• Sportlich hat das Jahr 2023 einige Highlights für den Fußball der Frauen zu bieten. In der Champions League, in der Bundesliga, vor allem aber bei der WM wird es heiß hergehen.
  • Gleichzeitig beschäftigen den Sport Zukunftssorgen. Ein nachvollziehbar euphorischer Saisonreport des DFB sorgt nicht nur für Jubel.
  • Wie stellt sich der Profifußball der Frauen in Zukunft auf? Vor allem die Identitätsfrage sorgt derzeit auf vielen Ebenen für Diskussionen.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Justin Kraft sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Höher, schneller, weiter – der Fußball der Frauen hat in den letzten Jahren weltweit einen beeindruckenden Aufstieg hinter sich. Klubs ziehen in die großen Stadien und brechen dort Rekorde, taktisch und athletisch wird der Sport immer attraktiver.

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Und doch ist der Jubel über die rasante Entwicklung nicht auf allen Ebenen ausgebrochen. Wo Gewinnerinnen und Gewinner sind, sind oft auch Verliererinnen und Verlierer. 2023 ist ein WM-Jahr. 2023 ist ein Jahr, in dem für den Fußball der Frauen der Aufbruch in eine neue Zeitrechnung weitergehen soll.

Doch in welche Richtung eigentlich? Und hat der Sport ein Identitätsproblem? Wir blicken auf Highlights und Herausforderungen der kommenden Monate.

Highlights 2023: Die WM in Australien und Neuseeland als Höhepunkt

Sportlich, daran besteht kaum ein Zweifel, hat dieses Jahr schon jetzt viel zu bieten. Allein die Champions League ist womöglich so hochkarätig besetzt wie noch nie. Im Viertelfinale gibt es ausschließlich Topspiele.

In der Bundesliga gibt es ebenfalls Potenzial für große Spannung. Zwar ist Wolfsburg der Konkurrenz an der Spitze bereits enteilt, doch dahinter bleibt es bisher eng. Zwischen Bayern, Frankfurt und vielleicht auch Hoffenheim könnte sich ein spannender Dreikampf um die Champions-League-Plätze entwickeln. Und auch der Abstiegskampf hat es in sich. Die SGS Essen auf dem sechsten Platz und den SV Werder Bremen auf dem ersten Abstiegsplatz trennen lediglich sechs Punkte.

Im Sommer gibt es dann das große Jahreshighlight: Mit der WM 2023 sollen abermals Rekorde aufgestellt und neue Maßstäbe gesetzt werden. Die Fans dürfen sich gewiss auf ein sportlich herausragendes Turnier in Australien und Neuseeland freuen. Auch hier gilt: So viele Favoritinnen auf den Titel gab es wohl noch nie. Die Leistungsspitze ist breiter geworden und es ist absehbar, dass die Weltmeisterschaft einen weiteren Höhepunkt in der Geschichte dieses Sports darstellen wird.

DFB gewährt Blick in die Zukunft

Erst kürzlich hat der DFB seinen Saisonreport für die Spielzeit 2021/22 veröffentlicht – und in die Lobeshymne für die "erfreuliche Entwicklung" eingestimmt. Mehr Fans, mehr Reichweite in den Medien und bei TV-Übertragungen, rund 40 Prozent mehr Erträge pro Klub im Vergleich zur Saison 2017/18 – auch in Deutschland scheint sich nach all den Jahren der Stagnation vieles in die richtige Richtung zu entwickeln. Oder?

Das kommt stark auf die Perspektive an. Gewiss wurden im Saisonreport viele erfreuliche Entwicklungen festgehalten, die unter Beweis stellen, dass der Aufstieg des Fußballs der Frauen gerade Fahrt aufnimmt. Auf der anderen Seite wirft er eine große Identitätsfrage auf: Wohin soll das alles eigentlich führen?

Oberflächlich betrachtet sind im Fußball der Frauen jene Verbände an der Macht, die auch im Fußball der Männer die Fäden ziehen. Es verwundert daher kaum, dass einige Veränderungen im strukturellen Bereich an jene erinnern, die im Männerbereich vor Jahren ähnlich durchlaufen wurden.

