Seit Februar 2023 sind Erftstadt und Ternopil Partnerstädte. Jetzt war der Bürgermeister der ukrainischen Stadt angereist, um an der NRW-Konferenz in Köln teilzunehmen, aber auch, um Erftstadt zu besuchen.

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Im Liblarer Rathaus empfing Bürgermeisterin Carolin Weitzel ihren Amtskollegen Serhij Nadal und Vasil Danchak, den Leiter des Ternoplier Gesundheitsamtes. Sie unterstrich den Wert der Freundschaft gerade in schwierigen Zeiten. Serhij Nadal erinnerte daran, dass es am Dienstag genau 1000 Tage her ist, dass Russland die Ukraine überfallen hat. Er sei froh, diesen Tag im Kreis echter Freunde zu verbringen. Über die Lage in dem vom Krieg erschütterten Land und die Möglichkeiten, wie Erftstädter den Menschen in der Partnerstadt helfen können, sprach Ulla Jürgensonn mit dem Bürgermeister von Ternopil.

Herr Nadal, am vergangenen Wochenende sah man in den Nachrichten wieder erschütternde Bilder aus der Ukraine. Wie wichtig ist gerade in dieser Situation eine Konferenz, wie sie am Montag in Köln stattgefunden hat?

Serhij Nadal: Sie ist von größter Wichtigkeit, denn heutzutage spüren wir Unterstützung von der gesamten demokratischen Welt. Und die ganze Welt kann beobachten, welche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Russland in der Ukraine begeht. Angriffe auf die Infrastruktur, Angriffe auf Wohnhäuser – das sehen wir jeden Tag. Deswegen ist es wichtig, solche Konferenzen zu machen, bei denen wir die Unterstützung gemeinsam entwickeln können. Es geht nicht nur um Unterstützung in der Ukraine, sondern auch um Ukrainer, die hierher geflüchtet sind.

Partnerschaft in der Zeit der Not gelobt

Welche Bedeutung hat vor diesem Hintergrund die Städtepartnerschaft?

Wir haben eine Partnerschaft während des Krieges geschlossen, in der Zeit der Not. Und man sagt auch in der Ukraine: Den richtigen Freund erkennt man in der Not. Und wir haben so einen Freund in Erftstadt gefunden. Für uns ist sehr wichtig, dass die Unterstützung nicht nur kurzfristig gedacht ist, sondern dass es Pläne gibt, sie zu erweitern.

Ternopil liegt ja Gott sei Dank nicht unmittelbar an der Front. Können Sie uns trotzdem schildern, wie der Krieg im Alltag in Ternopil zu spüren ist, wie er auf den Straßen zu sehen ist?

Auch wenn Ternopil weit entfernt von der Front ist, spüren die Menschen den Krieg. Dreimal am Tag gibt es Fliegeralarm. Fliegeralarm bedeutet Bombenangriffsgefahr. Die Menschen müssen sich in Sicherheit bringen, sie leiden unter der Gefahr. Besonders leiden die Familien, deren Männer oder Väter an die Front gehen. Und dann kehren sie zurück: schwer traumatisiert, körperlich oder geistig. Oder sogar tot. Dann ist die ganz Familie traumatisiert. Die Stadt ist zum vorübergehenden Zuhause für Hunderttausende Binnenflüchtlinge geworden. Menschen sind aus östlichen Regionen gekommen, haben Hilfe bekommen und sind weitergereist. Zurzeit sind 30.000 Binnenflüchtlinge in Ternopil. Die Stadt unterstützt sie, wo es geht. Mit Unterkunft, Essen, Arbeit.

Wie regiert die Bevölkerung auf diese Herausforderung?

Man spürt den Geist der Menschen, die sich vereinigt haben, um diesen Geflüchteten, die ihr Zuhause verloren haben, zu helfen. Unsere Hauptaufgabe als Stadt, die weit von der Front entfernt liegt, ist es, ein verlässlicher Unterstützer zu sein. Wir haben einen Teil des städtischen Budgets dafür zur Verfügung gestellt. Jeder versucht, irgendetwas zu tun, es gibt keinen Menschen, dem es egal ist. Und alle finden eine Möglichkeit zu helfen. Es gibt Rentner, die geben fast ihr gesamtes Geld für die Menschen, die für uns kämpfen. Wer wenig Geld hat, bastelt vielleicht Kerzen für die Soldaten. Auch in den Kirchen können die Bürger von Ternopil spenden, damit Material für die Soldaten gekauft wird. Die ganze Stadt ist daran beteiligt, sogar die Kinder basteln und backen und verkaufen diese Sachen, um etwas Geld zu spenden.

