Wie viele junge Rennfahrer hat auch David Beckmann von der Formel 1 geträumt, und der heute 23-Jährige war auch lange auf einem guten Weg, fuhr Formel 4, Formel 3 und Formel 2. Der Sprung in die Motorsport-Königsklasse gelang aber nicht, dafür der zu Porsche in die Formel E.

Ein Interview

Dort hat er als Test- und Ersatzfahrer "ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Das ist im Motorsport nicht selbstverständlich und im Nachwuchsbereich eigentlich nie der Fall, weil man die finanziellen Mittel nicht hat", so Beckmann im Interview mit unserer Redaktion. Außerdem spricht er über die Auswirkungen eines privaten Schicksalsschlags, die speziellen Hürden und Herausforderungen im Nachwuchsbereich, was sich aus deutscher Sicht ändern muss und über seine Ziele in der Formel E.

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David Beckmann, wie "entspannt" ist eine Karriere als Porsche-Test- und Ersatzfahrer im Vergleich zu früheren Zeiten als Nachwuchsfahrer?

David Beckmann: Die ersten Gespräche mit Porsche im vergangenen Jahr waren eine echte Bereicherung, denn als Nachwuchs-Rennfahrer hat man kein wirklich festes Standbein. Deshalb ist es immer ein Ziel, bei einem Hersteller Fuß zu fassen. Ich bin froh, dass ich in der Porsche-Familie angekommen bin. Das Schöne: Man ist nicht alleine, man wird aufgefangen und wertgeschätzt. Ich habe ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Das ist im Motorsport nicht selbstverständlich und im Nachwuchsbereich eigentlich nie der Fall, weil man die finanziellen Mittel nicht hat. Wenn du in diesem Jahr Formel 3 fährst, weißt du oft nicht, was du im nächsten Jahr machst.

Wie schwierig war es dann, auch mental, wenn man nicht nur auf der Strecke, sondern auch finanziell abliefern muss?

Mental wird man ein wenig ausgebremst, weil man weiß, dass es schwierig werden könnte, die Mittel aufzutreiben, um noch ein weiteres Jahr zu fahren. Da man wegen des limitierten Budgets oft bei eher mittelmäßigen Teams unterkommt, ist das eine zusätzliche Herausforderung. Es ist in den Nachwuchsklassen nicht einfach, mit wenig Geld viel zu erreichen.

Bei Ihnen kam aber auch noch der Schicksalsschlag um Ihren Vater hinzu, der 2019 einen schweren Autounfall hatte. Wie sehr hat Sie das geprägt und den Blick auf den Motorsport verändert?

Früher war Motorsport für mich wirklich alles. Hätte mein Vater mir gesagt, dass wir morgen unser Haus verkaufen müssen, damit ich fahren kann, hätte ich gesagt: 'okay.' Da war ich wie blind verliebt. Egal, was man tut - man denkt immer, dass es der richtige Weg ist. Hauptsache, man bekommt das, was man möchte. Das hat sich stark verändert, ich bin älter und reifer geworden. Außerdem habe ich Arbeit in der Firma meines Vaters übernommen, musste Entscheidungen treffen und mit Geld umgehen. Motorsport ist immer noch alles für mich, aber ich bin nicht mehr bereit, das Geld meiner Familie dafür zu opfern, wie es in der Vergangenheit der Fall war.

Was kostet eine Karriere, die im Idealfall in der Formel 1 endet, heutzutage?

Das hängt von vielen Faktoren ab, vom Fahrer, vom Talent, von den Sponsoren. Unserer Familie ging es finanziell immer gut, im Formelsport hat man dann aber gemerkt, dass das eine andere Liga ist, da waren wir vergleichsweise arme Schlucker. Das war finanziell ein Schlag ins Gesicht, weil es da auch um siebenstellige Summen ging. Die Zahlen, die Toto Wolff (Mercedes-Teamchef, Anm.) einmal in einem Interview genannt hat, sind schon sehr realistisch. (Eine Saison im Kartsport 250.000 Euro, in der Formel 4 500.000, in der Formel 3 eine Million, Anm.)

Wie groß ist denn das Interesse von Sponsoren oder Investoren eigentlich? Wie überzeugt man die heute noch?

