Öffentlicher Nahverkehr: Nicht nur für das Frankfurter Großprojekt sind Unternehmen für den Gleisbau und die Bahntechnik derzeit kaum zu bekommen – sie sind anderswo gefragt.
Acht Stockwerke sind für einen Neubau in der Frankfurter Innenstadt mit ihren Hochhäusern nichts Besonderes. Es sei denn, sie liegen unter der Erde. Hinter dem Bauzaun am Güterplatz wächst in der 24 Meter tiefen Baugrube die künftige U-Bahn-Station empor. Um 2,7 Kilometer soll die U-Bahn-Linie 5 vom Platz der Republik aus verlängert werden. Zunächst unterirdisch bis zum Güterplatz, von wo aus eine 370 Meter lange Rampe auf das Niveau der Europaallee hinaufführt. Dort geht es weiter bis zur geplanten Endstation Wohnpark. Die Bahn sollte schon 2022, dann 2025 fahren. Zuletzt war vor einem Jahr dann Ende 2027 als Termin für die Inbetriebnahme der Strecke genannt worden – möglichst sogar einschließlich einer weiteren Verlängerung um 1,5 Kilometer bis zum Römerhof. Doch ob dieses Ziel selbst für die bisherige Stadtbahn-Planung zu erreichen ist, steht jetzt in Zweifel.
Aufmerksamen Lesern wie Fachautoren und den Nutzern von Internetforen zum Nahverkehr ist die Ausschreibung der Stadtbahn Entwicklung und Verkehrsinfrastrukturprojekte Frankfurt GmbH (SBEV) aufgefallen. Sie versucht seit dem Sommer zum zweiten Mal, Bauunternehmen für Fahrweg und Haltestellen des oberirdischen Abschnitts zu finden. Auf eine erste Ausschreibung im vergangenen Jahr waren nur zwei Angebote eingegangen, die nicht wertbar waren. Im Frühjahr 2024 bot die SBEV Aufträge für die elektrischen Anlagen an, also Licht- und Kraftstrom für die Technik von Gebäuden, Tunnel und Haltestellen. Auf diese Ausschreibung meldete sich überhaupt niemand.
Die Entwicklungsgesellschaft hat nach den Worten des technischen Geschäftsführers Ingo Kühn reagiert und die Losgrößen verändert, damit auch kleinere Unternehmen eine Chance haben. Zudem wurden die Zeiträume verlängert. Beim oberirdischen Fahrweg und den Haltestellen beträgt die Vertragslaufzeit jetzt 41 Monate für Werk- und Montageplanung, Lieferzeiten, Prüf- und Freigabezeiträume und die eigentliche Bauausführung. Darin sind zeitliche Puffer enthalten, doch es ist klar: Die Vertrags- laufzeit reicht damit über 2027 hinaus.
Kann die U-Bahn Ende 2027 in Betrieb gehen?
Dennoch will Kühn das Ziel nicht aufgeben und versuchen, den Zeitverlust zu kompensieren. Die SBEV wolle die Aufträge für den oberirdischen Fahrweg noch in diesem Jahr oder Anfang 2025 vergeben, sagt er. "Nach der Werk- und Montageplanung könnten die eigentlichen Arbeiten dann Ende 2025 beginnen." Im vierten Quartal endet auch die Ausschreibung für den unterirdischen Fahrweg, der vom Anschluss an die bestehenden Tunnel unter dem Platz der Republik durch die Station Güterplatz bis zur Rampe auf die Europaallee reicht. Für die Verlängerung der U-Bahn bis zur Haltestelle Wohnpark stehen insgesamt noch rund 30 Ausschreibungspakete an.
Vom Ergebnis der Vergaben hänge ab, ob die U-Bahn tatsächlich Ende 2027 in Betrieb gehen könne. "Eine verlässliche Aussage zu den Terminen können wir erst Mitte nächsten Jahres machen", sagt Kühn. Zurzeit sei das nicht sinnvoll. Er spricht von einer "herausfordernden Marktsituation". Die Unternehmen hätten keine Kapazitäten, weil sie eine gute Auftragslage hätten. Außerdem fehle auch ihnen Fachpersonal. Das hat Folgen: "Wenn fünf oder sechs Schlüsselgewerke nicht zu vergeben sind, wird es schwierig."
