfelweinwirtschaften und diejenigen in den Frankfurter Dörfern, wächst diese Zahl sicher um das Doppelte.

Mit der Ausschankbesteuerung scheint es nicht immer geklappt zu haben. Auf Deutsch gesagt, die Apfelweinschankwirte betrogen den Rat. Er verordnete deshalb am 9. Oktober 1764, daß das Obst bereits am Stadttor versteuert werden mußte. Zwei Zentner kosteten fünfzehn Kreuzer. Aus zwei Zentnern kelterte man damals rund vierzig Liter Apfelwein, während man heute rund dreißig Liter aus einem Zentner keltern kann. Das liegt an den besseren Apfelmühlen und stärkeren Pressen.

Mittelalterliche Weinpanscher

Mit Weinpanschern mußte sich der Rat schon in früher Zeit befassen, wie die Verordnung von 1560 beweist, jedoch auch die Verfälschung des Apfelweins, zum Teil durch Unkenntnis mit giftigen Stoffen, machte dem Rat eine Menge Kummer. Am 1. März 1751 fertigten Frankfurter Wissenschaftler, darunter der berühmte Dr. Senckenberg, für den Rat ein ausführliches Gutachten an mit vielen Hinweisen, wie die Verfälschungen zu erkennen seien und welches die Hauptverfälschungsarten sind. Daraus ist zu entnehmen, daß man damals mit Quecksilber, Bleicarbonat und Blei das Aussehen des "Weins veränderte und durch Zugabe von Zucker, Rosinen und Branntwein den Geschmack beeinflußte". Für den Nachweis mineralischer Verfälschung wurde unter anderem Calciumoxyd empfohlen, für den Nachweis von Zusätzen wie Rosinen und Branntwein, so meinten die Gutachter, gäbe es wohl immer noch nichts besseres als die "im Proben geübte Zunge".

Wieviel Bedeutung für Frankfurt wirtschaftlich und soziologisch der Apfelwein hat, mag daraus zu entnehmen sein, daß die Universität im Jahre 1928 einem Studiosus der Naturwissenschaft genehmigte, eine Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde mit dem Thema einzureichen "Der Äpfel wein, sein Werden und seine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung des Frankfurter Äpfelweines". Ernst Weill, geboren in Pirmasens, eingewandert mit den Eltern nach Frankfurt, stülpte das Stadtarchiv um nach Aktenmaterial, machte in einer großen Kelterei alle wissenschaftlichen Untersuchungen und beschrieb auch den Herstellungsprozeß.

Nach seinen Darlegungen sind die Hauptmerkmale eines ausgezeichneten Kelterapfels eine gute Mischung von Zucker und Säure bei festem Apfelfleisch. Hinzu kommt für die Herstellung wiederum eine ausgewogene Mischung von verschiedenen Apfelsorten, die sich mit Zucker- und Säuregehalt gegenseitig ergänzen. Besonders gute Anbaugebiete für den typischen Frankfurter Apfelwein sind die Mosel, die Wetterau und das Maintal. Unter Umständen werden Äpfel aus dem Ausland eingeführt, um eine gute Mischung zu bekommen oder um ein mangelndes Inlandsangebot auszugleichen. Ein Merkmal für Frankfurter Kelterbrauch ist das Abwaschen der Äpfel vor dem Mahlen. Dadurch wird vermieden, daß wilde Heferassen, die sich an den Schalen angesetzt haben, den Gärungsprozeß negativ beeinflussen.

Nach Weill ist es üblich in Frankfurt, die gemahlenen Äpfel, die Maische also, nicht sofort zu pressen, sondern andunkeln zu lassen. Dadurch entsteht der vollfarbige Frankfurter Äpfelwein. Die Maische wird dann ausgepreßt, wobei in manchen Betrieben das Gut vorher noch ein- oder zweimal mit Holzspaten "umgegraben" wird. Die Pressen dürfen an den Teilen, an denen sie mit der Apfelmaische in Berührung kommen, nur aus Holz sein, sonst gibt es eine metallbedingte Schwarzfärbung des Weines. Der ausgepreßte Saft, der Most also, hierzulande als der "Süße" sehr beliebt und in Gastwirtschaften begeistert getrunken, gelangt nun in Fässer zwischen sechshundert bis viertausend Liter und darf jetzt bei fünfzehn Grad Kellertemperatur gären.

Meist geht es ohne Zusatz von Reinhefe. Die Mosel- und Taunusäpfel zum Beispiel haben genügend eigene Hefe für den Gärprozeß, der "untergärig" abläuft. Die Hauptgärung oder "Spontangärung" dauert je nach Apfelsorten und Faßverhältnissen drei bis sechs Wochen, dann werden die bis jetzt noch nicht ganz gefüllten Fässer mit gleichartigem Wein aufgefüllt und verschlossen. Der Apfelwein kann sich weiter ausbauen, bis im Dezember der erste Abstich erfolgen kann. Der zweite Abstich erfolgt im Frühjahr. Das heißt also, der Wein wird in Korbflaschen oder Flaschen abgefüllt und verkauft. Bei zweijährig lagerndem Wein wird im Herbst noch einmal ein Teil abgefüllt.