In der Formel E sind die Sponsoren sehr stark interessiert, in der Formel 1 natürlich auch. In der Formel 4 oder Formel 3 ist die TV-Übertragung zum Beispiel ein riesiges Problem, weil es nur hinter einer Bezahlschranke gezeigt wird. Aber es war schon immer schwierig, die Nachwuchsklassen zu vermarkten. Man muss die Leute davon überzeugen, dass man ein aufstrebendes Talent ist, das in zwei, drei Jahren in der Formel 1 ist. Und das ist gar nicht so einfach, das ist im Grunde das Hauptproblem.

Ist der Weg für ein deutsches Talent mit normalen Voraussetzungen überhaupt noch machbar?

Theoretisch schon. Aber dann muss der Junge ein richtiger Überflieger sein, wie Max Verstappen, Oscar Piastri oder Lando Norris. Außerdem müssen die finanziellen Mittel von Anfang an verfügbar sein, damit derjenige auch in den besten Teams fahren kann. Ich hatte zum Beispiel das Problem, dass ich immer wusste, dass ich nicht so viele Unfälle bauen darf, weil es extrem teuer war. Ich bin deshalb meistens nicht so viel Risiko eingegangen, weil ich wusste, dass ich einen möglichen Schaden zahlen muss. Dabei ist es wichtig, dass man mit freiem Kopf fährt und seinen Job macht und sich keine Gedanken über Unfälle und Kosten machen muss. Das blockiert.

Wie entscheidend ist Talent denn dann noch?
Im Moment hat man einen kleinen Vorteil, wenn in einem Markt großes Interesse besteht, wie zum Beispiel in den USA. Als Deutscher ist es im Moment sehr schwierig. Da muss man ein echtes Top-Talent sein. Denn unter dem Strich macht das Talent durchaus noch einen Unterschied. In Deutschland kann sich die Situation ändern, wenn Audi 2026 in die Formel 1 einsteigt und das Interesse an deutschen Fahrern steigt oder wenn es ein Juniorteam gibt. Dann haben vielleicht wieder mehr Fahrer eine Chance, die Karriereleiter hochzuklettern.

Wie schwierig ist es, in Juniorprogramme zu gelangen?

Es ist nicht einfach. Man muss auf jeden Fall eine Junior-Kategorie gewinnen, sei es die Formel 4 oder Formel 3, dazu auch relativ jung sein. Aber selbst dann bekommt man nicht alles bezahlt. Meistens sind es rund 50 Prozent, die übernommen werden.

Die Formel 1 ist als Haifischbecken bekannt. Angesichts all der finanziellen Unwägbarkeiten: Wie hart und unerbittlich geht es denn in den Nachwuchsklassen zu?

Wenn die Formel 1 ein Haifischbecken ist, dann ist die Formel 3 ein Aquarium, gefüllt mit weißen Haien. Das sind 30 Fahrer, die alle um das Überleben kämpfen. Die gehen volles Risiko, ohne Rücksicht auf Verluste, deshalb ist die Kategorie auch so hart umkämpft. In der Formel 2 ist es ein bisschen anders, da sind die Fahrer ein wenig älter, reifer und ruhiger. Da kann man nicht mehr volle Kanne fahren wie in der Formel 3, denn man ist im Grunde kurz vor dem Sprung in die Formel 1. Deshalb möchte man alles richtig machen.

"Mein Traum ist es 2019 mitzumischen und dann noch vielleicht gegen Max Verstappen und Sebastian Vettel anzutreten". Das haben Sie 2016 gesagt, damals waren Sie oft auch schneller als Mick Schumacher. Hängen einem verpasste Chancen und dieses "hätte, wäre, wenn" manchmal nach?

Nein, gar nicht. Man kann im Motorsport nicht alles beeinflussen, man kann sich keinen Plan ausdenken, der dann auch garantiert funktioniert, weil es so viele unerwartete Entscheidungen und Probleme gibt, die man nicht beeinflussen kann. Und deswegen schaue ich nicht zurück.

Ist es denn generell besser, den Formel-1-Traum irgendwann aufzugeben oder beiseite zu legen und realistisch zu sein? Oder sollte man ihn immer weiter verfolgen?

