Siam-König zu Besuch in Hessen: Der König von Siam kommt 1907 zur Kur in den Taunus, aber vom Essen wird ihm schlecht. Also kochen seine Prinzen nachts Reis. Das macht es nicht besser.
Der König von Siam kommt genau zur richtigen Zeit für eine Diät. Als Chulalongkorn 1907 nach Europa reist, ist es erst vier Jahre her, dass der Arzt Curt Pariser Empfehlungen zur Ernährung veröffentlicht hat. Bekannt geworden sind sie als Homburger Diäten. In Homburg, dem Badeort im Taunus, soll der Herrscher über das Gebiet des heutigen Thailands ein paar Wochen bleiben, um sich zu kurieren. Nicht nur mit dem heilenden Wasser, sondern auch mit gesundem Essen.
Wie für alle Kurgäste wird auch für den chronisch kranken Chulalongkorn nach den Empfehlungen des Homburger Mediziners gekocht. Bei Magen- wie Darmkatarrhen, anderen Verdauungsproblemen und Diabetes empfiehlt der Diätplan wenig Fleisch, Mehl und Zucker, dafür Milch, Eier, Obst und Gemüse. Trinken sollen die Patienten interessanterweise nicht nur Wasser, sondern auch Wein und Champagner.
Die Ernährungswissenschaft hat also Fortschritte gemacht, aber noch einen weiten Weg vor sich. Das zeigt sich auch bei den Mengen. In einem Kochbuch für Magen-, Darm- und Stoffwechselleidende schlägt Diät-Papst Pariser vor, nicht mehr als eine halbe Flasche Rotwein zu trinken – am Tag. Mittags gibt es höchstens vier Gänge. Und abends dann noch mal drei.
Aber der König von Siam verzweifelt aus einem anderen Grund. Ihm fehlen die Gewürze. Auch sonst findet er das Taunusstädtchen fad. Nachzulesen ist das in einem Aufsatz, den Andrea Pühringer für den neuen Band der Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde Bad Homburg geschrieben hat. Chulalongkorns Fundamentalkritik überrascht. Hatten doch wenige Jahre nach seinem Besuch Arbeiter im Kurpark die Thai Sala aufgebaut – ein Geschenk des siamesischen Herrschers. Bis heute prägt der Tempel in Gold und Rot das Gelände in harmonischem Kontrast zum europäischen Kurpark-Grün.
Den König plagen Krankheit und Langeweile
Mehr noch, aus Sicht der Stadt sind Thailand und Bad Homburg freundschaftlich miteinander verbunden, "seit König Chulalongkorn von Siam vor mehr als 100 Jahren in Homburg Genesung fand". In dessen Briefen klingt es dagegen so, als hätte er sich während der Kur kränker gefühlt denn je. Und trotzdem hat sein Enkel Bhumibol, König von Thailand bis zu seinem Tod 2016, sogar eine zweite Thai Sala gestiftet.
Als Chulalongkorn nach Homburg kommt, ist er Mitte 50. Ihn plagen Blutarmut, chronischer Schnupfen, Herz- und Nierenleiden. Die Autorin setzt das in Zusammenhang mit Inzest im Königshaus, das Heiratsverhalten könnte zu schlechter Konstitution geführt haben. Er logiert im Grand Hotel an der Louisenstraße, aber nicht im Haupthaus, sondern in der ruhig gelegenen Villa Fürstenruhe. Acht Prinzen hat er mitgebracht. Die Ärzte also empfehlen dem König die Homburger Diät. Nicht nur Kliniken bieten die Gesundkost an, sondern auch die Hotels und Lokale in der Stadt.
Aber Chulalongkorn hat offenbar ein grundsätzliches Problem: Er langweilt sich. Ständig soll er inhalieren, Ruhe halten, in Kohlensäure baden. Das, so die Vermutung, macht ihn mäkelig – eben auch beim Essen. Einmal notiert er: "Das heutige Abendessen war ungenießbar, in diesem Hotel bekommt man dauernd den nach westlicher Art gekochten Reisbrei serviert, von dem mir übel wird. Ich kann ihn nicht riechen." Einzig die Pflaumen beim Frühstück schmecken ihm.
Die Prinzen kochen nachts Reis
In anderen Städten, meint er, könnte er in eine Kneipe gehen. Nicht aber in diesem provinziellen Nest. Dabei reichen die Hotels und Restaurants nicht nur die neue Diät, sondern auch eine Vielfalt französischer und anderer feiner Speisen. Der König lässt lieber seine Entourage selbst kochen, "etwas Leichtes wegen meines Magens", auch wenn bestimmte Zutaten fehlen.
Einer der Ärzte erzählt das etwas anders: "Kurgemäßes Essen war ihm nicht beizubringen und nicht kontrollierbar, was ihm nachts von der siamesischen Umgebung zugeschanzt wurde." Die Prinzen kochten bis nachts, "nach ihrer Weise allerhand mit Reis", sodass der König oft erst um zwei Uhr zur Ruhe komme. Offenbar aber mit einer Reismahlzeit auf siamesische Art im Bauch, von der ihm nicht schlecht wird.
Trotz der Diät-Pleite haben seit 1907 viele Verwandte und Nachkommen Chulalongkorns die Kurstadt besucht. Entweder, vermutet die Autorin, haben sie die Briefe des Königs mit dem Gejammer über das Essen nicht gelesen. Oder die Thai Sala habe sie angezogen. Chulalongkorn starb 1910, drei Jahre nach der Kur. Die Thai Sala entstand 1914. Wahrscheinlich kannten auch die Homburger damals nicht die Schriften des Königs – das Reisetagebuch ist erst später übersetzt worden.
Seit Chulalongkorns Besuch aber hat sich nicht nur die Diätküche weiterentwickelt. Im Taunus sind auch etliche Restaurants hinzugekommen. Etwa mit regionaler Küche – und mit thailändischer.
Das 74. Heft der Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde kostet 15 Euro. Andere Aufsätze beschäftigen sich etwa mit sexuellem Missbrauch durch einen Homburger Schulmeister 1582, Hölderlins Förderin Charlotte von Kalb und Horex-Motorrädern. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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