Hin und wieder klingelt bei Gökhan Erdek das Telefon auch mitten in der Nacht. "SMS, Anruf, Videocall, da ist alles dabei", sagt der 27-Jährige mit einem Grinsen.
"Sei es Liebe, irgendwelche Streits mit Freunden und Familie. Oder manchmal wird nur gefragt, wie es mir geht." Ab und zu geht Erdek nicht ran, meistens aber schon. "Ich versuche mein Bestes, um zu helfen, wo es geht." Der großgewachsene Mann aus Porz mit den wilden Locken und dem Vollbart ist allerdings kein Telefonseelsorger. Nicht hauptsächlich jedenfalls.
Beim "Dorfklub" FC Germania Zündorf ist Erdek Trainer und Organisator der Inklusionsmannschaft – was ihn zu einem Anker im Leben vieler junger Menschen mit Behinderung macht. Der Kölner hat aus seinem Heimatverein über die letzten Jahre mit viel Schweiß und Tränen ein Aushängeschild der Stadt im Inklusionssport geformt, natürlich als Ehrenamtler. Inzwischen fragt sogar der große 1. FC Köln bei Erdek um Rat, der Zweitligist möchte sein Engagement ausbauen und eine Inklusions-Mannschaft gründen.
Germania Zündorf hat seit 2016 ein Inklusionsteam
Bei Germania Zündorf gibt es bereits seit 2016 ein Inklusionsteam. Damals spielte Erdek noch bei den ersten Herren in der Innenverteidigung, wunderte sich aber über die chaotischen Outfits der neuen, bunten Mannschaft. "Ich habe dann mal beim Flughafen angefragt, ob sie sich engagieren möchten. Am nächsten Tag kam ein Anruf, sie fanden das Thema cool", erinnert sich Erdek. Mit dem einheitlichen Trikotsatz fing es an, seitdem erweiterte er die Möglichkeiten des Inklusionsteams Jahr für Jahr. Aus zunächst zwei Trainern und sechs Spielern sind inzwischen neun Coaches und rund 40 Aktive geworden – zwischen sieben und 75 Jahren, mit einem breiten Spektrum von Handicaps. Erdek selbst hatte zuvor keine größeren Berührungspunkte mit dem Thema Inklusion, arbeitete sich aber Stück für Stück hinein – neben seiner Schichtarbeit für den Zoll am Flughafen Köln-Bonn.
An den Umgang mit Menschen mit Einschränkungen tastete er sich zunächst heran, ehe ihm klar wurde, dass es in der Regel nicht nötig ist. "Viele sehen das Thema etwas stiefmütterlich und denken Och, der arme Behinderte. Aber das wollen sie nicht. Die sind nicht auf den Kopf gefallen, die wollen behandelt werden wie du und ich", sagt Erdek. "So ist auch der Umgang auf dem Fußballplatz. Wenn einer mal Scheiße baut oder zu viel mit den Gegenspielern meckert, dann greifen wir da genauso ein, wie im normalen Spielbetrieb."
Ein Turnier mit 38 Teams aus sechs Nationen
Heute ist Zündorf auf der deutschen Inklusionssport-Landkarte eine feste Größe. Immer wieder reist Erdek mit der Mannschaft zu Turnieren ins Ausland. Pokale und Medaillen füllen eine ganze Vitrine im Vereinsheim. Im Sommer 2024 organsierte er ein Event mit 38 Teams aus sechs Nationen auf der heimischen Sportanlage an der Heerstraße. "Das hat richtig Spaß gemacht, es gab noch Livemusik von Miljö und den Bläck Fööss, so konnten wir den Gästen noch etwas kölsche Kultur vermitteln", berichtet Erdek.
