Zwei Betten und ein Schrank sind Jürgen Westfeld und Michael Hornig geblieben. Das etwa 15-Quadratmeter große Zimmer, in dem sie untergebracht sind, wird von vergilbten Vorhängen abgedunkelt, die Tür ist beschädigt.
Sie sieht aus, als hätte jemand versucht, sie mit Gewalt aufzubrechen. "Uns geht es besser als den vielen Obdachlosen, die hier in Köln gar kein Dach über dem Kopf haben, aber die Situation fühlt sich gerade mehr nach Überleben an als nach Leben", sagt Jürgen Westfeld.
Dieser Text gehört zu den beliebtesten Inhalten des Jahres 2024 und wurde erstmals am 26. September 2024 veröffentlicht. Mehr der meistgelesenen Artikel des Jahres finden Sie hier.
Am vorvergangenen Donnerstag haben Gerichtsvollzieher umgesetzt, was die Wohnungsgesellschaft GAG zuvor vor dem Amtsgericht eingeklagt hatte: Sie setzten Westfeld und Hornig per Zwangsräumung vor die Tür. Westfeld, Hauptmieter der Wohnung in Köln-Vingst, lebte zuvor seit 19 Jahren dort, Hornig war vor vier Jahren zu ihm gezogen. Nun wurden die beiden über 60-Jährigen in einem Notunterbringungs-Hotel am Rande der Stadt in Porz-Wahn untergebracht.
Demonstration gegen Zwangsräumung in Köln-Vingst
Noch als die Gerichtsvollzieher schon angerückt waren, hatte unter anderem der Aktivist und Sozialarbeiter Rainer Kippe von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM) versucht, die Räumung mit einer Demonstration zu verhindern. Auch mehr als eine Woche später ist Kippe empört über den Umgang der GAG mit den beiden Mietern: "Es ist ein Skandal, wie die Stadt und die GAG mit Menschen, die Hilfe brauchen, umgeht."
Tatsächlich kämpfen Hornig und Westfeld schon lange mit gesundheitlichen Problemen. 2021 landete Westfeld wegen einer Niereninsuffizienz ausgemergelt im Krankenhaus. "Ich konnte nichts mehr essen, wog nur noch 39 Kilogramm", erzählt er. Später wurde ihm Pflegestufe zwei attestiert, eigentlich hätte ihm eine Haushaltshilfe zugestanden, doch habe er nie eine bekommen.
Gepflegt wurde er stattdessen von seinem Freund Hornig. Doch auch er wird von Krankheiten geplagt, unter anderem habe er seit Jahren das Messie-Syndrom. Schon zuvor sei er deswegen aus einer Genossenschaftswohnung geflogen. "Die Schuld in dieser ganzen Sache trifft mich, das Messie-Problem habe ich in sein Leben gebracht", sagt Hornig mit Blick auf Westfeld.
Die GAG, die sich zum Großteil im Besitz der Stadt Köln befindet, begründet die Räumung mit Beschwerden der Nachbarn. "Seit gut vier Jahren häuften sich Beschwerden der übrigen Mietparteien über Vermüllung in der Wohnung und im Keller sowie über extreme Geruchsbelästigung", sagt ein Sprecher der GAG. Mehrere Versuche von GAG-Mitarbeitern und Sozialarbeitern, eine Lösung zu finden, seien fehlgeschlagen.
"Seitens der Sozialarbeiterin wurde auch versucht, eine Betreuung für die beiden zu installieren. Letztlich blieben aufgrund fehlender Kooperation der beiden Bewohner alle Lösungsversuche erfolglos, und die Probleme im Haus hielten an." Zwar sei die GAG sich ihrer Verantwortung für Menschen in schwierigen Lebenslagen bewusst, "die GAG hat aber auch eine Verantwortung gegenüber den in diesem Fall fünf anderen Mietparteien".
1300 Menschen in Not-Hotels untergebracht
"Diese Menschen fallen ins Nichts und die Stadt schaut dabei zu", sagt Rainer Kippe zu dem Fall. Er versuchte unter anderem durch mehrere Schreiben an Sozialdezernent Harald Rau, die Zwangsräumung zu verhindern und stattdessen Hilfe für die beiden kranken Männer anzufordern. Gebracht hat es am Ende nichts. "Die Stadt hätte die Wohnung beschlagnahmen können, stattdessen werden zwei kranke Menschen in einem Not-Hotel abgeschoben."
Der Fall von Hornig und Kippe sei zwar besonders drastisch. Er stehe aber auch symptomatisch für eine verfehlte Wohnungs- und Sozialpolitik, findet Kippe: "Statt Wohnungen zu bauen oder anzumieten, werden tausende Obdachlose in diese Not-Hotels gesteckt. Menschen, die dort unterkommen, haben kaum eine Chance, sich eine neue Existenz aufzubauen. Und die Stadt zahlt den Betrieben auch noch eine Menge Geld dafür."
Tatsächlich sind Westfeld und Hornig kein Einzelfall. Im vergangenen Jahr hatte die Stadt Kenntnis von 1265 Räumungsterminen in Köln. Dieses Jahr werden es laut einer Sprecherin voraussichtlich 1350 Termine sein. Aus "datenschutzrechtlichen Gründen" wolle sich die Stadt zwar nicht zu dem konkreten Fall äußern, bestätigt aber, dass aktuell rund 1300 Menschen in Not-Hotels untergebracht sind.
Obdachlose in eigene Wohnungen unterzubringen sei schwierig, so eine Sprecherin der Stadt: "Die Realisierung von Neubauten nimmt angesichts begrenzter personeller und finanzieller Ressourcen der Stadt, den erforderlichen Projektabläufen und gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigungsprozessen sowie begrenzter Kapazitäten der Bauwirtschaft, regelmäßig mehrere Jahre in Anspruch." Sie verweist jedoch auf insgesamt fünf Bauprojekte, die in den nächsten vier Jahren fertiggestellt werden und bis zu 183 Wohnungen für Obdachlose schaffen sollen.
Für Westfeld und Hornig bleibt vorerst nur der Platz in dem Not-Hotel. Immerhin: Mittlerweile unterstützen zwei Mitarbeiter der Diakonie sie dabei, eine neue Wohnung zu suchen. Denn obwohl Kippe für die beiden vor dem Landgericht Einspruch gegen die Zwangsräumung eingelegt hat, glaubt er nicht daran, dass sie bald wieder zurück in ihre Wohnung dürfen: "Erfahrungsgemäß werden solche Einsprüche abgelehnt, da mache ich mir wenig Hoffnungen."
Hinweis: Die beiden rausgeschmissenen Mieter befinden sich im Dezember 2024 nach wie vor in dem Notunterbringungs-Hotel. Rainer Kippe von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM) versucht weiterhin, die beiden in einer neuen Wohnung unterzubringen – bisher erfolglos. © Kölner Stadt-Anzeiger
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.