Herr Leggewie, Sie kommen Ende Januar nach Köln, um einen ganzen Tag lang über das Papsttum nachzudenken und zu diskutieren. Was reizt Sie als Politikwissenschaftler am letzten absolutistischen Regime der Welt?
Professor Claus Leggewie: Der Papst ist Symbol oder auch der Akteur einer Form der Globalisierung, die bisher weniger bedacht wurde. Globalisierung gilt als ein wirtschaftliches, finanzielles, politisches Phänomen. Der Papst hingegen bringt die ganze institutionelle und spirituelle Macht der katholischen Kirche, also einer eher aus der Vormoderne in die Gegenwart hineinragenden Institution, in das Weltgeschehen ein.
Ist das aus Ihrer Sicht ein Gewinn?
Das kommt darauf an. Mit Blick auf den Ukraine-Krieg oder auch den Nahostkonflikt liegt der Papst völlig daneben. Da dominiert bei ihm ein sehr abstrakter christlicher Pazifismus, der sich realpolitisch als unfruchtbar erweist oder gar als kontraproduktiv. Der Wille zur Versöhnung schließt auch die Akteure der russisch-orthodoxen Kirch ein, die Putins Krieg nicht nur mittragen, sondern auch noch ideologisch, weltanschaulich befeuern, im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Rücksicht um des ökumenischen Ziels einer Einheit der Christenheit ist eine Katastrophe, die für mich fast dem Versagen von Papst Pius XII. gegenüber dem Nationalsozialismus gleichkommt. Und auch im Nahost-Konflikt versagt der Vatikan mit einseitiger Friedensrhetorik, die von den tiefen Ursachen der Auseinandersetzung ablenkt: nämlich einem im Kern antisemitischen Antizionismus und im Terror islamistischer Gruppen gegen Israel.
Stalin hat ja einmal gefragt: Wie viele Divisionen hat der Papst?
Ja, das war ein verächtliches, zynisches Insistieren auf der "Realpolitik". Das Interessante – und damit bin wieder bei der Globalisierung – ist aber, dass die geistige Macht des Papsttums nicht vorhandene Divisionen kompensieren kann. Deswegen stünde ein stärkerer Einsatz gegen den Aggressor Putin, gegen den militanten Islamismus dem Papst gut an. Leider fällt er für eine Allianz der Demokraten vollkommen aus. Im Umkehrschluss stärkt er damit – vielleicht ungewollt – die Gegner der Demokratie weltweit.
Die katholische Kirche ist in ihrer Verfassung selbst undemokratisch.
Das ist so. Die Hoffnung auf eine Demokratisierung der Kirche – wenn ich sie je besessen hätte – habe ich aufgegeben. Aber wenn man über Globalisierung spricht, hat man es doch überwiegend mit nicht demokratisch legitimierten Akteuren zu tun. Wer legitimiert die Tech-Companies? Wer legitimiert die jetzt auftauchende Plutokratie in den Vereinigten Staaten? Wer legitimiert den chinesischen und russischen Imperialismus, der sich in Gestalt des Brics-Staatenbündnisses und auch als Teil der G20 breitmacht? Niemand! Die undemokratische Struktur also kein Alleinstellungsmerkmal des Globalisierungsakteurs Vatikan und bei ihm immerhin insofern verzeihlich, als die Kirche auch niemals behauptet hat, eine demokratische Institution zu sein.
Sehen Sie denn eine politische Agenda des Vatikans?
Was den Papst interessiert, ist insbesondere die Ausbreitung des Katholizismus in Afrika. Das ist deutbar als eine Art von christlicher Rekolonisierung, heute stärker unter humanitären Gesichtspunkten und weniger verbandelt mit Kolonialmächten, aber eben doch die Verbreitung einer für Afrika nicht originären Weltanschauung auf dem ganzen Kontinent, teils in Konkurrenz, teils aber auch in Kooperation mit dem Islam?