Damit steht die SBEV nicht allein. "Der Markt hat sich gewandelt", sagt auch Horst Amann, Geschäftsführer der RTW Planungsgesellschaft mbH. Die Gesellschaft verantwortet den Bau der Regionaltangente West, des westlichen Teils eines um Frankfurt geplanten Schienenrings. Beim Stahlbetonbau gebe es zwar wieder einige wenige Angebote, sagt Amann. Aber für Oberleitungen, Leit- und Sicherungstechnik und Telekommunikationsgewerken melde sich manchmal niemand. Nicht einmal Planungsbüros seien zu bekommen. "Die sind voll bis oben hin", sagt Amann zur Auftragslage. Bei der technischen Ausrüstung sei die Knappheit inzwischen geeignet, sich auf die Terminpläne auszuwirken.
Nicht nur Amann nennt als Grund dafür das Infrastrukturprogramm der Deutschen Bahn, die in den nächsten Jahren mit großem Aufwand 40 Hochleistungskorridore sanieren will. Das erste Vorzeigeprojekt, die Generalsanierung der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim, liegt ganz in der Nähe.
"Alles hängt an der Verlässlichkeit der Investitionsmittel"
Für solche Großbaustellen werde Personal zusammengezogen, sagt René Hagemann, stellvertretender Geschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie. Dabei gehe es gar nicht so sehr um die Baustelle selbst. "Entscheidend ist das Schlüsselpersonal, das alles vorbereitet." Dazu zählten Ingenieure und Planer. Diese seien schon mindestens ein Jahr vor der eigentlichen Sperrung gefragt. Die Korridorsanierungen wie die Riedbahn sind nicht die einzigen Bauvorhaben der Bahn. "Eine hohe Anzahl Großprojekte wie ,Stuttgart 21‘ und die zweite Stammstrecke München laufen noch, und auf Fehmarn hat der Bau der Schienenanbindung für den Fehmarn-Belt-Tunnel begonnen", sagt Michael Gilka, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen. "Bei so vielen großen Projekten gleichzeitig sind die Kapazitäten irgendwann erschöpft." Auch er nennt dabei das Schlüsselpersonal, zu dem neben Ingenieuren und Planern auch Bauleiter und Poliere gehörten, und die Logistik. Außerdem bedeute eine Korridorsanierung, dass vorher die Umleitungsstrecken ertüchtigt werden müssten.
Von den 800 Mitgliedsunternehmen der Bundesvereinigung seien etwa 200 in den unterschiedlichsten Gewerken des Bahnbaus tätig. Für den Oberleitungsbau sei es vielleicht ein Dutzend. Gilka kann nur vermuten, dass die Aufträge für die Frankfurter U-Bahn für manche zu klein sein könnten. "2,7 Kilometer Gleisbau sind uninteressant, wenn es woanders um 80 oder 100 Kilometer geht." Auf die hohe Nachfrage zu reagieren sei kaum möglich, sagt der Hauptgeschäftsführer. Obwohl die Unternehmen gut zahlten, seien Fachkräfte schwer zu finden. Gleisbau bedeute, häufig nachts und am Wochenende zu arbeiten. Auch die teuren Spezialmaschinen mit Kosten im mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich seien nicht schnell zu beschaffen. Es könne fünf Jahre von der Bestellung bis zur erfolgreichen Zulassung dauern.
"Die Unternehmen sind aber auch vorsichtig, Kapazitäten aufzubauen", sagt Gilka. "Alles hängt an der Verlässlichkeit der Investitionsmittel." Mit dem Bruch der Koalition in Berlin gebe es derzeit keinen Bundeshaushalt. Dabei sei es extrem wichtig, wieder über das nötige Geld für Investitionen in die Schiene zu verfügen und Klarheit für die Unternehmen zu schaffen. "Sonst verlieren wir Leute."
Auch der stellvertretende Geschäftsführer des Hauptverbands der Bauindustrie fordert, das Geld für die Investitionen zu hinterlegen. "Die Sanierungsoffensive der Bahn muss langfristig verlässlich finanziert sein", sagt Hagemann. Bis die Unternehmen ihre Kapazität doch noch anpassen, kann die Frankfurter U-Bahn allerdings nicht warten. Sie muss kurzfristig Auftragnehmer für die Stadtbahn ins Europaviertel finden. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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