Mit dem Einzug ins Viertelfinale ist das große Ziel zwar noch lange nicht erreicht – in ihrem Selbstverständnis macht die deutsche Nationalmannschaft aber einen riesigen Sprung und sendet auch Signale an die Konkurrenz.

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Vielleicht war das nach der ersten von drei zu überstehenden K.o.-Runden noch etwas zu früh, nun schon von der Reise nach Berlin zu singen. Das euphorisierte Dortmunder Publikum borgte sich den im DFB-Pokal erprobten Song aber trotzdem und kündigte schon Mitte der zweiten Halbzeit an: "Wir fahren nach Berlin!"

Dazwischen liegen zwar noch die Ausflüge nach Stuttgart am kommenden Freitag und - wenn alles gut läuft - auch noch der Umweg über die Münchener Allianz Arena in einem möglichen Halbfinale. Dann aber könnte es am 14. Juli, dem Tag des Finales, tatsächlich so weit sein, dass die deutsche Nationalmannschaft bei dieser Europameisterschaft doch noch in der Hauptstadt vorbeischaut.

Nach dem 2:0-Sieg im Achtelfiale gegen Dänemark ist jedenfalls die Pflichtaufgabe erfüllt, der erste Schritt getan. Nun könnte gegen die Granden aus Spanien und womöglich auch aus Frankreich die Kür der DFB-Auswahl anstehen.

Nagelsmann sieht "skurriles Spiel"

Wieder einmal hatte das Dortmunder Westfalen-Stadion seinem Ruf als Hochburg des deutschen Dramas alle Ehre gemacht. Im Spiel gegen die Dänen war so ziemlich alles drin, was man am Fußball so liebt und auch, was man mit immer größerem Argwohn betrachtet.

Deutschland spielte eine halbe Halbzeit lang betörend schönen Offensivfußball, wurde dann erst vom Gegner und später von Blitz und Donner ausgebremst. Kassierte sogar ein Gegentor, das aber gar eines war. Weil der VAR innerhalb von nur vier Minuten doppelt auf den Plan trat und half, aus einem vermeintlichen Rückstand einen Vorsprung zu erzielen.

Das Stadion bebte, die deutsche Mannschaft spielte plötzlich wieder abgeklärt und reif und verdiente sich den Erfolg trotz zweier durchaus glücklicher VAR-Entscheidungen. "Es war ein skurriles Spiel", sagte Julian Nagelsmann nach der Partie im "ZDF" und selbst die wortgewandten Experten neben ihm wollten oder konnten da nicht widersprechen.

Überragende deutsche Startphase

Deutschland zeigte die gesamte Bandbreite seines Repertoires, spielte den Gegner in der Anfangsviertelstunde fast schon schwindelig, vergaß aber komplett das Toreschießen. Wobei: Schon nach vier Minuten landete der Ball im dänischen Tor, der fahrige Schiedsrichter Michael Oliver wollte aber ein Foul erkannt haben und verwehrte Nico Schlotterbecks Treffer die Anerkennung.

"Wir haben mit unsere besten 20 Minuten dieses Turniers gespielt, da waren wir überragend gut drin", sagte Nagelsmann bei "MagentaTV" über die bärenstarke Anfangsphase, die Deutschland mit klaren Abläufen in der Offensive, gefährlichen Standards und einem guten Gegenpressing komplett dominierte.

Die Idee, mit Leroy Sane statt Florian Wirtz einen zusätzlichen Spieler aus den Rasen zu schicken, der immer wieder hinter die gegnerische Abwehrlinie sprintete, ging voll auf – wenngleich Sane wie schon in den Spielen davor nicht jede Aktion gelingen wollte.

Sanes Geschwindigkeit, Kai Havertz' Rochaden in die Halbräume und eine erstaunliche Hoheit bei Luftduellen im gegnerischen Strafraum waren Kernelemente des deutschen Spiels, das so flüssig und selbstverständlich daher kam wie schon sehr lange nicht mehr.

Schreckmoment und das nötige Glück

Und trotzdem hatte die Partie auch ihre schwierigen Momente. Ein paar Zentimeter trennten die Dänen von der überraschenden Führung unmittelbar nach der Halbzeit und auch wenn Nagelsmann die Resilienz seiner Mannschaft nach dem Spiel mehrfach hervorhob: Ein Rückstand hätte den Charakter der Partie sehr zu Ungunsten der deutschen Mannschaft verändert. So stellte sich die Frage nach der deutschen Reaktion auf ein Negativerlebnis erst gar nicht.

Auch die gar nicht so geheime Zutat "Glück" gehört eben dazu, wenn man Großes erreichen will. Oder eben die Dänen schlagen. Und die Euphorie in der Republik damit noch einmal nach oben schrauben. "Wir haben was im Land ausgelöst. Wir spielen mit Euphorie, wir spielen mit Spaß", sagte Schlotterbeck. Und die Euphorie und der Spaß zündeten das Stadion an, das so laut war, wie man es beim Spiel einer deutschen Nationalmannschaft schon lange nicht mehr vernommen hatte.

"Die Fans waren extrem da. Es war mit Abstand die beste Stimmung der Fans. Die waren präsent und hungrig", sagte Joshua Kimmich, dem auch noch eine andere Sache aufgefallen war: "Wir wissen, dass wir jeden schlagen können", so Kimmich. "Aber auch zu schlagen sind…"

Deutschland meldet sich zurück

So ganz gefestigt ist das in der Tat alles noch nicht. Aber es geht in die richtige Richtung. Zumindest das hat die EM schon gezeigt. Deutschland steht nun zum ersten Mal seit acht Jahren bei einem großen Turnier wieder unter den besten acht Mannschaften. Und jetzt zunächst einmal vor der wohl mächtigsten aller Aufgaben: Vermutlich geht es am kommenden Freitag in Stuttgart gegen Spanien, die bisher beste Mannschaft des Turniers.

Mit dem Einzug ins Viertelfinale ist die Stimmung im Land mindestens noch eine knappe Woche gerettet und die Europameisterschaft jetzt schon ein (kleiner) Erfolg. Jetzt in einer K.-o.-Runde wahrscheinlich wieder gegen die führenden Nationen spielen zu dürfen, bringt die Nationalmannschaft auf ihrem Weg zurück in die Weltspitze wieder ein gutes Stück voran. Zwar ist faktisch immer noch nichts erreicht. Das eigene Selbstverständnis und auch das Bewusstsein der Gegner dürfte sich aber schon verändert haben. Und das ist mit Blick auf die Zukunft schon sehr viel wert.

Verwendete Quellen

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