Eine Aufblähung des Spielplans, die Maximierung der Einnahmen durch Reformierungen in den Wettbewerben, teurere TV-Verträge und die wachsende Schere zwischen kleinen und großen Klubs – um nur einige Beispiele zu nennen. Nicht alles davon ist ausschließlich kritisch zu sehen. Und doch entstehen Fragen.

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DFB: Saisonreport offenbart große finanzielle Schere

Zu den Finanzen hat der DFB interessante Einblicke gewährt. Mit der SGS Essen, Carl Zeiss Jena, Turbine Potsdam und dem SC Sand spielten in der Saison 2021/22 vier "Frauen-Klubs" in der Bundesliga. Also jene, die nicht über eine Männer-Mannschaft in den ersten drei Ligen verfügen. Schaut man auf die durchschnittlichen Saisonergebnisse pro Klub, wird deutlich, wie sehr diese Gruppe im Nachteil ist.

Im Schnitt machten die Bundesliga-Klubs einen Verlust von rund 1,5 Millionen Euro. In den Vorjahren lag dieser Wert stets bei rund einer Million Euro. Betrachtet man nur die Gruppe "Frauen-Klubs", kommt man auf einen durchschnittlichen Verlust von 151.000 Euro. Mit Blick auf die letzten fünf Spielzeiten kommen diese sogar im Schnitt auf einen Gewinn von 33.000 Euro.

Während Klubs wie der FC Bayern München oder der VfL Wolfsburg also Verluste schreiben können, weil diese durch andere Abteilungen aufgefangen werden, kämpfen Potsdam und Co. um ihre Existenz. Sie müssen mangels Alternativen wirtschaftlich nachhaltig arbeiten. Der DFB bezeichnet den Verlust der restlichen Klubs in seinem Bericht euphorisch als Bereitschaft, "Investitionen zu tätigen".

Und tatsächlich ist diese Entwicklung positiv für den Spitzensport. Deutschland investiert in Infrastruktur, Professionalisierung und vor allem auch Personal. Die Personalkosten sind seit 2017 um 56,6 Prozent gestiegen. Spielerinnen verdienen in der Bundesliga im Durchschnitt längst nicht genug, um nachhaltig davon leben zu können, aber der Anstieg ist erfreulich. Die Verluste an sich sind deshalb nicht das Problem. Zieht man hinzu, wie lange der Fußball der Frauen strukturell und gesellschaftlich von Männern unterdrückt wurde, ist es geradezu richtig, dass nun Geld in die Hand genommen wird.

Mit welcher Konsequenz die Schicksale von Jena, Sand (beide bereits abgestiegen), Essen und Potsdam ignoriert werden, gibt jedoch zu denken. Sie werden geradezu als natürliche Opfer der Entwicklung gesehen. Ist dann eben so. Wie wichtig diese Klubs über viele Jahre hinweg für die Entwicklung von Talenten waren oder sind und wie wichtig sie für den Kontakt zur Basis sind, scheint keine Rolle zu spielen. Aufstieg um jeden Preis.

Bundesliga: Es droht ein unfairer Wettbewerb

Die Wettbewerbsbedingungen sind bereits ungleich und sie führen zwangsläufig dazu, dass der Fußball der Frauen sich in eine ähnliche Richtung entwickelt wie der Fußball der Männer. Dort gewinnen seit vielen Jahren größtenteils dieselben Klubs die wichtigsten Titel. Es gibt eine Elite, die sich mit ihrer Machtstellung immer mehr Geld in die Taschen schaufelt und nicht genug bekommt. In der Debatte um eine Super League spitzt sich das alles zu.

In der Bundesliga der Frauen ist mittelfristig immerhin ein Konkurrenzkampf zwischen dem VfL Wolfsburg und dem FC Bayern absehbar. Die Beträge, die aktuell ausgegeben werden, reichen noch nicht aus, um die Spitze derart zu trennen, wie es in der Männer-Bundesliga beispielsweise geschehen ist – auch wenn der VfL derzeit klar dominiert. Die Schere zwischen den Wölfen und Turbine Potsdam ist aber schon jetzt besorgniserregend.