Was ist das verbindende Moment?
Das Papsttum sucht immer wieder den Schulterschluss in einem globalen Kampf gegen den Atheismus. Da ist es auch bemerkenswert, wie sich der US-Katholizismus mit den Evangelikalen und orthodoxen Juden in eine reaktionäre religiöse Rechtsfront gegen die Demokratie eingefügt hat.
Andererseits hat sich der Papst wiederholt kritisch gegenüber den USA geäußert.
Da spielt bei Franziskus zum einen der antiamerikanische Affekt vieler Lateinamerikaner eine Rolle, die die Einmischung der USA zugunsten übelster Regime miterlebt haben. Zum anderen ist die Haltung des Vatikan seit langem geprägt durch die Ablehnung des Konsumkapitalismus, der als areligiös-materialistische Weltanschauung für ähnlich verderblich erachtet wird wie der kommunistische Kommunismus im ehemaligen Ostblock. Den Kampf gegen beide Ideologien hatte sich besonders Papst Johannes Paul II. auf die Fahnen geschrieben.
In dem Buch "Papst und Zeit", um das es in Köln besonders gehen soll, benennt der Autor Otto Kallscheuer die Wandlungsfähigkeit des Papsttums als Überlebens- und Erfolgsgarant der Kirche. Teilen Sie das – trotz Ihrer Skepsis, was demokratische Reformen in der Kirche betrifft?
Ganz klar! Wo haben wir sonst eine Institution, die sich gewissermaßen jedem Aggregatzustand der Weltgeschichte anverwandeln konntem vom römischen Imperium bis heute? Das ist – wertneutral betrachtet – eine unglaubliche politische Leistung, was wir in den säkular geprägten Sozialwissenschaften viel zu wenig bedacht haben. Auch deswegen meine ich: Die Akteure und Analysten im Feld der internationalen Beziehungen müssten sich schon längst um den Papst und den Vatikan gekümmert haben, viel mehr. Eine Betrachtung der Globalisierung, die ohne den Vatikan auszukommen glaubt, kann kein vollständiges Bild liefern. Auch deshalb ist Kallscheuers Studie von so großem Gewicht.
Teilen Sie denn auch seine Sicht, dass sich im Amt des Papstes Irdisches und Himmlisches verbindet?
Ich bin kein Atheist. Deshalb sehe ich auch das Potenzial des Papsttums, der Menschheit zu zeigen, dass es noch mehr gibt als den Machttrieb und den schnöden Mammon. Ich bin sicher, das Christentum bietet – abgesehen von einigen indigenen Vorstellungen – die größte religiöse Reserve gegen die Überausbeutung des Planeten Erde, die uns zu ruinieren droht. Im Engagement für das, was in konservativen Kreisen "die Bewahrung der Schöpfung" heißt, wäre der Papst deshalb ein sehr willkommener Bündnispartner. Aber auch da steht er oft auf der falschen beziehungsweise realpolitisch ungünstigen Seite.
Diskussion "frank&frei": Brauchen wir einen Papst?
Claus Leggewie nimmt mit führenden Vertretern aus Theologie, Geschichts- und Politikwissenschaft – unter ihnen Johanna Rahner (Tübingen), Michael Seewald (Münster) und Tine Stein (Göttingen) – an einem Symposium zu der Studie "Papst und Zeit" des Politologen und Philosophen Otto Kallscheuer (Verlag Matthes & Seitz) teil.
In der Talkreihe "frank &frei" diskutieren der Bischof Franz-Josef Overbeck (Essen) und Regionalbischöfin Petra Bahr (Hannover) mit Kallscheuer die Frage: Brauchen wir einen Papst?
Donnerstag, 30. Januar, ab 11.15 Uhr, in der Karl-Rahner-Akademie, Jabach-Straße 4-8, 50676 Köln.
Weitere Informationen und Anmeldemöglichkeiten finden Sie hier. © Kölner Stadt-Anzeiger
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