Begehrliche Blicke warfen die größeren Nachbarkommunen schon Ende der 1960er Jahre auf die kleine Gemeinde Odenthal.

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Spätestens seit 1966 gab es Überlegungen, die kommunalen Grenzen in Nordrhein-Westfalen neu zu ordnen, die im Wesentlichen noch auf das 19. Jahrhundert zurückgingen und als nicht mehr funktional angesehen wurden.

Der mehrjährige Prozess, der erst am 1. Januar 1975 formal abgeschlossen wurde, war für größere Kommunen willkommener Anlass, die Stadtgrenzen auszudehnen und territoriale Zugewinne zu erzielen. Für viele kleine, bis dahin selbstständige Kommunen wurde die Reform zum Überlebenskampf. Auch die Selbstständigkeit von Odenthal stand zur Disposition.

In Eikamp trafen drei Grenzen aufeinander

Odenthal galt in der Klassifikation der Zeit als sogenannte A-Gemeinde: Der ländlichen Zone zugeordnet hatte sie zentralörtliche Bedeutung für einen Versorgungsbereich zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern. Doch schon in einer frühen Liste mit 22 Vorschlägen der kommunalen Grenzbereinigungen in Rhein-Berg taucht Odenthal auf: Der Ortsteil Schildgen, der zu diesem Zeitpunkt noch zu Odenthal gehört, ist für das nahe Bergisch Gladbach interessant.

Auch Eikamp ist strittig. Hier zeigt sich exemplarisch, warum die Gebietsreform angestoßen wurde: Denn im Dorf treffen gleich drei Grenzen aufeinander: Bergisch Gladbach, Odenthal und Bechen (das später zu Kürten kam). Das hat kuriose Folgen, wie ein Zeitungsbericht aus dem Jahr 1967 beweist, der sich im Gemeindearchiv Odenthal erhalten hat.

Wie beim Dominospiel stieß eine Veränderung viele andere an

"Mit einem Bein steht Landwirt Fritz Roth (58) aus dem Dreigemeindedorf Eikamp auf dem Grenzstein, mit dem anderen in Bechen, wo auch sein Hof liegt. Er hat aber auch ein paar Hektar Land in Bergisch Gladbach. Und wenn er tanken will, muss er auf die andere Straßenseite nach Odenthal. Zum Finanzamt fährt er gar nach Wipperfürth."

Wie beim Dominospiel stößt eine Veränderung weitere an - und von der unspektakulären Grenzkorrektur bis zur vollständigen Zerschlagung und Aufteilung einer Gemeinde ist es gerade bei den kleinen Kommunen in diesen Jahren nur ein winziger Schritt. Das zeigen Gedankenspiele des damaligen Kreistagsabgeordneten Dr. Konrad Kraemer: Komme Odenthal durch die Neugliederung zu Bergisch Gladbach, so sollte seiner Ansicht nach auch Eikamp folgen. Dafür spräche die durch Verkehrslinien, Einkaufsmöglichkeiten und Arbeitsplätze bestehende Anziehungskraft von Bergisch Gladbach.

Leverkusen und Burscheid wollten sich Altenberg einverleiben

Werde Odenthal hingegen nur teilweise zu Bergisch Gladbach geschlagen - was für Kraemer den wahrscheinlicheren Fall darstellt - so solle man Bechen mit dem Rest von Odenthal samt Eikamp zu einer neuen ländlichen Gemeinde zusammenfügen, so Kraemer, der sich gleich auch noch Dürscheid und Spitze als Teile des neuen Ortes vorstellen kann.

Den damaligen Odenthaler Bürgermeister Klaus Koch amüsieren diese Gedankenspiele verständlicherweise wenig: Er wendet sich energisch gegen die Aufteilung seines Zuständigkeitsbereichs. Auch am anderen Rand des Odenthaler Gebietes droht Gefahr: 1972 hat Leverkusen Ambitionen, sich Blecher und Altenberg einzuverleiben: "Stadt unter dem Bayer-Kreuz greift nach Altenbergs Dom", titelt damals die Zeitung.