Im Fußball-Verband Mittelrhein (FVM) gibt es eine Inklusions-Liga mit 15 Ü-19-Mannschaften. Erdek ist neben seinen diversen Posten in Zündorf auch noch Inklusionsbeauftragter beim Verband im Vorstand des Fußballkreises Köln. Beim Engagement der Vereine sieht der 27-Jährige noch viel Luft nach oben. "In Köln gibt es rund 110 Fußballvereine, nur etwa zehn davon betrieben Inklusionssport. Das ist schon extrem dünn", kritisiert Erdek. Natürlich gebe es in Zündorf mit einer Sportanlage mit zwei Kunstrasenplätzen vergleichsweise luxuriöse Rahmenbedingungen – dennoch fehle oft der Mut, eine Mannschaft für Menschen mit Behinderungen aufzubauen. Die Nachfrage seitens potenzieller Spieler sei vorhanden. "Und ich helfe liebend gerne jedem Verein weiter, der Fragen bei dem Thema hat", stellt Erdek klar. Die Arbeit, die Vereine in ein Inklusionsprojekt stecken, zahle sich schnell aus – um ein Vielfaches, sagt der Porzer. "Für ein Inklusionsteam ist es aus meiner Erfahrung viel leichter, Sponsoren zu finden, als für ein Nachwuchs- oder Seniorenteam", sagt Erdek. "Ich sage immer: Traut euch!"
Beim FC Germania kommt es immer wieder zu beeindruckenden Momenten – wie im September 2024, als die FC-Stiftung zusammen mit Zündorfs Inklusionsteam dreimal zu Gast in der JVA Ossendorf, um mit Inhaftierten Fußball zu spielen. "Unsere
2023 wurde Gökhan Erdek auf der SportNacht als "Person des Kölner Sports" geehrt
Über die Jahre wurde Erdek für sein beeindruckendes ehrenamtliches Engagement vielfach ausgezeichnet, unter anderem auf der Kölschen SportNacht 2023 als "Person des Kölner Sports". Auch hier fand Michelle starke Worte: "Wenn mir hier nicht die Möglichkeit gegeben worden wäre, mit einem Rollator Fußball zu spielen, würde ich nachts nur davon träumen können." Aus solchen Momenten zieht Erdek die Kraft für sein zeit- und arbeitsintensives Ehrenamt. "Die Lebensfreude, die in der Inklusionsmannschaft steckt, die sieht man sonst nirgendwo. Da stecke ich gerne viel Zeit rein. Da bekomme ich einfach viel zurück von den Jungs und Mädels. So ein Lächeln lässt einen einfach gerne weitermachen", sagt er. Dazu könne man den Fußball nicht einfach so loslassen, "ich brenne dafür, jeden Tag".
Sorgen bereiten Erdek jedoch die von der Stadt angekündigten Kürzungen im Sport. "Das ist ein Schlag ins Gesicht für das Ehrenamt und alle Vereine, die davon betroffen sein könnten", kritisiert er. "Ich hoffe, dass es noch einen Sinneswandel gibt." Denn Erdek hat sich für sein Inklusionsteam viel vorgenommen. 2025 soll unter anderem ein Schiedsrichter-Lehrgang für Menschen mit Behinderungen organisiert werden. Für 2026, zum zehnjährigen Bestehen der Mannschaft, ist das nächste große Turnier in Zündorf geplant. "Ich stehe schon in Kontakt mit Manchester United und dem FC Barcelona", verrät er. So wird auch künftig Gökhan Erdeks Telefon nur selten stillstehen.
In diesem Jahr ist der "Kölner Stadt-Anzeiger" erstmals exklusiver Medienpartner der Kölschen SportNacht. Auf der Gala am 29. März in der Kölner Flora werden nicht nur Kölns Sportler, Sportlerin und Mannschaft des Jahres ausgezeichnet. Auch eine "Person des Kölner Sports" wird erneut geehrt. Gewürdigt werden sollen Persönlichkeiten, die sich im besonderen Maße um den Kölner Sport verdient gemacht und ihn geprägt haben – wie Gökhan Erdek. Ob als Sportlerin oder Sportler, Trainerin oder Trainer, Ehrenamtlerin oder Ehrenamtler. Kandidaten-Vorschläge können bis zum 23. Februar 2025 eingereicht werden.
Den Bewerbungsbogen gibt es unter: www.koelschesportnacht.de/sonderehrungen/sonderehrungen-2024
Ein Gremium aus Vertreterinnen und Vertretern des Kölner Sports wählt die "Person des Kölner Sports", die die Hälfte aus allen Einnahmen einer Verlosung auf der Gala am 29. März in der Kölner Flora erhält, um ihr Herzensprojekt finanziell zu unterstützen. (ckr) © Kölner Stadt-Anzeiger
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