Man muss nah an die Vitrine im Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK) treten, um jeden der 56 hier ausgestellten Fingerringe eingehend betrachten zu können.

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Welches andere von Menschen gemachte Objekt ist bei so geringer Größe derart stark symbolisch aufgeladen? Ringe versprechen Liebe oder erheben Anspruch auf Herrschaft, verkünden den gesellschaftlichen Rang ihres Trägers, sein Amt oder seinen Familienstand, können Schmucksteine fassen oder Gift, das man unliebsamen Menschen unauffällig ins Essen träufeln kann. Manchen von ihnen werden sogar magische Kräfte zugeschrieben.

Der Siegelring mit der Nummer 1 ist das älteste Objekt in der Schmucksammlung des MAKK, er stammt aus fernsten Fernen, dem Mesopotamien des fünften Jahrtausends vor Christus. Eine Altorientalistin datierte ihn im Rahmen einer Neubewertung der Sammlung noch weiter zurück als zuvor vermutet. Die Fassung der Gemme hat Elisabeth Treskow in den 1950ern in Köln angefertigt, sie war eine der ersten Frauen, die die Goldschmiedekunst beruflich ausübten, oft im Dialog mit der Antike: Sie war maßgeblich an der Wiederentdeckung der etruskischen Technik der Granulation beteiligt, bei der staubkorngroße Goldkügelchen auf Goldgrund gelötet werden, für den maximalen plastischen Effekt.

Ein Ring zeigt ein küssendes Liebespaar, ein anderer einen erigierten Penis

Ring Nummer 28 ist ein goldener Liebesring aus dem Italien des 16. Jahrhunderts, zwei nackte Figuren lehnen liegend an einem Pinienzapfen, der aus einem herzförmigen Schild wächst. "Per tua belta", "für deine Schönheit" lautet die Widmung im Inneren. Den Ring 46 hat Herbert Zeitner 1953 geschmiedet, sein Kreis wird von den Köpfen eines sich küssenden Paares geschlossen. Sehr viel prosaischer wirkt die Nummer 52, Peter Skubics "Penisring", von dem ein Phallus aus geschwärztem Silber schön-obszön absteht.

Die 53, den "Herrenring Rhöntisch", hat Alfred Biolek kurz vor seinem Tod dem Museum vermacht. Er enthält ein kleines Stück vom Holz jenes Tisches, an dem der Moderator nach seinen TV-Aufzeichnungen Superstars wie Tina Turner oder Shirley MacLaine bewirtete.

So viele Ringe, so viele Geschichten. Dabei ist die Vitrine nur eine von 28 Stationen in der neuen Ausstellung "Faszination Schmuck. 7000 Jahre Schmuckkunst im MAKK", in der das Haus 370 ausgewählte Prachtexemplare aus seiner rund 1700 Werke umfassenden Schmucksammlung präsentiert. Obwohl die als eine der weltweit bedeutendsten gilt – in den vergangenen Jahren kamen noch 288 Objekte aus dem späten 20. und dem frühen 21. Jahrhundert dazu – ist es das erste Mal in der Geschichte des Museums, dass sie in einem solchen Umfang gezeigt wird.

Damit macht das MAKK die Not zur Tugend, nach der aufwendigen Sanierung von rund 270 Fenstern steht dem Haus eine Generalsanierung bevor. Schmuck lässt sich indes auch auf kleinem Raum mit großer Wirkung zeigen.

Je schmuckloser die Herrenmode wurde, desto aufwendiger dekorierten sich die Damen

Museumsdirektorin Petra Hesse und Schmuckexpertin Lena Hoppe haben die Exponate mal nach Epochen angeordnet, mal nach Themen, die Zeiten und Kulturkreise überschreiten. Zwar geht Schmuck fast immer mit Mode einher – als die Männerkleidung nach den Napoleonischen Kriegen immer schmuckloser und eintöniger wurde, dekorierten sich die Damen umso aufwendiger mit vielteiligen Garnituren: Eine sogenannte Parure bestand mindestens aus Diadem, Ohrgehänge, Halskette, Armband und Brosche.

Inzwischen tragen auch modebewusste Männer Perlenkette. Ja, eigentlich könnte man sich mit der Mehrheit der ausgestellten Stücke noch heute schmücken und würde es wohl nur zu gerne, da sind 7000 Jahre Menschheitsgeschichte ein Tag. Zum Beispiel mit dem englischen Collier aus viktorianischer Zeit, dessen Goldfassungen keine Edelsteine, sondern grün irisierende Flügeldecken des Juwelenkäfers halten. Oder mit einem Amulett aus dem 16. Jahrhundert, dessen dreiarmige rote Korallenäste vor allem Kinder vor Krankheiten, bösem Blick und Blitzeinschlag schützen sollen.

Ob auch jene Silberdrahtkette als Bannzauber funktioniert, aus deren Naturperlen der japanische Schmuckkünstler Shinji Nakaba winzige Totenschädel geschnitzt hat? Oder ob sie eher ein barockes Vanitas-Motiv für unsere volatile Gegenwart neu interpretiert? Fast jedes Objekt verbirgt tiefere Bedeutungen hinter seiner polierten Oberfläche: Eine französische Jugendstil-Halskette, die waghalsig Horn, Süßwasserperlen, Quarz, Gold, Emaille und Diamanten kombiniert, gibt sich ganz natürlich, ihr Ginkgoblattmotiv hat sie jedoch aus der japanischen Kunst übernommen – durch den Kolonialismus, ergänzt der Ausstellungstext, gelangten zunehmend exotische Pflanzen zum Teil illegal nach Europa.

Mit den floralen Motiven der Art nouveau korrespondiert die vor 20 Jahren in der deutschen Schmuckhochburg Pforzheim entstandene Serie "Ingwer". Für sie hat der in Vietnam geborene deutsche Schmuckdesigner Sam Tho Duong den Abguss einer Ingwerknolle galvanoplastisch vervielfältigt: "Jedes seiner ‚Ingwer‘- Objekte", schreibt Lena Hoppe, "ist ein Unikat und das Ergebnis von Experimenten mit verschiedenen Materialien."

Die Übergänge zwischen Kunsthandwerk und Kunst sind häufig fließend, wie bei den "Zoo-Ringen" des Schweizer Künstlers Dieter Roth aus dem Jahr 1975: Messingringe, auf deren Fassungen man je nach Tageslaune einen anderen Tierkopf aufschrauben kann. Oder bei einer Halskette von Karen Pontoppidan aus der Serie "Gender Bells" von 2016: Der als Glocke geformte Anhänger besteht aus mit Eisendraht zusammengehefteten Blechteilen. Zwar verbirgt sich im Inneren ein Klöppel, nur schön klingt das nicht, und schön soll es auch nicht aussehen. Es ist eine radikale Absage an die protzige Parure. Schmücken tut die Glocke trotzdem.

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"Faszination Schmuck. 7000 Jahre Schmuckkunst im MAKK" ist ab dem 18. Dezember im Museum für Angewandte Kunst Köln zu sehen. Eintritt 5 Euro, erm. 2,50 Euro. Zur Schau ist auch ein Katalog im Verlag arnoldsche Art Publishers erschienen, er kostet 48 Euro. Mit der Eröffnung geht die Online Collection des MAKK live: www.makk.de  © Kölner Stadt-Anzeiger

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