Zum 80. Mal jährt sich im Mai das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. 80 Jahre Frieden haben die Menschen in Deutschland seit diesem Tag erleben dürfen, und für die überwiegende Mehrheit sind die Schrecken des Krieges kaum mehr zu begreifen.
Zum zweiten Mal hatte das Team des Euskirchener Stadtmuseums für Samstag Augenzeugen eingeladen, die das Ende des Krieges und insbesondere das Alltagsleben danach in Euskirchen miterlebt haben.
Die verfügbaren Plätze für diese Diskussionsrunde seien schnell belegt gewesen, das Thema interessiere die Menschen offensichtlich sehr, sagte Museumsleiterin Dr. Heike Lützenkirchen. "Die Verhältnisse, die nach dem Krieg für die Menschen Alltag waren, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Ich bin daher sehr dankbar, dass wir wieder drei Zeitzeugen gefunden haben, die von ihren Erlebnissen berichten."
Flieger griffen bei Burg Veynau einen Militärzug an
Maria Klinkhammer, 1935 geborene Euskirchenerin, lebte während ihrer Jugend auf Burg Veynau und erinnert sich noch sehr lebhaft an einen der letzten Kriegstage. "Ein Militärzug war ganz in unserer Nähe unterwegs und wurde plötzlich von Fliegern angegriffen", berichtete die 89-Jährige. Die Soldaten seien daraufhin in ein nahe gelegenes Waldstück geflohen, mussten sich aber auch nach dem Angriff mehrere Nächte auf der Burg verstecken. "Die Munition im Inneren des Zuges hatte Feuer gefangen und selbst zwei Tage später gab es immer noch Explosionen." Schockierende Erlebnisse, die sich bis heute in ihr Gedächtnis gegraben haben.
Nachdem der Krieg in Euskirchen noch zwei Monate vor der Kapitulation Deutschlands zu Ende gegangen war, war es besonders die Nahrungsversorgung, die die Überlebenden tagtäglich umtrieb. "Meine Familie versuchte, die Offiziersstiefel und den Offiziersdegen meines Vaters gegen etwas Essbares einzutauschen", berichtete der zweite Zeitzeuge, Jürgen Mellinghoff: "Das war jedoch gar nicht so einfach, da viele Landwirte sich als hartherzig erwiesen und uns weggeschickt haben, bevor wir endlich etwas zum Tausch bekamen."
Auch in Euskirchen herrschte der Tauschhandel vor
Deutlich erfolgreicher, aber aus heutiger Sicht nicht weniger ungewöhnlich, waren die Handelsbemühungen von Maria Klinkhammer ausgefallen. "Meine Mutter hat mir damals zwei Eier in die Hand gedrückt und gesagt, ich solle nach Euskirchen laufen und Mehl und Zucker gegen die Eier eintauschen, weil sie vorhatte zu backen."
Der dritte Teilnehmer der Gesprächsrunde zählte mit seinen 67 Jahren zwar nicht zu den Zeitzeugen der unmittelbaren Nachkriegszeit, wohl aber aufgrund seines Geschichtsinteresses zu den Experten der Euskirchener Historie. "Beziehungen waren damals mindestens genauso wichtig wie heute", betonte Kurt Lingscheidt: "Wer jemanden kannte, der begehrte Waren anbieten konnte, nutzte diese Beziehungen, um von dem Tauschhandel zu profitieren." Selbst Erzählungen, in denen Kaffee in Krankenwagen geschmuggelt wurde, um Güter vor der Militärregierung zu verbergen, seien keine Seltenheit gewesen.
Wie bedeutsam Nahrungsmittel zu dieser Zeit waren, bestätigte auch Museumsbesucher Hans Helmut Wiskirchen: "Ich erinnere mich noch an einen Besuch auf der Kirmes, bei dem man Lose kaufen konnte, um an einem Glücksrad Preise zu gewinnen." Der Hauptgewinn seien damals nicht etwa Geld oder Wertgegenstände gewesen. Der Gewinner erhielt ein halbes Dutzend Eier. "Nachdem damals tatsächlich mein Los gewonnen hatte, habe ich diese Eier wie ein Heiligtum behandelt und musste sogar vor Räubern auf der Hut sein, damit sie mir nicht direkt wieder gestohlen wurden."
Schulkassen mussten in Euskirchen in Schichten unterrichtet werden
Auch die Schulzeit war für die Zeitzeugen nach dem Krieg von Herausforderungen geprägt, die heute nur noch schwer vorstellbar seien, kommentierte Moderatorin Heike Lützenkirchen die Erzählungen. "Es herrschte eine ständige Aggression. Nicht nur zwischen den Schülern, die fast jede Pause für Raufereien nutzten, sondern auch von den Lehrern, die keine Gelegenheit ausließen, ihren Rohrstock einzusetzen", stimmte Jürgen Mellinghoff zu.
Maria Klinkhammer hingegen ist insbesondere die Unerfahrenheit der Lehrkräfte in Erinnerung geblieben. "Aufgrund der Zerstörungen mussten die Schulklassen in Schichten unterrichtet werden, da keine Räumlichkeiten zur Verfügung standen. Trotzdem haben wir so gut wie nichts gelernt", erklärte die 89-Jährige: "Was die Lehrer damals am besten konnten, war vorlesen. Später habe ich dann erfahren, dass diejenigen, die ihr Lehramtsstudium begonnen haben, nach dem Krieg nur noch einen Schnellkurs bekommen haben, um so schnell wie möglich an die Schulen geschickt werden zu können."
"Dies alles erscheint so weit weg. Und dennoch können Menschen noch aus eigener Erfahrung davon berichten", sagte Heike Lützenkirchen nach den Schilderungen ihrer Gäste. Und sie kann sich sicher sein, dass das Interesse an weiteren Zeitzeugenberichten in ähnlichen Gesprächsrunden groß sein dürfte. © Kölner Stadt-Anzeiger
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