Die Gemeinde Odenthal wehrt sich gegen "hungrige Nachbarn"

Wieder muss sich Odenthal seiner "hungrigen Nachbarn" erwehren. "In den letzten Wochen und Monaten konnte beim unbefangenen Betrachter der Neugliederungsszenerie nur allzu oft der Eindruck entstehen, als ob das Schicksal der Gemeinde Odenthal vor allem in den Händen der nordwestlichen Nachbarn liege", kommentiert die Tageszeitung im Juni 1972.

"Sie zogen zum Teil recht munter neue kommunalpolitische Grenzen und verleibten sich auf dem Reißbrett das ein, was ihnen nützlich erschien, natürlich auch den Altenberger Dom." Denn auch die Stadt Burscheid, selbst von den Eingemeindungswünschen des nahen Leverkusen bedroht, streckt ihrerseits die Hände nach Blecher und Altenberg aus.

Odenthal kämpft für seine Unabhängigkeit

Entsprechend schärfer wird der Ton der gegen "Raubritter" kämpfenden Odenthaler. Hier will man selbstständig bleiben und weder "das fünfte Rad am Wagen" von Bergisch Gladbach werden, noch das von Leverkusen. Auch Schildgen und Eikamp will man nicht verlieren. Unterstützung erfährt Odenthal durch den Gladbacher SPD-Fraktionschef und Landtagsmitglied Theo Röhrig.

Er bezeichnete es als "unglücklich", Odenthal um 4000 oder 5000 Einwohner "zu amputieren", ohne zu überlegen, was dann aus dem restlichen Ort werde. Im März 1973 bereist die Neugliederungskommission des nordrhein-westfälischen Landtags erstmals das Kreisgebiet und macht auch einen Abstecher in das allseits begehrte Altenberg.

Besonders Neubürger sind die stärksten Anhänger der Autonomie

Eine Volksbefragung wird diskutiert. In einer Odenthaler Einwohnerversammlung bemängeln Bürger die fehlenden rechtlichen Möglichkeiten, sich einer Eingemeindung zu widersetzen. Obwohl es auch Kritik an der Gemeinde Odenthal gegeben habe, so ein damaliger Beobachter, "war man sich doch einig, dass bei einer Eingemeindung nichts besser, sondern alles nur noch schlechter und unpersönlicher würde". Gerade Neubürger zählten offenbar zu den glühendsten Anhängern Odenthaler Autonomie: "Wir sind nicht von einer Gemeinde weggezogen, um jetzt wieder dorthin eingemeindet zu werden!", werden sie zitiert.

Am Ende hat der Odenthaler Widerstand Erfolg, die Gemeinde überlebt, muss aber schmerzlich Federn lassen: Mit der Abtrennung von Schildgen samt Nittum, das 1975 zu Bergisch Gladbach geschlagen wird, werden viele gewachsene Strukturen und Beziehungen gekappt. So erinnert die Verwaltungsorganisation der evangelischen Kirchengemeinde Altenberg –Schildgen noch heute an die ehemals zusammengehörigen Gebiete.

Mit Schildgen geht ein wirtschaftlich und historisch wichtiger Teil verloren

Odenthal verlor mit Schildgen einen wirtschaftlich bedeutenden Ortsteil, vor allem aber auch ein Stück historisches Selbstverständnis: Noch heute dreht sich auf dem Odenthaler Rathaus eine kleine goldene Hexe im Wind. Die Wetterfahne erinnert ebenso wie der Hexenbrunnen oder die Hexen-Wanderroute an ein dunkles Kapitel der Ortsgeschichte.

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Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war es in Odenthal zu einer Welle von Hexenprozessen gekommen. Die letzte und wohl bekannteste Verurteilte war Katharina Güschen, die 1613 hingerichtet wurde. Geboren in Schildgen, wäre sie nach heutiger Grenzziehung keine Odenthalerin mehr.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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