Für Frankfurt, vor allem für die kleineren Betriebe und Heckenwirtschaften, ist es typisch, den Wein "auf der Hefe", also im Faß liegenzulassen und "frisch vom Faß" zu zapfen. Solche Schankwirtschaften sind bei den Genießern beliebt und werden von alten Apfelweintrinkern bevorzugt.

Eine besonders charakteristische Apfelweinsorte für das Frankfurter Gebiet ist der "Speierling", mit dem Fremde zunächst nichts anzufangen wissen, weil man sich an seinen noch herberen Geschmack noch schwerer gewöhnt. Der Speierling ist eine Mischung aus reinem Apfelwein und vergorenem Saft von "sorbus domestica", der Ebereschenbeere, die besonders im Taunusgebiet gedeiht. Der Gerbstoffgehalt des Speierlings gibt dem Apfelwein Klarheit, eine schöne Farbe und macht ihn haltbarer. Die Zucht der Speierlingsfrüchte ist schwer und daher Speierlings-Apfelwein immer etwas teurer als der übliche Ebbelwei.

"Vererben wir des Durstes Recht"

Was ist es nun eigentlich mit der Wirkung des Apfelweins, von dem ungezählte Gedichte und Sprüche im Schwange sind. So eines von 1855: "Wir sitzen hier beim Apfelwein in bunter Reihe, groß und klein, und von Geschlecht zu Geschlecht vererben wir des Durstes Recht. Der Vater überträgt’s dem Sohn, die Zahl der Trinker wird Legion. Ein festes Band hält all’ zusamm’ - der Apfel fällt nicht weit vom Stamm."

Zunächst ist es die alkoholische Wirkung, die nicht zu unterschätzen ist. Die Alkoholwerte schwanken zwischen vier und sieben Prozent in Volumen. Es kann also durchaus passieren, daß man mit Apfelwein mehr Alkohol tankt als mit normalem Bier, zumal die Ebbelwei-Wirkung schön langsam einsetzt. Es kommt selten vor, daß Menschen hinterm Ebbelwei-Glas bösartig werden, randalieren oder aggressiv sind. Er macht gemütlich, und das durch die Tradition bedingte Zusammenhocken an langen Tischen, auf langen Bänken, schafft eine besondere Art von Geselligkeit, die einfache Menschen wie gebildete gleichermaßen ergreift.

Wer einsam ist, das haben schon viele Ausländer oder Zugereiste erfahren, braucht nur dahin zu gehen, wo der Bembel auf dem Schanktisch steht. Die andere viel gerühmte Wirkung, die medizinische, gipfelt in der von Emmerich Reck fixierten Weise: "Es Stöffche ist for alle gut / es fegt de Maage, labt die Schnud / hilft gegen Rheuma, Podraga / Heufieber, Gicht und Cholera. / Frühmorgens, mittags, abends emal / bringt flotten Gang er ohne Qual".

Weill hat nachgewiesen, daß hier keinesfalls die Apfelsäure im Spiel ist, denn diese wird beim Gärungsprozeß fast völlig umgewandelt in Milchsäure. Und zwar im Unterschied zum Traubenwein bereits bei der Hauptgärung. Milchsäure ist bekanntlich stoffwechselfördernd und hat abführende Wirkung. Bis zu sechs Gramm Milchsäure finden sich im Liter ausgereiftem Apfelwein. Dazu kommen für die Verdauung wichtige Fermente wie Oxydase und Katalase, die Weill im Apfelwein nachgewiesen hat, also stoffwechselfördernde Enzyme, zu denen sich die Zymase der Hefe hinzugesellt. Mit dieser Analyse des "Stöffche" scheint sein gesundheitlicher Faktor hinreichend erklärt zu sein.

Nie ganz erklären jedoch kann man dem Fremden die Atmosphäre in Frankfurter Apfelweinlokalen. Man kann Argumente anführen, wie es bereits hier geschehen. Man kann durch Milieuschilderung versuchen, der Stimmung auf die Spur zu kommen. Aber man kann sie am Ende nie ganz beschreiben. Es bleibt ein Rest, der nie erklärbar ist. Es ist vielleicht ein Rest vom alten Frankfurt, das zäher scheint, als mancher wahr haben will. In einem früheren Mundartgedicht ist etwas von diesem alten Frankfurt erhalten: "Dann oft aus jedem dritten Haus / streckt unser Herrgott den Arm (das Kränzchen) eraus / un lädt die dorschdig Menschheit ein / Zu e paar Schoppe Äppelwei."

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Als kalt und gesichtslos wird Frankfurt bisweilen beschrieben – das aber nur von jenen, die die Stadt nicht kennen. Wie die heutige Rhein-Main-Zeitung beschäftigte sich auch das frühere "Stadtblatt" mit den liebenswürdigen Eigenarten der Mainmetropole, insbesondere mit dem Kulturgut Apfelwein.

Dieser Artikel erschien am 3.8.1965  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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