"Anti-Klopp" Lucien Favre hat in Dortmund bravourös eingeschlagen und die Erwartungen mit einem starken Saisonstart übertroffen. Das gilt auch nach dem ersten Flecken auf der zuvor weißen Weste, dem 0:2 in der Champions League bei Atlético Madrid.

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Viele bezweifelten, dass Lucien Favre beim BVB funktionieren würde. Er tut es. Beeindruckender jedenfalls als sein Trainer-Kollege Niko Kovac in München. Der wünschte sich in der Champions League im Heimspiel gegen AEK Athen einen Befreiungsschlag, für die Mannschaft, aber auch für sich. Dieser Anforderung hielt das 2:0 durch zwei Tore Robert Lewandowskis nicht stand.

Entsprechend tief stapelt Kovac vor dem schweren Gang zum Tabellenführer der Bundesliga. Dortmund sei der Favorit. Ins gleiche Horn stieß Bayerns Präsident Uli Hoeneß. Er bezeichnete den Rekordmeister vor dem Duell der nationalen Fußball-Giganten als "Außenseiter". Die Bayern kommen ungewohnt ruhig und demütig daher. Aus gutem Grund: Ihr Motor stottert und läuft nicht mehr so rund wie gewohnt.

Gleichzeitig mit den Dortmundern ersetzten die Münchner im vergangenen Sommer ihren Cheftrainer. Niko Kovac folgte in München auf Jupp Heynckes. Favre beerbte in Dortmund Peter Stöger.

Favre kam mit einem Jahr Verspätung

Der Österreicher war ohnehin nur als Übergangslösung gedacht und ließ einen wenig begeisternden Fußball spielen. Favre hatte die Vereinsführung der Schwarz-Gelben bereits im Sommer 2017 aus Nizza weglocken wollen, sich aber einen Korb eingehandelt.

Niko Kovac übernahm die Mannschaft des FC Bayern München von Trainer-Legende Jupp Heynckes. Schwerer konnte das Erbe kaum sein.

Kovac kam mit der Empfehlung an der Isar an, in seinem letzten Pflichtspiel als Coach der Frankfurter Eintracht den Bayern den DFB-Pokal weggeschnappt zu haben. Ein Sieg, der zuckersüß schmeckte. Die Realität in München ist ein halbes Jahr später umso bitterer.

Kovac startet mit Siegesserie

Kovac und die Bayern hatten Favre und dessen Dortmunder nach vier Siegen aus den ersten vier Spielen bereits um vier Punkte abgehängt. Nach sechs Meistertiteln der Roten in Serie schien sich die Langeweile in der Liga fortzusetzen.

Was die anfängliche Euphorie aber überdeckte, brach nach der folgenden Krise von vier sieglosen Pflichtspielen nacheinander auf. Kovac fehlen nicht nur die Erfolge seiner Vorgänger Jupp Heynckes, Carlo Ancelotti und Pep Guardiola, sondern vor allem die daraus erwachsende natürliche Autorität.

Vor diesem Problem steht Favre in Dortmund nicht. Er ist 14 Jahre älter als Kovac. In Gladbach und Berlin blieb der frühere Nationalspieler der Schweiz zwar titellos. Seine Klasse aber wies er nicht nur bei der Hertha nach, die er 2009 auf Rang vier der Bundesliga führte.

Mit Gladbach lief Favre 2015 sogar auf Platz drei durchs Ziel, und dies schaffte er in Frankreich zwei Jahre später abermals mit Außenseiter OGC Nizza. Nur Monaco und PSG waren damals besser.

Ligaweit ist Favre als Fachmann respektiert und anerkannt - vor allem auch bei seinen Spielern. Sie haben aus vier Punkten Rückstand auf die Bayern vor dem direkten Aufeinandertreffen am elften Spieltag vier Punkte Vorsprung gemacht.

Im Gegensatz zum FC Bayern spielen sie einen begeisternden, leidenschaftlichen Fußball, der mitunter von impulsivem Übermut geprägt ist.

