Jasmin Glasmacher weint. Sie weint vor Erleichterung, aber auch vor Schmerz. Ihr Sohn lebt, doch sein bester Freund ist tot.

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Der 20-jährige Freund sowie sein 18 Jahre alter Kumpel und Arbeitskollege wurden am Karnevalssonntag 2024 zwischen Metternich und Weilerswist von einem Auto erfasst. Der 20-Jährige starb an der Unfallstelle, sein Freund einige Stunden später im Krankenhaus. Auch der 20-jährige Julian Glasmacher könnte tot sein. Er feierte mit den beiden und weiteren Kumpels in Metternich ausgelassen Karneval und machte sich dann mit den beiden zu Fuß auf den Weg zum McDonald's im Weilerswister Gewerbegebiet.

Knapp ein Jahr ist seit dem Unfall vergangen. Kein Tag vergehe, an dem im Hause Glasmacher nicht an den besten Freund ihres Sohnes gedacht werde, sagt Julians Mutter Jasmin. Das kleine Licht auf dem Esstisch, das der Urne nachempfunden ist, trägt seinen Teil dazu bei. Daneben liegt eine schwarze Fliege. Sie war Teil des Karnevalskostüms, das Julian auf der Party in Metternich anhatte. Die Clique war als Peaky Blinders aus der gleichnamigen Serie unterwegs – inklusive Fliege, Schiebermütze und Taschenuhr. Julians Uhr liegt in dem Gedenklicht, die Zeiger stehen auf dem Todeszeitpunkt seines bestes Freundes. "Es mag sein, dass Zeit Wunden heilt. Aber Zeit setzt keine herausgerissenen Herzen wieder ein", sagt Jasmin Glasmacher.

Eine besondere Initiative zum ersten Karneval ohne die beiden jungen Männer

Es sei ein Jahr voller Schmerz gewesen. Vor allem auch bei besonderen Anlässen. Etwa das erste Osterfest oder das erste Weihnachten ohne den 20 Jahre alten Weilerswister. Nun stehe ein besonderes erstes Mal an: das erste Mal Karneval ohne den besten Freund ihres Sohnes. Und genau dafür hat sich die 42-Jährige mit ihrem Mann Markus etwas Besonderes überlegt. Sie möchte, dass alle Menschen – egal, ob jung oder alt – nach der Feier am Karnevalssonntag in Metternich in diesem Jahr sicher nach Hause kommen.

"Wir wollen einen kostenlosen Fahrservice anbieten – nicht bis nach Köln, aber in die umliegenden Dörfer, Bornheim oder auch bis Euskirchen", erklärt Jasmin Glasmacher. Sie möchte Feierende auch zu Fuß bis nach Hause begleiten, wenn das für denjenigen eine Alternative ist.

Aus der Idee der Eheleute ist längst eine größere Gruppe geworden. Aktuell umfasse das ehrenamtliche Team 15 Fahrerinnen und Fahrer. Die Fahrerinnen seien für das Vorhaben wichtig. "Alle Frauen werden von Frauen gefahren", sagt die Mutter.

Die Autos sind an speziellen Folierungen zu erkennen

Alle Fahrerinnen und Fahrer erhalten laut der 42-Jährigen ein Namensschild, das sie entweder um den Hals tragen oder mithilfe eines Magneten an der Jacke befestigen sollen. Zudem entwerfe eine Werbegrafikerin unentgeltlich ein großes Banner und Folierungen für die privat eingesetzten Fahrzeuge. Mit dem Banner soll im Bereich des Festzelts der Bereich gekennzeichnet werden, der für die Autos des Teams reserviert ist.

"Selbst, wenn alle Autos unterwegs sind, wird immer jemand da sein. Wir lassen da keinen allein", sagt Jasmin Glasmacher, die den Fahrdienst nach eigenen Angaben mit dem Weilerswister Ordnungsamt und der KG Metternich abgesprochen hat. Beide hätten nichts dagegen, berichtet Jasmin Glasmacher.

Der Fahrdienst ist eine Herzensangelegenheit

Am 15. Februar soll es ein Treffen aller Freiwilligen geben. Da soll sich nach Angaben von Markus Glasmacher nicht nur mal außerhalb der eingerichteten Whatsapp-Gruppe kennengelernt werden, sondern auch geschaut werden, ob jeder einen gültigen Führerschein hat. Ihr Engagement soll auch dem Vergessen des Unfalls und dem Leid der Familien nachhaltig entgegenwirken, sagt sie: "Wenn in diesem Jahr keiner mitgenommen werden will, dann stehe ich im nächsten wieder hier."

Sie werde sich mit ihrem Mann auf eine lange Nacht einstellen. "Wenn uns am Ende jemand ins Auto kotzt, dann ist es so. Dann hat er vielleicht einen schönen Abend hinter sich und einen Kater am Morgen. Aber er kommt sicher nach Hause", sagt Jasmin Glasmacher, für die klar ist: "Der beste Freund von Julian wäre bei der Aktion dabei gewesen. Er war so ein unglaublich hilfsbereiter und lebensbejahender Mensch."

