Auf dem Boden im Gummersbacher Einkaufszentrum Bergischer Hof stehen am Montag 155 Paar Frauenschuhe.

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Am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen steht jedes Schuhpaar für eine Frau in Deutschland, die im vergangenen Jahr durch ihren (Ex-)Partner getötet wurde. "Was mich besonders betroffen macht ist, dass dort auch Kinderschuhe stehen", sagte Bürgermeister Frank Helmenstein, der, ebenso wie Gesundheitsdezernent Ralf Schmallenbach, die Besucher begrüßte. Die 100 weiteren Paar Kinderschuhe im EKZ standen für Kinder, die 2023 bei Gewalt gegen Frauen ebenfalls Opfer wurden.

Der Aktionstag in Gummersbach stand unter dem Motto "Oberberg sagt NEIN zu Gewalt" und war vom Netzwerk Oberberg "No-gegen Gewalt" sowie der Regional-AG Oberberg organisiert worden. Hilfsorganisationen, Verbände und Initiativen aus Oberberg informierten im EKZ über ihre wichtige Arbeit.

375 Fälle häuslicher Gewalt im vergangenen Jahr in Oberberg

"Wir möchten heute ein Zeichen setzen und in der Öffentlichkeit zeigen, dass Gewalt gegen Frauen ein Problem in der breiten Gesellschaft ist. Und wir wollen die Stimmen der Frauen stärken, die oft nicht gehört werden", betonte Magdalena Tertel, Gleichstellungsbeauftragte des Oberbergischen Kreises und Leiterin des Netzwerks "No-gegen Gewalt". "Wie wunderbar wäre es, wenn es unser Netzwerk gar nicht geben müsste", sagte sie.

Die Zahlen aber zeigen, dass es das Netzwerk braucht. Denn Gewalt gegen Frauen ist auch in Oberberg traurige Realität. 375 Fälle der häuslichen Gewalt hat die Kreispolizeibehörde im vergangenen Jahr registriert, davon wurden 230 Fälle an die Jugendämter gemeldet, weil Kinder und Jugendliche unmittelbar oder mittelbar betroffen waren. Die Zahl sei zwar unverändert zum Vorjahr – jedoch unverändert hoch. "Allein heute habe ich fünf Meldungen an das Jugendamt gemacht", berichtete Sabrina Maar, Opferschutzbeauftragte bei der Polizei Oberberg.

Gewalt gegen Frauen kann unterschiedliche Gesichter haben

Dabei könne Gewalt gegen Frauen ganz unterschiedliche Gesichter zeigen – sie reicht von Mobbing über Stalking, sexuelle Belästigung bis hin zu Einsperren, sozialer Isolation, Verweigerung finanzieller Mittel, Beschimpfungen, Bedrohungen und vielem mehr. "256.276 Menschen in Deutschland wurden 2023 Opfer häuslicher Gewalt. Hinter jeder dieser Zahl steht ein Leben und eine Geschichte. Und die Dunkelziffer liegt noch viel höher. Für viele Frauen ist das eigene Zuhause der unsicherste Ort", sagte Nina Sommer, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Gummersbach und Sprecherin der Regional-AG. Sie sprach auch mit einer Frau, die selbst Opfer von Gewalt wurde (siehe unten).

Mit dem Aktionstag wolle man das Schweigen brechen, ein Zeichen setzen und Solidarität mit Opfern bekunden. Rund 40 Prozent der Männer bundesweit sähen Gewalt gegen Frauen als völlig in Ordnung an, nannte Nicole Schneider, Koordinatorin des Fachdienstes Frauen bei der Caritas Oberberg, eine erschreckende Zahl. Zu den Hilfen der Caritas gehört das Frauenhaus in Oberberg. "In unserer Gewaltschutzberatung haben wir sehr viele Anfragen", so Schneider. Viele Frauen kämen von selbst auf die Caritas zu, ohne dass die Polizei im Einsatz war und den Kontakt herstellte. "Wir schauen, was oberste Priorität hat. Dementsprechend bieten wir Hilfen an oder vermitteln weitere Anlaufstellen", berichtete Schneider.

Neun Plätze für Frauen mit bis zu 15 Kindern bietet das Frauenhaus, dessen Lage aus gutem Grund geheimgehalten wird. 2023 lag die Belegungsquote bei 86 Prozent. Schwierig sei vor allem die Finanzierung, die nicht landesweit einheitlich geregelt ist. Schneider: "Der Blick auf die Gelder im Kreishaushalt 2025 bereitet Sorge, wenn man sieht, dass um Millionen gekürzt wird. Wir brauchen Unterstützung, denn der Bedarf wird immer größer."

Gummersbacherin wird Opfer eines Säureangriffs in Gummersbach

Es ist der 9. Februar 2024, 5.30 Uhr morgens. Die Gummersbacherin Katharina Falkenberg verlässt das Haus und geht in die Garage, in dem ihr Auto steht, als sie plötzlich Schläge auf dem Hinterkopf spürt. Wenig später wird sie von ihrem Ex-Mann mit einer Flüssigkeit überschüttet – es ist 96-prozentige Schwefelsäure. Diese sorgt sofort für unerträgliche Schmerzen und brennt sich in Kleidung und Haut der Frau ein. Über Nachbarn gelingt es, Hilfe zu holen.

Viermal ist Katharina Falkenberg seit dem Angriff in einer Spezialklinik operiert worden, weitere OPs werden folgen. Ihr Ex-Mann prahlt mit der Tat und droht seiner Frau und deren Mutter auch danach. Am Landgericht Köln wird er schließlich zu zehn Jahren Haft und 250 000 Euro Schmerzensgeld verurteilt. "Oft liest man dann, dass der Fall damit abgeschlossen ist, doch das ist er nicht", sagt Barbara Reichler vom Weißen Ring in Oberberg. Sie unterstützte das Opfer nach dem Säureanschlag und tut es bis heute. Die 250.000 Euro Schmerzensgeld wird Katharina Falkenberg wohl nicht bekommen, weil der Ex-Mann den Betrag nicht aufbringen kann.

Beim Aktionstag gegen Gewalt an Frauen steht Katharina Falkenberg mit ihrer Geschichte mutig auf der Bühne. "Mir hilft es, darüber zu reden, was ich erlebt habe. Ich möchte anderen Mut machen, zu reden und sich Hilfe zu holen, wenn man sie braucht", sagt Falkenberg. Die Gummersbacherin trägt eine Echthaarperücke. Die Kosten dafür musste sie bisher zu großen Teilen selbst tragen. Vom Weißen Ring um Barbara Reichler erhält sie finanzielle Unterstützung.

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Anfang März nahm Reichler erstmals Kontakt zu Katharina Falkenberg auf. Seitdem hat sie zahlreiche Hilfen angetrieben. "Ich bin damals mit Herzklopfen hingefahren, war aber sofort beeindruckt von ihrem Kampfeswillen", sagt sie. Katharina Falkenberg möchte dieses Jahr schnellstmöglich hinter sich lassen: "Der Blick in die Zukunft ist mit vielen Unsicherheiten verbunden. Aber ich hoffe, dass es besser wird."  © Kölner Stadt-Anzeiger

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