Einheit gegen Einzelspieler

Borussia Dortmund bildet eine Einheit. Die ist in München unter Kovac verloren gegangen. Favre wird als Trainer in Dortmund augenscheinlich mehr Respekt entgegengebracht. Der Eidgenosse lässt junge, hungrige Spieler ran. Dortmund kann sich zwar auch Stars leisten, hat aber aus seinen millionenschweren Fehlern der Vergangenheit gelernt.

Sky-Experte Christoph Metzelder bekam bei der Borussia einst selbst die Gelegenheit, sich als junger Spieler durchzusetzen. Seine Analyse lobt den BVB und watscht die Bayern ab.

Die Münchner bauten ein riesiges, hochmodernes Nachwuchsleistungszentrum, geben ihrem eigenen Nachwuchs aber in der Regel keine Gelegenheit, sich in der Bundesliga zu etablieren. "Ich kann unendlich viele Millionen in Nachwuchsleistungszentren stecken, am Ende brauche ich einen Trainer, der bereit ist, die Jungen einzusetzen. Das war immer der Weg von Borussia Dortmund", sagte Metzelder dem "Reviersport".

Der BVB hat Spieler wie Ousmane Dembélé, Pierre-Emerick Aubameyang oder auch Robert Lewandowski rechtzeitig abgegeben. Deren Egoismus hätte das Mannschaftsklima womöglich vergiftet. Geholt wurden entwicklungsfähige Spieler wie Jadon Sancho oder Achraf Hakimi, für die die Bundesliga eine Chance ist.

Effenberg legt den Finger in die Wunde

"Die Dortmunder haben das, was Bayern fehlt", zählt der frühere FCB-Kapitän Stefan Effenberg im Gespräch mit t-online.de auf. "Diese Unbekümmertheit, dieses Unverkrampfte. Sie kommen überhaupt nicht ins Grübeln."

Ganz anders in München. Dort grübelt erst Trainer Kovac. Darüber, wen aus seinem Ensemble, der den selbstverständlichen Anspruch erhebt, zu spielen, er diesmal auf die Bank setzt. Und auf der Bank grübelt dann der dort geparkte Star über die Gründe nach.

"Der menschliche Umgang bei Bayern München und die Führung der Superstars sind das alles Entscheidende", fügte Effenberg gegenüber t-online.de hinzu. "Und da hat Niko Kovac seine Stärken. Auch, wenn es derzeit nicht so scheint."

Kovac fehlt es eher an Lösungen im taktisch-konzeptionellen Bereich. Dieses Defizit paart sich mit dem fehlenden Respekt seiner Stars. Granden wie Thomas Müller, Arjen Robben, Franck Ribéry, Mats Hummels verweigern Kovac nach einem Bericht des "kicker" vom 5. November 2018 die Anerkennung.

Kein Klopp, aber trotzdem erfolgreich

Die genoss in Dortmund niemand mehr als Jürgen Klopp. Zwei Jahre lang zeigte der heutige Liverpooler Erfolgscoach im Dauerduell mit dem FC Bayern den Münchnern am Ende der Saison eine lange Nase.

Die Meistertitel 2011 und 2012, erst recht aber der Pokalsieg 2012 (5:2 über die Bayern im Finale) sorgten für neue Machtverhältnisse im deutschen Fußball. Wie immer in den vergangenen Jahrzehnten aber nur vorübergehend.

Lucien Favre ist - zumindest nach außen - nicht der "Aggressive Leader", der Massenmotivator, als der sich Klopp noch immer gibt. Favre erledigt seinen Job lieber in Ruhe und weniger medienwirksam.

Nach zehn Spieltagen in Dortmund ohne Niederlage erweist sich sein Weg aber als ebenso erfolgversprechend. Und sollte sich Dortmunds großer Gegenspieler FC Bayern mit dem Siegen weiterhin derart schwertun wie im Herbst 2018, dann erscheint eine Wachablösung im deutschen Fußball näher zu rücken. Die kommenden 90 Minuten in Dortmund werden deshalb ein Fingerzeig sein.

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