Das ist der Moment, in dem einem heiß und kalt gleichzeitig wird, in dem einem der Boden unter den Beinen weggezogen wird.

Jasmin Glasmacher

Ihr freiwilliger, unentgeltlicher Fahrdienst hat große Wellen geschlagen. Vor allem in den Sozialen Netzwerken gibt es positive Resonanz. Damit habe sie nie gerechnet, sagt Jasmin Glasmacher. Für sie sei das Ganze eine Herzensangelegenheit.

Der Tag, der das Leben der Familie Glasmacher und das Leben der Familien der beiden tödlich verunglückten jungen Männer für immer verändert hat, hat sich bei der 42-Jährigen eingebrannt. Sie wisse noch ganz genau, wie sie mit ihrer Schwester von Bliesheim aus in Richtung Metternich gefahren sei.

Zu diesem Zeitpunkt war ihr Mann ebenfalls schon auf dem Weg zur Karnevalsparty, um Julian abzuholen. Doch Markus Glasmacher kam nicht weiter, weil die Polizei die L163 in Höhe des Reiterhofs von der Recke aufgrund eines Unfalls gesperrt hatte. Weil der Sohn nicht ans Handy ging, eilte auch Jasmin Glasmacher los – aus Mutterinstinkt. Doch auch sie kam nicht weiter. In Metternich hatte die Polizei ebenfalls die Straße abgesperrt. "Das ist der Moment, in dem einem heiß und kalt gleichzeitig wird, in dem einem der Boden unter den Beinen weggezogen wird", erinnert sich die Mutter.

"Gott sei Dank nicht meiner": Für ihren ersten Gedanken schämt sich Jasmin Glasmacher

Der Polizist habe keine Miene verzogen und gesagt, dass es sich bei dem Toten nicht um ihrem Sohn Julian handele. Sie sei auf den Boden gesunken und habe laut geschrien. "Mein erster Gedanke war – Gott sei Dank nicht meiner", erinnert sich Jasmin Glasmacher. Eine völlig normale Reaktion einer Mutter. Ein Gedanke, für den sich Jasmin Glasmacher aber bis heute dennoch schämt und der sie belastet habe. Erst als die Eltern der beiden getöteten jungen Männer sie in den Arm genommen hätten und gesagt hätten, dass das alles andere als eine verwerfliche Reaktion sei, habe sie besser damit umgehen können.

Während des Gesprächs mit dieser Zeitung klingelt das Smartphone der 42-Jährigen. Es ist die Mutter des besten Kumpels. Mit der Familie des getöteten 20-Jährigen verbindet sie mittlerweile eine innige Freundschaft. "Es kommt wohl nicht häufig vor, dass man die Freundschaft überspringt und man direkt zur Familie gehört", sagt Jasmin Glasmacher lächelnd – nur um wenige Sekunden später wieder eine Träne wegzuwischen.

Wie eine tragische Nacht zwei Familien eint

Zwei Tage nach dem tragischen Unfall sei sie einkaufen gefahren – Milchbrötchen, Getränke, Donuts. Vielleicht nicht das gesündeste Essen, aber darauf komme es in solchen Situationen nicht. Mit der vollen Einkaufstüte machte sich die Bliesheimerin, die in Weilerswist arbeitet, auf den Weg zur Familie des 20-Jährigen. "Ich wollte die Lebensmittel vor die Tür stellen. Einen kleinen Zettel mit der Aufschrift ,Ich bin da, wenn ich etwas tun kann' hatte ich schon geschrieben", erinnert sie sich. Als sie die Tüte abgestellt habe, öffnete der Vater die Tür. Ein Blick, kaum ein Wort, eine lange Umarmung. Mehr brauchte es nicht, um seitdem mit einem unsichtbaren Band durchs Leben zu gehen – beide Familien eint eine tragische Nacht.

Eine Nacht, von der ein Drei-Sekunden-Video von der Tanzfläche im Metternicher Festzelt übrig ist. Es zeigt die Jungs, die tanzen. "Oder zumindest so tun", sagt Jasmin Glasmacher, die mit ihrem Sohn nach eigenen Angaben noch nie wirklich über die Nacht zum Rosenmontag gesprochen hat. "Ich schaffe es nicht, mit ihm über den Tod seines besten Freunds zu sprechen. Ansonsten kann ich mit ihm über alles reden, aber über seinen besten Freund nicht", sagt sie.

Er ist als Junge zu der Party gegangen und innerhalb von Sekunden auf tragische Art zu einem Mann geworden.

