Zwischen Herz-Ultraschall und Patientengespräch bleibt Marya Shikh Alshabab und Souliman Diab während ihrer 36-Stundenschichten wenig Zeit, sich Sorgen zu machen.

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Aber auch keine Zeit zum Feiern. Selbst wenn die Nachrichten aus der syrischen Heimat der Assistenzärztin und des Assistenzarztes ein aufreibendes Wechselbad der Gefühle zwischen großer Freude und ebenso großer Sorge auslösen.

20 Mediziner aus Syrien sind zur Weiterbildung am Klinikum Oberberg

Beide sind, wie weitere 18 ihrer Kollegen und Kolleginnen aus Syrien, zur Weiterbildung am Klinikum Oberberg, Alshabab in der Klinik für Innere Medizin und Kardiologie in Waldbröl, Diab in der Klinik für Kardiologie und Gastroenterologie. "In der Nacht, als Assad gestürzt wurde, haben mein Mann und ich nicht geschlafen", erzählt die 27-Jährige, die aus der kleinen Stadt Mardha stammt. "Wir haben versucht, die Ereignisse über die sozialen Medien zu verfolgen. Um 5 Uhr morgens hat dann mein Schwager angerufen und hat gejubelt."

Und sie selbst? Die Ärztin zögert. Ja, sie sei froh gewesen. Aber auch unsicher. "Ich habe mich gefragt, was kommt danach?" Zwei Tage lang konnte sie ihre Verwandten nicht mehr erreichen, weil das Telefonnetz zusammengebrochen war. Geahnt habe er, dass etwas passieren würde, erinnert sich ihr Kollege Diab. "Viele hassten die Regierung. Wir hatten 14 sehr, sehr schlechte Jahre, Jahre des Krieges, diese Regierung musste weg, egal was kommt."

Ärzte in Oberberg sorgen sich um ihre Familien in Syrien

Was dann folgte, waren für ihn zwei Wochen in Angst, erzählt er. Angst um seine Eltern und Verwandten in Latakia, Angst um die Zukunft seines Landes. "Was wollen die neuen Machthaber? Wie extremistisch sind sie? Wir haben nie unter Islamisten gelebt. Ich weiß nicht, was sie machen werden", schildert er seine Sorgen. Inzwischen sei er etwas beruhigter, er glaube der Übergangsregierung, dass sie gemäßigt sei und hofft, dass es keine Übergriffe auf Minderheiten geben werde.

Doch täglich verfolgt der Arzt die Nachrichten: Beunruhigt von wütenden Protesten von Assad-Anhängern, von tödlichen Anschlägen, Demonstrationen. "Jeden Tag spreche ich mit meiner Familie in Syrien." Für die Christin Marya Shikh Alshabab überwiegt die Hoffnung. "Die Rebellen hören anderen zu und in drei Monaten soll es eine neue Regierung geben. Ich wünsche mir, dass ein Syrien entsteht, in dem alle frei leben können. Man muss abwarten."

Ich wünsche mir, dass ein Syrien entsteht, in dem alle frei leben können. Man muss abwarten.

Marya Shikh Alshabab blickt optimistisch auf Syriens Zukunft

Auch, was ihre persönliche Zukunftsplanung angeht. Damit sei sie nicht allein, meint sie, und berichtet von der Umfrage unter syrischen Ärzten in den sozialen Medien. "Die meisten sagen, es sei zu früh, eine Entscheidung zu treffen. Zwölf Prozent wollen auf keinen Fall zurück nach Syrien, zehn Prozent möchten unbedingt sofort zurück, darunter solche, die Probleme mit der Anerkennung ihrer Studienabschlüsse oder mit dem geforderten hohen Niveau der deutschen Sprachkenntnisse haben."

Sie selbst denke nicht über eine Rückkehr nach. Nach ihrer Approbation, die sie im Frühjahr anstrebt, liegen fünf Jahre Weiterbildung zur Fachärztin vor ihr. Deshalb ist sie nach Deutschland gekommen, hier begeistert sie sich für berufliche Möglichkeiten, die es in ihrer Heimat nicht gebe, erklärt sie. "Ich lerne sehr viel, ich bin glücklich in Waldbröl, hier finde ich Unterstützung, Respekt und Freundlichkeit."

Nur wenige Syrer wollen in Oberberg ihre Zelte abbrechen

Beim Wiederaufbau ihrer Heimat könne sie auch von Oberberg aus helfen, etwa durch Spenden. Hätte sie eine Möglichkeit, ihre Eltern nach Deutschland zu holen, könne sie sich auch gut vorstellen, zusammen mit ihrem Mann, der ebenfalls Arzt ist, in Deutschland ihr Leben zu gestalten. Anders Souliman Diab: "Ich wollte ins Ausland, um berufliche Erfahrungen zu sammeln, Deutschland ist ein super Ziel für medizinische Weiterbildung."

Er kenne Syrer, die sofort alle Zelte abbrechen wollten. "Das sind Menschen, die aus politischen Gründen geflüchtet sind, und die hier nicht arbeiten dürfen." Für ihn stelle sich die Frage einer Rückkehr in die Heimat erst nach Beendigung seiner Weiterbildung zum Facharzt. "Jetzt ist es Zeit, sich politisch zu engagieren, seine Meinung zu sagen, Parteien zu gründen und die Demokratie aufzubauen", sagt der 27-jährige Assistenzarzt. "Wir haben 24 Jahre unter Assad gelebt, einen neuen Diktator darf es nicht geben. Deshalb werde ich dann wohl in mein Land zurückgehen."

Das sagt der Chefarzt:

Der Chefarzt der Klinik für Kardiologie und Innere Medizin am Kreiskrankenhaus Waldbröl, Dr. Vedat Tiyerili, ist ganz entspannt: "Ich glaube nicht, dass unsere syrischen Assistenzärztinnen und -ärzte plötzlich alle abreisen." Er wisse natürlich um deren Heimatliebe und versteht den Wunsch, das zerstörte Land wieder aufzubauen. "Aber das deutsche Gesundheitswesen ist so stabil und das Ausbildungsniveau hier ist so attraktiv, dass ich mir überhaupt keine Sorgen mache."

Ausländische Ärzte sind am Klinikum Oberberg unverzichtbar

Bisher habe niemand aus dem Kreis der 20 syrischen Assistenzärzte Rückkehrabsichten geäußert, teilt Klinikum-Sprecherin Anja Dohrmann auf Anfrage mit. In einer Stellungnahme der Klinikleitung heißt es, man schätze es sehr, "dass sie trotz der Herausforderungen, die der Regimewechsel in Syrien mit sich bringt, weiterhin am Klinikum Oberberg bleiben möchten." Gerade auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels an deutschen Kliniken sei ihr Einsatz von unschätzbaren Wert. Das gelte selbstverständlich auch für die Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern.

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Kardiologe Tiyerili bringt es auf den Punkt: "Ohne die Ärzte mit Migrationshintergrund, zu denen ich ja auch selbst gehöre, könnten wir das Krankenhaus schließen. In der Großstadt mag das anders sein, aber hier auf dem Land sind sie nicht wegzudenken. Wir sind froh, dass sie da sind. Für meine Klinik kann ich sagen, ohne die syrischen Ärzte wäre es sehr schwer, die Patienten zu versorgen."   © Kölner Stadt-Anzeiger

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