Das betrifft den qualitativen Unterschied ebenso wie den finanziellen und infrastrukturellen – und das gilt auch, wenn man den Vergleich zu Werder Bremen oder dem 1. FC Köln zieht, die beide von den Strukturen der Männerabteilungen profitieren. Entwickelt sich die Bundesliga der Frauen so weiter, wird es in absehbarer Zeit zwei, maximal drei Klubs geben, die in einer ganz anderen Welt spielen als der Rest.

Fußball der Frauen: Angleichung an die Männer?

Hier kommt die große Identitätsfrage ins Spiel: Soll der Fußball der Frauen strukturell dem der Männer angeglichen werden – und gibt es tatsächlich eine Überzeugung dahinter, dass das der richtige Weg ist? Schließlich gibt es einen solchen Fußball schon. Der Nachbau der Strukturen könnte also überspitzt formuliert dazu führen, dass man irgendwann nur noch als Kopie wahrgenommen wird. In den meisten Fällen entscheiden sich Menschen aber für das Original.

Im Moment profitiert der Fußball der Frauen auch davon, dass er anders ist als sein männliches Pendant. Nahbarer, vor allem aber auch inklusiver. Menschen aus der queeren Community betonen immer wieder, dass sie sich im Umfeld des Fußballs der Frauen wohler fühlen als in jenem der Männer. Doch auch abseits solcher Fälle kann der Fußball der Frauen damit punkten, dass er auf viele ehrlicher wirkt – Spielerinnen, die sich viel Zeit für ihre Fans nehmen, die aber auch in Interviews kein Blatt vor den Mund nehmen.

All das könnte in Zukunft schwieriger werden. Erste Klubs sind angesichts der steigenden Aufmerksamkeit bereits jetzt darum bemüht, Maßnahmen zu ergreifen, damit die Spielerinnen sich stets im Sinne der eigenen Interessen äußern. Ecken und Kanten werden spürbar seltener.

Die WM 2023 soll, so berichteten englische Medien, womöglich von einer Tourismus-Behörde Saudi-Arabiens gesponsert werden. Das Land steht wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik, Homosexualität ist dort streng verboten. Nicht nur sind viele Spielerinnen homosexuell und/oder engagieren sich für gesellschaftliche und politische Themen, auch stellt sich spätestens dadurch die Frage, wie sehr sich der Fußball der Frauen von den kapitalistischen Interessen der großen Verbände leiten lässt.

Fußball der Frauen: Was ist eigentlich mit den Spielerinnen?

Die Spielerinnen sind es ohnehin, die oft auf der Strecke bleiben. Aufgeblähte Spielpläne sind notwendig, um die Einnahmen zu maximieren und die steigenden Gehälter zu rechtfertigen. Lange Marketingreisen stehen auf dem Programm. Der Stress und die Belastung nehmen zu. Gleichzeitig wird allerdings zu wenig in der Forschung getan. Kreuzbandrisse häufen sich. Ohnehin erleiden Frauen diese Verletzung im Fußball fünfmal häufiger als Männer.

Es ist nicht so, dass gar nichts getan wird. Klubs versuchen, sich dementsprechend aufzustellen, die Kader zu verbreitern und die Belastung zu steuern. Aber welche Lösungen gibt es darüber hinaus? Das Thema ist in der Öffentlichkeit erschreckend unterrepräsentiert. "Man muss die Menschen, die Spielerinnen in den Vordergrund rücken, man muss sie schützen", forderte deshalb auch Alexander Straus auf einer Pressekonferenz im Dezember. "Vielleicht hat man zu schnell von 0 auf 100 geschaltet", erklärte der Bayern-Trainer damals.

Damit trifft der Norweger den wunden Punkt: Höher, schneller, weiter – das ist das Motto im kapitalistischen System, dem der Fußball der Frauen aktuell folgt. Doch wie kann er in Zukunft beides vereinbaren? Weiterentwicklung auf allen Ebenen einerseits – und die Wahrung der eigenen Werte andererseits. Fragen über Fragen, vor allem aber die Erkenntnis, dass es die Herausforderungen der Zukunft in sich haben.

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