Erfurt - Bei einer großen Supermarktkette ist die gute alte Gehaltsabrechnung auf Papier passé - eine Verkäuferin zweifelt die digitale Variante an und klagt sich bis in die höchste Arbeitsgerichtsinstanz in Erfurt.
Die Bundesarbeitsrichter beschäftigten sich nicht nur in ihrem Fall mit der Frage, wie digital der Arbeitsalltag für Millionen Menschen sein darf und welche Regeln gelten - für Arbeitnehmer, Unternehmen und Gewerkschaften.
"Es ist ein ziemlich unwägbares Gelände, das wir hier betreten", sagte Gerichtspräsidentin Inken Gallner in der Verhandlung um die Herausgabe von E-Mail-Adressen an eine Gewerkschaft. Verhandelt wurden zwei sehr unterschiedliche Fälle bei Edeka in Niedersachsen und Adidas in Bayern. Deutlich wurde, dass der Gesetzgeber bisher nicht mit den Veränderungen der Arbeitswelt Schritt hält.
Worum ging es der Supermarktverkäuferin?
Hinter ihrem Fall steht die grundsätzliche Frage: Dürfen Gehaltsabrechnungen und andere Personaldokumente ausschließlich digital in ein passwortgeschütztes Mitarbeiterportal geschickt werden? Immer mehr Unternehmen gehen dazu über, sagen Fachleute. Edeka hat die Einführung des digitalen Mitarbeiterportals 2021 per Konzernbetriebsvereinbarung mit Übergangsfristen geregelt, Dokumente können bei Bedarf auch in der Arbeitsstelle ausgedruckt werden. Die Klägerin und ihr Arbeitgeber stritten seit vielen Monaten darüber, ob die Entgeltabrechnung auf elektronischem Weg ordnungsgemäß erteilt ist oder nicht.
Wie entschied das Bundesarbeitsgericht?
Die Richter sagten Ja zur ausschließlich digitalen Gehaltsabrechnung. Der Trend, den es bereits in vielen Unternehmen gibt, könnte sich damit verstärken. Im Fall der Verkäuferin von Edeka Minden-Hannover entschieden sie, dass Arbeitgeber Gehaltsabrechnungen ausschließlich elektronisch verschicken können (9 AZR 48724). "Es gibt keinen Anspruch auf Papierform alter Schule", sagte der Vorsitzende Richter Heinrich Kiel bei der Urteilsverkündung.
Mit ihrer Forderung nach Abrechnungen in Papierform und dem Argument, sie habe der digitalen Variante nicht zugestimmt, hatte die Verkäuferin vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen noch Erfolg, nicht aber in der höchsten Instanz.
Nach der Gewerbeordnung seien Arbeitgeber verpflichtet, eine "Abrechnung in Textform zu erteilen", sagte Bundesarbeitsrichter Kiel. Das Gesetz werde auch mit einer digitalen Abrechnung, die elektronisch in einem Postfach abgerufen werden kann, erfüllt. Arbeitnehmern ohne entsprechende Technik sei der Zugang zu den Daten und das Ausdrucken von Abrechnungen im Betrieb zu ermöglichen. Das sei im Fall Edeka geschehen. Das Landesarbeitsgericht soll nun die Zuständigkeiten verschiedener Betriebsräte klären.
Was ist gesetzlich geregelt?
In der Gewerbeordnung heißt es: "Dem Arbeitnehmer ist bei Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen. Die Abrechnung muss mindestens Angaben über Abrechnungszeitraum und Zusammensetzung des Arbeitsentgelts enthalten." Wie das erfolgen soll, ist offen. "Wir sind hier mit der Museumsbahn unterwegs", so Kiel in der Verhandlung.
Maßgeblich sei nicht, ob die Klägerin mit der Übermittlung per elektronischem Postfach einverstanden sei, sondern ob ihr das zugemutet werden könne. Das sei der Fall, weil sie ihren Widerspruch dagegen digital vorgebracht habe, argumentierte das Unternehmen.
Digitaler Zugang für Gewerkschaften?
Auch der Erste Senat mit Gallner an der Spitze beschäftigte sich mit Regeln für die sich verändernde Arbeitswelt mit Homeoffice und mobilem Arbeiten. Konkret geht es um ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften zu den Beschäftigten von Unternehmen für ihre Mitgliederwerbung und -information. Einen Rechtsstreit mit dem Sportartikelhersteller Adidas verlor die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) auch in der letzten Instanz. Gewerkschaften können von Unternehmen nicht die Herausgabe der E-Mail-Adressen ihrer Beschäftigten verlangen. Arbeitgeber seien dazu nicht verpflichtet, entschied Gallners Senat (1 AZR 33/24). Ein Gerichtssprecher sprach von einer Grundsatzentscheidung, die Auswirkungen auf andere Gewerkschaften und Unternehmen habe.
Bei Adidas können die Mitarbeiter nach Gerichtsangaben zum Teil zwischen 20 und 40 Prozent ihrer Wochenarbeitszeit mobil leisten. Die IG BCE wollte nicht nur die Herausgabe dienstlicher E-Mail-Adressen, sondern auch den Zugang zu unternehmensinternen digitalen Portalen erstreiten. Sie berief sich dabei auf ihre verfassungsrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit.
Gericht fehlte Regelung per Gesetz
Gallner machte bei der Urteilsverkündung deutlich, dass das Gericht "kollidierende Verfassungswerte" zu berücksichtigen hatte. Zudem fehle eine gesetzliche Regelung, auf die sich die Richter stützen könnten. Weiterhin gelte, dass Gewerkschaften betriebliche Mails nutzen könnten, wenn sie diese von Arbeitnehmern bekämen. Zudem hätten sie ein Zugangsrecht zu Unternehmen für ihre Mitgliederwerbung. Ein Vergleichsangebot, das Gallner mit einem möglichen Link zur Gewerkschaft auf der Intranetseite des Unternehmens machte, wurde von beiden Seiten abgelehnt. "Wir bedauern, dass es nicht zu einer Einigung auf niedrigem Level gekommen ist", sagte die Gerichtspräsidentin.
Neu am Fall aus Bayern war, dass Arbeitgeber Gewerkschaftsmails nicht nur dulden, sondern aktiv werden sollten, um den Arbeitnehmervertretern elektronisch Zugang zu verschaffen. Ein Rechtsanwalt von Adidas sagte in der Verhandlung: "Wenn Sie jetzt Flugblätter hätten, müssten wir die dann auch verteilen?" © Deutsche Presse-Agentur
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