Die Schweizer Nationalmannschaft musste sich im zweiten EM-Gruppenspiel gegen Schottland mit einem 1:1 begnügen. Das Achtelfinale ist so gut wie fix, doch die "Nati" will mehr – einen Sieg am Sonntag gegen Deutschland.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Murat Yakin war auf die Frage nicht vorbereitet. Was es bei ihm auslöse, dass ihm in den sozialen Medien eine Welle der Sympathien von weiblicher Seite entgegenschwappe, wurde er gefragt. Der Nationaltrainer der Schweiz schaute überrascht, lächelte aber geschmeichelt. "Ich hoffe, meine Frau hört nicht zu", scherzte er. Und zerstörte dann womöglich so manche Hoffnung, als er klarstellte: "Danke für die Reaktionen. Ich bin glücklich verheiratet mit zwei Kindern. Da gibt es nichts zu holen."

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Die Episode spiegelt die Situation bei den Schweizern recht anschaulich wider, denn die "Nati" löst bei diesem Turnier eine Menge Euphorie bei den Fans aus und im Gegenzug bekommt sie jede Menge Zuneigung zurück. Das war während der schwierigen EM-Quali nicht immer der Fall. Das gilt auch für Yakin, der in der Vergangenheit öfter mal in der Kritik stand. An der guten Stimmung ändert auch das sportlich eher magere 1:1 gegen Schottland nichts, durch das das Achtelfinale zwar rechnerisch noch nicht fix, aber nun ganz nah ist.

Die Schweiz steht nicht unter Druck

Deshalb richtete sich der Blick respektvoll, aber keinesfalls sorgenvoll in Richtung DFB-Team. Am Sonntag ist Deutschland der letzte Gruppengegner (Deutschland - Schweiz im TV und Stream sowie hier bei uns im Live-Ticker mitverfolgen). Und da geht es nicht nur darum, die letzten Mini-Zweifel am Einzug in die K.o.-Runde auszuräumen, sondern auch um den Gruppensieg. Wofür dann aber ein Erfolg gegen den EM-Gastgeber Pflicht ist.

"Deutschland spielt einen überragenden Fußball, einen sehr druckvollen Fußball. Es wird sicher ein offenes Spiel", sagte Yakin. Man sei glücklich über die vier Punkte und über die Art und Weise, wie man bislang Fußball gespielt habe, so der 49-Jährige. "Es wird ein ganz anderes Spiel gegen Deutschland. Und wir stehen nicht unter Druck, dass wir unbedingt einen Sieg bräuchten."

Trotzdem will man ihn natürlich, auch wenn das Remis gegen aggressive, kämpferisch starke und disziplinierte Schotten ein anderes war als zuvor gegen Ungarn. Es war ein Duell auf Augenhöhe, "ein hartes Stück Arbeit, ein schwieriges, ein intensives Spiel", wie Torhüter Yann Sommer erklärte. Bundestrainer Julian Nagelsmann dürfte genau hingeschaut haben, wie die Schotten das Schweizer Zentrum dichtgemacht und den Aktionsradius von Dirigent Granit Xhaka eingeengt haben.

Xhakas Radius wird eingeengt

"Scott McTominay hat mir nach 20 Minuten gesagt, dass er die ganze Zeit bei mir bleiben wird", verriet Xhaka. Dass McTominay dem Leverkusener 90 Minuten lang auf den Füßen stand, nahm dem Schweizer Spiel einige der sonst so prägenden Elemente, den Drive und eine Menge offensive Wucht. "Trotzdem haben wir immer wieder Lösungen gehabt", betonte Yakin, der vor allem mit der Effizienz der eigenen Mannschaft nicht zufrieden war.

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Sie nahm den Kampf an, suchte spielerisch den Zugriff, konnte gute Möglichkeiten aber nicht nutzen und hatte bei zwei Abseitstoren Pech. Im Gegenzug zeigten die Schotten Leidenschaft und Herz, trafen selbst nur den Pfosten. "Ein verdientes Unentschieden. Es war ein guter Punkt gegen eine sehr starke, intensive, körperliche Mannschaft, die auch ihre Chancen hatte", so Sommer. Und Xhaka meinte, man habe gut ohne Ball agiert, "und mit dem Ball kann man immer etwas verbessern, wenn man nicht gewinnt".

Traumtor von Shaqiri

Worauf sich Yakin bei dieser EM verlassen kann, sind seine Personalentscheidungen. Im ersten Spiel überraschte er als Tatikfuchs den Gegner, gegen die Schotten brachte er den Ex-Bayern-Star Xherdan Shaqiri, der beim Auftakt noch auf der Bank saß. Und der bedankte sich mit einem Traumtor. "Es ist ein ungewöhnlich schönes Gefühl, wenn du ein Tor schießt für die Schweiz. Es war sehr speziell und das bleibt auch immer in Erinnerung", sagte Shaqiri zu seinem Schuss aus 20 Metern in den linken Winkel.

Er ist nun der einzige Europäer, der bei allen der vergangenen sechs großen internationalen Turniere mindestens einmal getroffen hat, seit 2014 also. Solche Statistiken seien "immer schön zu sehen, die bleiben in Erinnerung", meinte der 32-Jährige und ergänzte: "Die großen Spiele sind für mich gemacht."

Deshalb wollte er sich gar nicht lange aufhalten mit seinem Treffer, denn das nächste große Spiel wartet ja schon. Getragen von der Euphorie und den lautstarken Fans wolle man nun "die Deutschen ärgern", sagte Shaqiri: "Es wird ein guter Härtetest für uns." Man sei auch selbstbewusst, sagte er: "Es ist immer gut, gegen unsere Nachbarn zu spielen", so Shaqiri: "Wir werden alles versuchen, um ihnen so viele Probleme wie möglich zu machen - und ein positives Ergebnis mitzunehmen. Das gibt dir Stärke für die nächste Runde."

Ein Vorteil: Man kennt sich

Ein Vorteil: "Wir kennen die Mannschaft gut", sagte Sommer: "Ich glaube, dass viel Qualität auf uns zukommen wird, aber es wird auch spielerischer, was uns entgegenkommt." Man werde nicht so viel Respekt zeigen wie die Schotten beim 1:5 im ersten Spiel, meinte Xhaka.

"Wir wissen, wie gut sie sind, aber ich bin mir sicher, dass sie auch wissen, wie gut wir sind. Wir sind heiß auf das Spiel, betonte er: "Und wir wollen das Spiel gewinnen." Sollte das tatsächlich gelingen, muss sich Yakin mit der Eingangsfrage wahrscheinlich noch öfter beschäftigen.

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