Bewusst hat sich Borussia Dortmund im Sommer für eine radikale Entschlackung des Kaders entschieden - und muss nun die Konsequenzen dieser Entscheidung tragen. Allen voran Trainer Nuri Sahin. Aber der ist nicht der einzige, der in den Fokus der Kritik rückt.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Für Cole Campbell, Jordi Paulina oder Almugera Kabar waren die letzten Tage sicherlich ziemlich aufregend. Die sportliche Heimstatt der Dortmunder Youngster ist eigentlich die 3. Liga, der personelle Engpass bei den BVB-Profis verhalf dem Trio aber zuletzt in der Bundesliga und im DFB-Pokal zu Einsatzminuten auf höchster Ebene.

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Neben Campbell, Paulina und Kabar schafften es auch die Nachwuchskräfte Yannik Lührs, Ayman Azhil und Filippo Mane, sowie der in der Bundesliga schon etwas erprobte Kjell Wätjen in die Spieltagskader des BVB. In Wolfsburg saß in Marcel Sabitzer lediglich ein gestandener Profi-Feldspieler auf der Dortmunder Bank, der Rest wurde aufgestockt mit den Talenten aus der zweiten Mannschaft.

Bei Testspielen während Länderspielpausen ergeben sich öfter personelle Konstellationen wie diese, wenn die Kader veritabel ausgedünnt sind und ein bisschen Zeit für Experimente bleibt. Nur durften - oder mussten - die Dortmunder Nachwuchskräfte bei den Auswärtsspielen in Augsburg und in Wolfsburg unter Wettkampfbedingungen ran, gegen die Wölfe sogar in einem K.o.-Spiel.

Dortmunds Kaderplanung im Fokus

Borussia Dortmunds Krise ist das zwischenzeitliche Ergebnis vieler kleiner und großer Faktoren. Nuri Sahin steht nach nicht einmal einem Viertel der Saison schon voll im Wind, die Diskussionen um den Cheftrainer und dessen Eignung als wichtigste Figur des Klubs sind in vollem Gange und wohl auch durch die üblichen Lippenbekenntnisse der Verantwortlichen nicht mehr auszubremsen.

Die letzte Woche verlief für den Trainer geradezu desaströs, auf den totalen Zusammenbruch seiner Mannschaft in Madrid mit fünf Gegentoren in einer guten halben Stunde und hitzigen Debatten um Sahins Anteil an der deftigen Klatsche folgte der fast schon erwartbar blutleere Auftritt in Augsburg samt Niederlage und dann am Dienstag das Aus im DFB-Pokal in Wolfsburg. Nach einer Leistung, die erneut nicht den Maßstäben und Ansprüchen der Dortmunder entsprach.

Nuri Sahin ist dafür als Cheftrainer verantwortlich, aus der Verantwortung kann und will sich der 36-Jährige gar nicht stehlen. Tatsächlich landet Sahin nach der anfänglichen Euphorie um seine Person aktuell besonders hart auf dem Boden der Tatsachen, konnte er doch seine Mannschaft nicht wie gewünscht entwickeln, ihr ein neues, tragfähiges Fundament verpassen oder zumindest so etwas wie eine erkennbare spielerische Linie.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die momentane Tristesse nicht allein an Sahin liegt oder den gerne auserkorenen Sündenböcken wie Emre Can oder Julian Brandt. Dass der BVB schon früh in der Saison so zerrupft daherkommt wie andere, deutlich finanzschwächere Mannschaften oftmals im letzten Drittel einer Saison, hat auch etwas mit der kruden Kaderplanung zu tun, für die sich alle Verantwortlichen im Sommer entschieden hatten.

Kleinster Kader der Liga

Es war Konsens, dass der BVB auf die möglichen Abgänge der Unterschiedspieler Jadon Sancho und Ian Maatsen wird reagieren müssen. Das kreative Loch im zentralen Mittelfeld sollte gestopft werden, dazu ein neuer Mittelstürmer kommen und die Abgänge der Routiniers Marco Reus und Mats Hummels kompensiert werden. Das waren die größten Aufgaben, derer sich Sebastian Kehl in verantwortlicher Position als Sportdirektor annehmen musste.

Kehls Profil wurde mit der Umstrukturierung der internen Verantwortungsbereiche im Sommer noch stärker auf den Bereich der Kaderplanung und -zusammenstellung zugeschnitten. Das Ergebnis seiner Arbeit rückt nun schon früh in den Fokus der Diskussionen, weil der BVB mit seinem eng bemessenen Kader schon im Herbst an seine Grenzen stößt.

Lediglich 24 Spieler umfasst der Dortmunder Kader, kein anderer Klub der Liga hat ein schmaleres Korsett geschnürt als der BVB. Zuletzt ereilte den BVB eine erste unheilvolle Verletzungsmisere, fielen bis zu acht Lizenzspieler gleichzeitig aus. Weshalb in Augsburg und Wolfsburg und zum Teil auch schon in Madrid Spieler aus der dritten Liga aushelfen mussten.

Baustellen in einigen Mannschaftsteilen

Man kann trefflich darüber streiten, ob das nun besonders viel Pech oder Zufall ist. Oder doch die alte Dortmunder Leier mit den vielen Muskelverletzungen, die sich wie ein roter Faden durch die Spielzeiten der letzten Dekade ziehen. Aktuell fallen erneut vier Spieler wegen muskulären Problemen aus.

Oder es rückt die Entscheidung des Sommers in den Blickpunkt, den Kader ganz bewusst zu verschlanken: Von 33 Spieler auf nun eben 24. Zwölf Abgängen standen nur fünf externe Zugänge gegenüber, einige Mannschaftsteile wurden ziemlich entschlackt. Und trotzdem ein Transferminus von beinahe 50 Millionen Euro generiert.