Ich glaube, dass in Erftstadt die Bereitschaft zu helfen sehr groß ist. Allerdings fragen sich die Menschen, welche Spende sinnvoll ist. Was wird gebraucht?

Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Denn es gibt unterschiedliche Bedarfe. Die Kämpfer benötigen andere Dinge als die Binnenflüchtlinge. Aber auch die zivile Infrastruktur in der Stadt ist beschädigt. Damit komme ich auch noch mal zu der Frage zurück, wie das Leben in Ternopil im Krieg aussieht. Wir müssen alle wichtigen Einrichtungen in der Stadt so ausstatten, dass sie weiter arbeiten können, auch wenn es keinen Strom oder kein Gas mehr gibt. Wir suchen alle möglichen Energiequellen, auch solche, die noch mit Kohle betrieben werden, aber natürlich auch solche mit alternativen Techniken. Besonders heftig trifft die Menschen ein Stromausfall oder ein Stopp der Gasversorgung im Winter. Da müssen die Gebäude der kritischen Infrastrukturen versorgt werden. Deshalb brauchen wir Generatoren.

Wir stehen vor Problemen, die wir vor drei Jahren nicht gekannt haben

Serhij Nadal, Bürgermeister von Ternopil

Wie sind Sie auf all diese Herausforderungen vorbereitet?

Wir stehen vor Problemen, die wir vor drei Jahren nicht gekannt haben. Menschen kehren aus dem Krieg zurück ohne Füße, ohne Beine, ohne Hände und mit schweren Kriegstraumata. Es besteht ein riesiger Bedarf an Rehabilitationszentren. Für körperlich, aber auch für psychische und soziale Rehabilitation. Damit diese Menschen die Möglichkeit haben, in das normale Leben zurückzukehren. Das bedeutet für uns, wir brauchen mehr Reha-Kliniken mit entsprechenden Geräten. Wir brauchen Schulungen für das Fachpersonal dieser Kliniken. Auch die Infrastruktur in der Stadt muss geändert und deutlich inklusiver werden. Es müssen Transportmöglichkeiten für die Versehrten geschaffen werden.

Aber noch mal ganz konkret: Was kann der einzelne in Erftstadt oder in Deutschland tun? Ist es zum Beispiel sinnvoll, Babyausstattung zu spenden, oder ist es sinnvoller, Geld zu geben? Und wenn ja, wem?

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Ich möchte noch einmal betonen, dass wir Deutschland und all den Menschen, die hier Hilfe leisten, sehr dankbar sind. Ich empfehle, sich an die Organisationen zu wenden, denen man vertraut. Wir vertrauen dem Blau-Gelben Kreuz, weil diese Organisation seit Jahren hier arbeitet und wir wissen, dass darüber alle Spenden ihr Ziel erreichen. Bei Sachspenden muss man bedenken, dass es keinen großen Bedarf an Kleidung gibt. Wir brauchen beispielsweise Stromgeneratoren. Natürlich erwarten wir nicht, dass jemand einen großen Stromgenerator kauft und hierher bringt. Aber wenn da 20 Menschen etwas spenden mit dem Verwendungszweck Generator Ternopil, dann kann von dem Geld ein Generator gekauft werden. Und das Blau-Gelbe Kreuz transportiert ihn nach Ternopil.

Krankenhäuser verfügen laut Bürgermeister über Stromgeneratoren

Wie sieht derzeit die medizinische Versorgung in Ternopil aus?

Alle Krankenhäuser sind mit Stromgeneratoren ausgestattet. Die Versorgung mit Strom, Wasser und Heizung ist auch in den schlimmsten Situationen sichergestellt. Alle Krankenhäuser sollen mit Bunkern ausgestattet werden. Wenn es Fliegeralarm gibt, könnten sich Ärzte und Patienten dort in Sicherheit bringen. Aber das geht nicht von heute auf morgen, das ist ein langer Prozess in Zusammenarbeit mit unseren Partnern. Wie schon erwähnt, müssen wir vermehrt Menschen versorgen, die mit schweren Verletzungen aus dem Krieg heimkehren. Erftstadt hat uns ein Fahrzeug geschenkt, das dafür geeignet ist. Damit können diese Menschen zum Krankenhaus gefahren werden. Es gibt auch Familien von gefallenen Helden – so nennen wir die Opfer dieses Krieges. Diese Familien, Ehefrauen und Kinder, sind so schwer emotional betroffen, dass wir als Stadt jede Möglichkeit nutzen, sie zu entlasten. Wenn sie mal Ferien ohne Krieg machen können, hilft ihnen das sehr, mit dieser schwierigen Situation umzugehen und zur Ruhe zu kommen.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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