Die verzweifelte Suche des FC Bayern München nach einem neuen Trainer hat noch vor EM-Beginn ein Ende gefunden: Vincent Kompany, gerade erst als Trainer mit dem FC Burnley abgestiegen, wagt sich im Alter von 38 Jahren an eine Mammutaufgabe heran. Der Belgier hat dafür den besten Lehrmeister gehabt.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Sabrina Schäfer sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Das britische Boulevard-Blatt "The Sun" greift bei seinen Texten gerne ins oberste Eskalationsfach, und so durften geneigte Leser des Sportteils in England lesen, dass Vincent Kompany "shockingly", also schockierenderweise, nur Tage nach seinem Abstieg mit dem FC Burnley mit dem FC Bayern in Verbindung gebracht wurde. Nun ist klar: Die Verbindung steht.

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Kompany beerbt an der Säbener Straße Thomas Tuchel. Kompany wird damit zu einem interessanten Fall von "failing upwards" (zu Deutsch etwa "nach oben stolpern"), hat er es doch gerade erst nicht geschafft, den FC Burnley in der Premier League zu halten. Es geht für den früheren Verteidiger also von der englischen Championship, der 2. Liga, in die Champions League.

Bleibt angesichts dessen die Frage: Was sehen die Bosse des FC Bayern in dem ehemaligen HSV-Profi?

Vincent Kompany ist ein Pep-Schüler

Zunächst einmal ist Kompany mehr als nur ein ehemaliger HSV-Profi. Gerade einmal zwei seiner 18 Profijahre verbrachte der Belgier in Bundesliga (2006 bis 2008). Deutlich länger war er bei Manchester City - und prägte den Klub. Von 2008 bis 2019 wurde er viermal englischer Meister, mit einem Verein, der sich nach dem Aufkauf durch Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan erst neu finden musste und sich schließlich mit ihm als Kapitän zum Abo-Meister der Premier League entwickelte. Inzwischen hat er sogar seine eigene Statue vor dem Etihad-Stadion.

Kompany
Kompany (li.) und Guardiola bildeten ein erfolgreiches Gespann bei ManCity. © imago images/ZUMA Press/Joel Goodman

Drei Jahre spielte Kompany dabei unter Pep Guardiola. Er gilt wie Mikel Arteta, der mit dem FC Arsenal gerade denkbar knapp die Meisterschaft verpasste, als Pep-Schüler. "Fußballtaktik. Raumlehre. Die Nutzung des Raums und dessen Auswirkung auf das Gesamtspiel. Das Managen des Raums ist das Größte, was ich von Pep gelernt habe", hatte Kompany 2019 dem "Guardian" erzählt. Das Training unter Guardiola sei wie der Besuch einer Universität gewesen. Und Professor Guardiola bringt seinen einstigen Schüler bereits für seine eigene Nachfolge in Stellung: Seine Bestimmung sei es, Trainer von Manchester City zu werden, erklärte Guardiola Anfang März 2023.

Wie sein Professor verlangt auch Kompany von seinen Spielern viel Kopfarbeit. Gute Trainingsleistung wird belohnt, wer nicht hundert Prozent gibt, findet sich bei ihm schnell auf der Bank wieder. Und der Belgier lebt dieses Arbeitsethos vor. Kompany soll in Burnley regelmäßig zwölf bis 14 Stunden am Tag arbeiten, ist häufig der Erste, der kommt, und der Letzte, der geht.

Eine schlechte Saison mit dem FC Burnley

In Burnley hat Kompany den Klub so geformt, wie er ihn haben will. Er entschied über das Training, Spielerkäufe und sonstige Geschäfte. "Wenn alles gut läuft, ist das positiv. Wenn nicht, ist es problematisch", fasst die "New York Times" zusammen. In der Saison 2023/24 lief es nicht.

Kompany ließ die nötige taktische Flexibilität vermissen, um sich nach dem Aufstieg aus der Championship auf die deutlich stärkeren Gegner der Premier League einzustellen. Der 38-Jährige hielt an seinem kompromisslosen Offensivfußball fest, doch dafür war sein Burnley einfach nicht gut genug. Nach einer Traumsaison 2022/23, die mit einem niemals gefährdeten Aufstieg gefeiert wurde, folgte der harte Aufprall in der Erstligarealität.

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Dennoch wackelte Kompanys Trainerstuhl auch nach dem Abstieg nicht, zu viel hing an dem Belgier. Er ist der Hauptgrund, warum Spieler überhaupt zu Burnley wechselten.

Was spricht für Vincent Kompany?

Das Angebot aus München aber war offensichtlich zu verlockend und zerriss für den Moment das Band zwischen Burnley und seinem Trainer. Es steht jedoch in Zweifel, dass es eine reine Verzweiflungstat des FC Bayern gewesen sein soll, Kompany zu verpflichten. Was spricht für den Belgier?

  • Wie schon erwähnt: sein Arbeitsethos. Das dürfte vor allen den Alt-Bossen um Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge gefallen, die Arbeitseifer gerne immer noch in Stunden abrechnen. Der ehemalige Vorstandsvorsitzede berichtete, dass auch Guardiola bei der Verpflichtung von Kompany "geholfen" habe. "Er hat Vincent als talentierten Trainer sehr gelobt", so Rummenigge.
  • Die Guardiola-Schule: Pep Guardiola wird vielleicht irgendwann noch einmal die Bayern trainieren, aber nicht jetzt. Kompany kommt dem Spanier in seiner Spielauffassung vielleicht am nächsten. Und der FC Bayern hat - anders als Burnley - die Spieler, mit denen sich diese Idee von Offensivfußball umsetzen lässt.
  • Kompany hat ein soziales Gewissen, er setzte sich bereits zu Manchester-Zeiten für wohnungslose Menschen ein, spricht auch immer wieder über Diskriminierungserfahrungen und setzt sich gegen Rassismus ein.
  • Eloquenz: Als Kompany ManCity im Jahr 2019 verließ, beschäftigte seinen Teamkameraden David Silva vor allem eine Frage: "Wer soll uns jetzt Vorträge halten?" Kompany weiß sich auszudrücken - und das in mehreren Sprachen. Neben Französisch spricht er auch Englisch und Deutsch. Das hat er beispielsweise einem Trainer wie Zinedine Zidane voraus.

Kompany ist gerade einmal 38 Jahre alt. Dass er seinen Weg im Fußballgeschäft gehen wird, steht außer Frage. Für die Bayern stellt er jedoch ein Risiko dar, schließlich hat er mit Anderlecht und Burnley gerade einmal zwei Trainerstationen hinter sich - und war bei beiden nicht über die Maßen erfolgreich, sieht man vom Aufstieg mit Burnley ab.

Auch, dass er sich gerne in alle Aspekte des Klubs einbringt, könnte bei den Bayern für Unruhe sorgen. Kompetenzgerangel ist das letzte, was sie in München in der neuen Saison brauchen. Doch ganz ohne Risiko wird es bei den Bayern ohnehin nicht mehr gehen.

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