Jasmin Glasmacher über ihren Sohn Julian

Für ihren Sohn habe sich das Leben am Karnevalssonntag 2024 auf einen Schlag verändert. "Er ist als Junge zu der Party gegangen und innerhalb von Sekunden auf tragische Art zu einem Mann geworden", sagt die dreifache Mutter.

Es habe nur Minuten nach der Ankunft zuhause in Bliesheim gedauert, bis Julian den Wunsch geäußert habe, ins Krankenhaus zu fahren. "Ich habe gedacht, dass er fahren möchte, weil ihm vielleicht doch etwas wehtut, aber er wollte bei dem 18-Jährigen sein", erzählt Jasmin Glasmacher. Sohn und Mutter verbrachten Stunden in der Notaufnahme des Euskirchener Marien-Hospitals. Am frühen Rosenmontag sei dann eine Krankenschwester zu ihnen gekommen und habe den Hinweis gegeben, dass sie besser nach Hause fahren würden, um etwas zu schlafen.

Julian Glasmacher trägt ein Tattoo als Erinnerung an den besten Freund

"Ich habe sofort gewusst, was die Krankenschwester uns damit indirekt mitteilen wollte. Julian hat es nicht direkt verstanden – und das war gut so", sagt die Bliesheimerin. Er habe zwar kein Wort mehr mit dem schwerstverletzten 18-Jährigen sprechen können, doch dass er indirekt seinem Kumpel beistehen wollte, sei eine Herzenstat gewesen. Erst am nächsten Tag erfuhr der 20-Jährige, dass es auch sein Kumpel nicht geschafft hatte. In Gesprächen mit den ehrenamtlichen Experten des Kriseninterventionsdienstes des Deutschen Roten Kreuzes (KID) wurde der junge Mann auffangen – so gut das in einer solchen Ausnahmesituation geht.

Während die KID-Helfer im Wohnzimmer saßen, zog am Haus der Glasmachers der Rosenmontagszug vorbei. Während draußen gefeiert wurde, wurde drinnen getrauert. Ursprünglich hatten auch die Glasmachers mitfeiern wollen. Es war geschmückt, eine große Schüssel Nudelsalat stand parat. "Ich habe noch nie so schnell alles abgerissen und entsorgt", sagt Jasmin Glasmacher, die im Gegensatz zu ihrem Mann erst vor Kurzem einen Zugang zur fünften Jahreszeit bekommen hatte.

Wann sie selbst wieder ausgelassen Karneval feiern kann, weiß Jasmin Glasmacher nicht. "Wahrscheinlich erst dann, wenn Julian wieder Karneval feiert", sagt die Bliesheimerin, die für den besten Freund ihres Sohn die Trauerfeier organisierte und für den ebenfalls gestorbenen 18-Jährigen ein Spendenkonto eröffnet hatte – ohne das Wissen der Eltern. "Es sind 10.000 Euro zusammengekommen", sagt die 42-Jährige. Geld, das die Familie gut habe gebrauchen können – wohl wissend, dass kein Geld der Welt die Ereignisse aus der Nacht zum Rosenmontag aufwiegen könne.

Der 20-jährige Julian Glasmacher trägt eine Erinnerung an seinen toten Freund mittlerweile auf der Haut. Er hat sich eine Filmklappe tätowieren lassen. Die beiden Freunde waren Filmfreaks. Sie besuchten dank einer Karte, die unbeschränkten Zutritt zum Hürther Kino ermöglichte, mehrfach pro Woche Vorstellungen. Im Kino war Julian seit dem 11. Februar nicht mehr.

Der Unfall

In der Nacht zum Rosenmontag waren zwei Freunde im Alter von 18 und 20 Jahren von einem Auto erfasst und tödlich verletzt worden. Die Männer hatten zuvor eine Karnevalsfeier in Metternich besucht. Sie wurden auf der Bonner Straße (L163) zwischen Weilerswist und Metternich von einem Auto erfasst. Bei dem Fahrer handelte es sich um einen 33 Jahre alten Mann. Er und seine beiden Beifahrer erlitten einen Schock. Der Autofahrer musste nach dem Unfall eine Blutprobe abgeben. Schon bei einem Schnelltest wurde weder Alkohol- noch Drogenkonsum festgestellt. Die Blutuntersuchung bestätigte dies.

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Der Fahrdienst

Die eingesetzten Autos werden für den Fahrdienst am Karnevalssonntag in Metternich speziell gekennzeichnet und es gibt eine zentrale Handynummer (01 76/ 58 69 56 65), die erst am Tag selbst freigeschaltet wird. Frauen werden von Frauen gefahren. Reservierungen für den Fahrdienst sind laut des ehrenamtlichen Teams noch nicht möglich. Das stehe erst nach dem Fahrertreffen fest, sagt Organisatorin Jasmin Glasmacher. Die ersten Fahrer werden nach dem Karnevalszug, der um 16 Uhr endet, gegen 16.30 Uhr am Zelt am Sportplatz sein.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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