Nach den ersten Monaten seiner Interimsintendanz kann Rafael Sanchez eine erste positive Bilanz ziehen: Die Auslastung des Kölner Schauspiels liegt derzeit bei mehr als 80 Prozent.

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Trotz des erneut gescheiterten Umzugs an den Offenbachplatz, trotz eines riskanten Starts mit drei Uraufführungen. Eine davon, die von Sanchez selbst inszenierte Revue "Grmpf", thematisiert den Frust über die Dauerbaustelle, über den Stillstand in Köln – und hat damit einen Nerv beim Publikum getroffen. Zu den Favoriten der Zuschauer gehören auch "Die Katze auf dem heißen Blechdach" und "Momo", das erste Familienstück am Schauspiel Köln seit zwölf Jahren.

Womit bewiesen wäre, dass die Nachfrage an Kinder- und Jugendstücken in der Stadt noch nicht gesättigt ist. "Wenn wir mal ehrlich sind", sagt Sanchez, "gibt es in Köln doch vergleichsweise wenig Kultur." Andere Millionenstädte hätten etwa zwei große Schauspielhäuser. "Im Gegensatz zu den kleineren Theatern", ergänzt die Leitende Dramaturgin Sibylle Dudek, haben wir hier die Mittel und das Privileg ganz andere Bilder zu erschaffen." Ein gewisser Wow-Faktor ist sicher nicht zu unterschätzen, wenn es darum geht, Vor- und Grundschulkinder mit dem Theatervirus zu infizieren. "Ich finde, ein Stadttheater muss das machen", sagt Sanchez.

Wenn wir mal ehrlich sind, gibt es in Köln doch vergleichsweise wenig Kultur.

Rafael Sanchez

Man kann das als ersten Hinweis auf die Leitung des Schauspielhauses Zürich nehmen, die Sanchez nach zwölf Jahren in Köln im Herbst gemeinsam mit Pınar Karabulut antritt. Zum Zürcher Programm schweigt er sich freilich noch aus: "Die Pressekonferenz ist im Mai."

In Köln beginnt dann eine neue Ära mit Kay Voges. Die Übergangszeit ist für viele Menschen am Schauspiel keine leichte, man arbeitet auf einen Bruch hin. "Es ist sogar ein Doppelbruch", sagt Dudek, "von einigen sehr gemochten Kollegen mussten wir uns schon letztes Jahr verabschieden." "Emotional ist das gerade eine der schwierigsten Zeiten, auch wegen des ausgefallenen Umzugs und das spürt man auch im Haus", findet Tanzkuratorin Hanna Koller, die bereits seit den frühen 1990ern am Schauspiel arbeitet.

Kölner Tanzgastspiele sind durchweg ausverkauft

Mit den hochkarätigen Tanzgastspielen, die Koller nach Köln holt, kann sie sogar eine Auslastung von 100 Prozent vorweisen. Umso mehr ärgert sie sich darüber, dass sich die Stadt, dem Publikumsinteresse zum Trotz, weiterhin dem Tanz verweigert. Die groß angekündigte eigene Kompanie wurde auf eine ungewisse Zukunft verschoben, der Etat abseits der internationalen Gastspiele auf null gestrichen.

Immerhin können sich die Kölner noch auf einige Spitzen in dieser Spielzeit freuen, etwa einen Abend aus Marseille mit den Arbeiten von vier Choreografinnen, auf Florentina Holzingers spektakulär-skandalöse Volksbühnen-Inszenierung "Ophelia's Got Talent" – und auf eine Arbeit von Gisèle Vienne, die im Juni das achte und letzte Britney-Festival eröffnen wird. Das große Thema der Puppenbauerin und Choreografin ist die körperliche Gewalt, anlässlich einer Werkschau von Vienne schrieb "Nachtkritik.de": "Sogar die hart gesottene Florentina Holzinger musste schlucken." Auf dem Internetportal ist vor ein paar Tagen Rafael Sanchez "Grmpf"-Abend als eine der zehn besten Theaterinszenierungen des vergangenen Jahres gewählt worden.

Damit bringt sich Köln wieder auf die Höhe des Diskurses. Das Gleiche gilt für einige der kommenden Theaterpremieren: Die in Tschechien gefeierte Regisseurin Kamila Polívková setzt Elfriede Jelineks Trauerstück "Asche" ins Bild. Der bekannte Kölner Film- und Fernsehregisseur Jan Bonny wird mit "Eisenfaust" – einer sehr freien Bearbeitung von Goethes "Götz von Berlichingen" – seine Untersuchung des fragwürdig gewordenen Begriffs der "Freiheit" auf der Bühne fortsetzen.

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Und mit Yael Ronen kommt eine der wichtigsten Theatermacherinnen der vergangenen 15 Jahre zum ersten Mal in Köln. In "Collateral Damage" untersucht die israelische Regisseurin mithilfe von Hans Blumenbergs Essay "Schiffsunglück mit Zuschauer" das Dilemma des unfreiwilligen Katastrophentouristen: Soll man hingucken, den Blick senken oder sich in Eskapismus retten? "Und wie lange", fragt Sibylle Dudek, "können wir uns so eine Haltung überhaupt noch leisten?"  © Kölner Stadt-Anzeiger

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