Man hat bei Nyck de Vries, der bei AlphaTauri entlassen wurde, gesehen, dass es nicht immer das ist, was man sich erhofft hat. Für viele junge Fahrer ist es ein Traum, in der Formel 1 zu fahren, aber ich weiß nicht, ob es immer der richtige Traum ist. Man muss realistisch sein, denn wenn man kein Realist ist, wird man viele Fehler machen und viele Fehlentscheidungen treffen.

Die Krise in Deutschland, was den Motorsport-Nachwuchs betrifft, gibt es ja schon länger. Was muss passieren, damit sich das wieder zum Positiven verändert?

Das ist ganz einfach zu beantworten: Es braucht wieder ein riesiges Interesse in der Bevölkerung an der Formel 1. Wenn die Aufmerksamkeit wieder groß ist, dann sind auch die Gelder für eine vernünftige Förderung da, damit wir irgendwann vielleicht wieder fünf, sechs Fahrer in der Formel 1 haben. Aber es ist schwierig abzuschätzen, ob das überhaupt passiert. Die Leute in Deutschland haben die Zeiten mit Michael Schumacher oder Sebastian Vettel genossen. Aber jetzt ist die Aufmerksamkeit nicht mehr so groß. Die Menschen haben andere Probleme und Interessen als die Formel 1.

Sie sind jetzt Test- und Ersatzfahrer bei Porsche für das TAG Heuer Porsche Formel-E-Team. Wenn Sie ein Zwischenfazit Ihrer Karriere ziehen müssten: Wie würde es ausfallen?

Meine Karriere hat sich seit Ende vergangenen Jahres extrem positiv entwickelt, weil ich Fuß gefasst habe und nicht mehr Unsummen an Geld mitbringen muss, um noch ein Jahr im Motorsport zu überleben. Ich bin Berufs-Rennfahrer, ich bin im Team involviert, mache viel Simulator-Arbeit, bin bei jedem Meeting dabei, bekomme viel Feedback und lerne so viel - so viel habe ich noch nie gelernt im Motorsport. Das ist ein sehr wichtiger Schritt in meiner Karriere gewesen.

Warum muss sich die Formel E nicht vor der Formel 1 verstecken?

Weil es eine komplett andere Rennserie ist. Die Formel 1 lebt von ihrer Geschichte, von ihrem Image, das sie sich seit 1950 aufgebaut hat. Die Formel E hat sich bereits in einer kurzen Zeit viel aufgebaut. Sie hat durch das Thema Nachhaltigkeit einen großen Vorteil, was die Vermarktung angeht. Extrem viele Firmen und Sponsoren sind daran interessiert, in der Formel E Fuß zu fassen. Außerdem sind die Events super cool, denn wir fahren in großen Städten auf der ganzen Welt.

Es wird heute immer noch oft angeführt, der Sound fehle, die Autos seien zu langsam. Wie viel Spaß machen die aktuellen Autos?

Ich bin in der zurückliegenden Saison mein erstes Rennen in Jakarta (Anm. für das Porsche-Kundenteam Avalanche Andretti) gefahren und es hat sehr viel Spaß gemacht, es war aber auch sehr schwierig, denn die Formel-E-Boliden gehören zu den am schwersten zu fahrenden Rennautos. Es fährt nicht so wie auf Schienen wie ein Formel-1-Auto, das viel Abtrieb hat. Die Fahrerdichte ist zudem höher als in der Formel 1, weil man als Pilot kein Geld mitbringen muss. Jeder Fahrer verdient Geld, weil er einfach gut ist und Talent hat.

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Was soll die Zukunft bringen? Ist das F1-Projekt von Audi etwas, das immer im Hinterkopf bleibt? Oder ist die Formel E genau das, was Sie wollen?

Ich möchte mich weiter in der Formel E etablieren, in Zukunft am liebsten als Stammfahrer. Interessant ist auch die Langstreckenserie WEC, vielleicht gibt es dort mit Porsche auch eine Möglichkeit, denn viele Fahrer machen das parallel. Das Thema Formel 1 ist aktuell schwierig abzuschätzen, darüber mache ich mir gar keinen Kopf.

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