Mit dem Ergebnis, dass in Serhou Guirassy und nach den Abgängen von Niclas Füllkrug, Sebastien Haller und Youssoufa Moukoko nur noch ein "echter" Mittelstürmer im Kader zu finden ist. Und in der Abwehr die bereits in der abgelaufenen Saison angespannte Lage bei den Innenverteidigern nicht verbessert wurde: Der BVB ist erneut nur mit drei gelernten Innenverteidigern in eine Saison mit drei Wettbewerben und potenziell noch mehr Spielen gestartet. In Wolfsburg musste auch deshalb Emre Can rechter Innenverteidiger spielen und der eigentlich als Sechser geholte Pascal Groß rechter Verteidiger.

Einen neuen Linksverteidiger konnten oder wollten die Verantwortlichen trotz Maatsens Abgang nicht präsentieren, überhaupt hat sich auch auf den defensiven Außen die Zahl der Optionen weiter verringert. Unter anderem auch deshalb, weil Tom Rothe nun für Union Berlin spielen darf. Ein Spieler, den die Borussia schon in den ersten Wochen der Saison sehr gut hätte gebrauchen können.

Die Annahme, mit nur einem kreativen Sechser in die Saison zu gehen, lässt sich nach den ersten Wochen als Trugschluss zumindest schon erahnen. Groß wirkte zuletzt etwas überspielt, die Abordnung auf die rechte Abwehrseite war aber trotzdem erstaunlich. Stattdessen versuchte es Sahin im zentralen Mittelfeld mit Brandt und Felix Nmecha, und davor mit Sabitzer und Nmecha.

Die ideale Besetzung scheint noch nicht gefunden, die personellen Alternativen für diesen zentralen Baustein des Dortmunder Spiels aber auch überschaubar.

Wohin mit Maximilian Beier?

Schon jetzt scheint eine massive Korrektur des Dortmunder Kaders in der Winterpause unausweichlich. Sowohl qualitativ als auch quantitativ wird Kehl nachbessern müssen. Dabei war nicht nur einmal im Sommer davon die Rede, dass der Klub alle seine Transferziele erreicht und die Wunschspieler verpflichtet habe.

Von den externen Zugängen sind bisher allerdings nur Guirassy und mit Abstrichen Waldemar Anton eine Verstärkung. Groß und der aktuell verletzte Yan Couto laufen bisher eher mit. Maximilian Beier, der ausgesprochene Wunschspieler von Trainer Nuri Sahin, ist dagegen noch gar nicht in Dortmund angekommen.

Zuletzt durfte Beier aufgrund der vielen Ausfälle tatsächlich sogar von Anfang an spielen. Es war erst der zweite Startelfeinsatz in dieser Saison - erneut gelang dem Nationalspieler weder ein Assist noch sein erstes Tor für den neuen Klub. In Wolfsburg sollte Beier als verkappter Zehner agieren - für den eine Linie nach hinten versetzten Brandt.

Die Position des einzigen Mittelstürmers ist an Guirassy vergeben und eine zweite Planstelle dieser Art - wie bei Beiers Ex-Klub Hoffenheim in dessen 3-5-2 – ist im Dortmunder 4-2-3-1 nicht vorgesehen. Also hilft der mit knapp 30 Millionen Euro Ablöse teuerste Zukauf des Sommers als eine Art Notnagel in der Offensive aus, wo eben Not am Mann ist oder es der Spielstand erfordert: als Mittelstürmer, als Rechtsaußen oder im offensiven Mittelfeld. Aber immer als Rollenspieler, eine feste Position oder gar einen Platz in der Startelf gibt es für Beier bisher nicht.

Kehls Zukunft hängt auch an Sahins Schicksal

Diese vielen Mosaiksteinchen zeichnen aktuell ein ziemlich schiefes Bild einer Mannschaft, in der sich doch so viel zum Guten wenden sollte. "Es ist keine Situation, die der BVB in der Vergangenheit so nicht schon gemeistert hätte. Wir gehen da zusammen durch", sagte Kehl nach dem Pokal-Aus in Wolfsburg.

In den Fragen nach dem Spiel ging es sehr viel um Nuri Sahin und dessen Zukunft - an die wiederum indirekt auch jene von Sebastian Kehl geknüpft ist. Sahin ist auch "sein" Trainer, zusammen mit Lars Ricken und Hans-Joachim Watzke samt Berater hatte sich die Elefantenrunde auf Sahin als Cheftrainer verständigt.

Noch fallen die Diskussionen um Sahin sachte auf Kehl zurück, jene um den nicht besonders gut sortierten Kader aber schon sehr eindeutig. Kehls Vertrag in Dortmund läuft noch bis zum Ende der Saison, viele Pluspunkte für eine Verlängerung dürfte er angesichts der frühen ersten Krise kaum gesammelt haben.

Am Samstag kommt RB Leipzig in den Signal Iduna Park, das erklärte Gegenstück des Dortmunder Gesamtkonstrukts. Aber in Sachen Stringenz in der Kaderplanung vielleicht auch ein Beispiel: Trotz wechselnder Verantwortlicher und dem Problem, immer auch seine besten Spieler zu verlieren, findet Leipzig darauf immer wieder die notwendigen Lösungen.

Sicherlich auch ein Grund dafür, dass Leipzig den besten Saisonstart der Klubgeschichte hingelegt hat. Und nach acht Spieltagen schon sieben Zähler mehr eingesammelt hat als der BVB.

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