Neue Musik, neue Spieler, aber auch alte Probleme und Fragen: In seinem dritten und vierten Länderspiel als Bundestrainer hat Julian Nagelsmann größere Hürden zu bewältigen, scheint aber zumindest seine Schützlinge schon überzeugt zu haben.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Julian Münz sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Dass Julian Nagelsmann ein Faible für Mode hat, ist mittlerweile bekannt. Doch auch mit der Musik scheint es der Bundestrainer ganz genau zu nehmen. So begrüßte er die DFB-Spieler beim ersten Training der Länderspielperiode mit neuer Musik - Queen, Elton John und Kontra K. waren auf der eigens erstellten Playlist zu hören. Die gewählten Songs sendeten vor allem eine Botschaft: Glaubt an euch! Mit welchen Gefühlen geht das DFB-Team aber in die Spiele gegen Österreich und die Türkei?

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Neue Hoffnung beim DFB

Dass der Trainerwechsel dem DFB-Team gutgetan hat, ist vor dem Heim-Debüt von Julian Nagelsmann durchaus zu bemerken. Borussia Dortmunds Julian Brandt geriet auf Nagelsmann angesprochen, geradezu ins Schwärmen "Ich bin sehr positiv gestimmt. Und sehr optimistisch. Sogar euphorisch", erklärte der 27-Jährige gegenüber der "Sport Bild". Und fügte hinzu: "Ich finde, dass der Trainer zur Mannschaft sehr gut passt und dass sich daraus eine sehr gute Idee entwickeln wird, wie wir Fußball spielen wollen." Sein Teamkollege Füllkrug bekräftigte: "Man sieht schon Abläufe, die wir trainiert haben. Das gibt einem ein extrem gutes Gefühl. Wir müssen und werden uns weiterentwickeln." Auch für Nagelsmanns musikalische Impulse gab es Lob: "Es war erfrischend, es war etwas anderes", sagte Füllkrug.

Auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf sieht, dass Nagelsmann den Spielern das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zurückgibt. "Insgesamt hat er eine hohe Akzeptanz bei den Spielern, die ihm sehr vertrauen. Seine Fachlichkeit ist unbestritten", so Neuendorf. "Es ist der Glaube da, dass man mit ihm und mit der Mannschaft auch wirklich erfolgreich sein kann."

Nagelsmanns Verletzungssorgen

Abgesehen davon gestaltet sich Nagelsmanns zweite Länderspielperiode aber mit mehr Hürden als gedacht. In den Spielen gegen die Türkei und Österreich die unter Vorgänger Hansi Flick lange vermisste Kontinuität bei der Aufstellung zu finden, wird ihm ob der vielen Absagen nicht möglich sein. Dass zumindest Gosens und Thiaw, die wohl beide Chancen auf die Startelf gehabt hätten, aus freudigen Gründen absagten - sie bekommen beide Nachwuchs - ist ein kleiner Trost.

Am schwersten trifft Nagelsmann hingegen ein anderer Ausfall. Mit Jamal Musiala fehlt der offensive Schlüsselspieler, um den er sein Team aufbauen will. Dass mit Chris Führich zudem ein vielversprechender Neuling bei seiner zweiten Nominierung absagen muss, ist für die Pläne von Nagelsmann ebenfalls nicht förderlich.

Von den verbliebenen Spielern sind zudem Leon Goretzka und Mats Hummels zwar für die Länderspiele angereist, aber nicht ganz fit. Schon bei seinem dritten und vierten Spiel als Trainer muss Nagelsmann stark rotieren - auch mit Spielern, die bei den ganz großen Plänen für die EM 2024 vielleicht keine Rolle spielen werden.

Nagelsmanns Neulinge

Vielleicht aus der Not heraus zeigt Nagelsmann auch bei seiner zweiten Kadernominierung Mut für Neues. Am überraschendsten ist dabei die Nominierung von Torhüter Janis Blaswich - zum zweiten Mal setzt der Bundestrainer neben ter Stegen, Baumann und Trapp auf einen vierten Schlussmann. Blaswich verbrachte einen Großteil seiner Karriere in den unteren Ligen, bei RB Leipzig wurde er eigentlich nur als Ersatztorhüter für den gerade erst wieder genesenen Peter Gulacsi verpflichtet. Für den 32-Jährigen ist bereits die Nominierung ein Erfolg: Die Wahrscheinlichkeit, dass er auch langfristig vor Baumann, Trapp oder ter Stegen zum Zuge kommen könnte, ist eher unwahrscheinlich.

Deutlich realistischer sind die EM-Chancen bei Marvin Ducksch, der durch seine Nominierung wieder mit seinem ehemaligen Bremer Teamkollegen Niclas Füllkrug vereint ist. Ducksch hofft darauf, "dass ich meine Chance bekomme, mich zu zeigen". Schließlich, weiß er, sei die DFB-Auswahl "hinter Niclas Füllkrug noch auf Stürmersuche."

Damit liegt er nicht falsch. Denn die Position des Mittelstürmers ist im DFB-Team wieder sehr gefragt: Sowohl Konterstürmer Timo Werner als auch Kai Havertz, dessen Stärken im offensiven Mittelfeld liegen, konnten in der Nationalelf nie überzeugen. Auch Nagelsmann scheint - vielleicht auch mit der Erfahrung von Lewandowskis Abgang bei den Bayern - klar auf einen kräftigen Mittelstürmer im Zentrum zu setzen. Ducksch profitiert dabei auch von der Krise der Konkurrenz. Der noch bei Nagelsmanns Debüt nominierte Kevin Behrens ist beim 1. FC Union Berlin seit neun Bundesligaspielen ohne Tor.

Und dann ist da noch Grischa Prömel. Der profitierte von der Absage des mit Hüftproblemen kämpfenden Felix Nmecha. Einer der großen Förderer des Hoffenheimers war ausgerechnet Bundestrainer Nagelsmann. Der bewegte ihn als Juniorenspieler dazu, seine Profikarriere anzutreiben. "Damals war ich noch U19-Spieler bei den Stuttgarter Kickers", erklärte Prömel: "Da hat Julian mir auch erst eine WhatsApp geschickt und mich daraufhin angerufen, um mich von einem Wechsel in die Akademie der TSG Hoffenheim zu überzeugen."

Die Neuer-Frage

Über allen schwebt beim deutschen Nationalteam zudem noch immer die Frage um die Zukunft des kürzlich genesen Manuel Neuer. Der trug die Entscheidung zwar offensichtlich mit, in diesem Jahr nicht mehr für die Nationalmannschaft, will seine Ambitionen im DFB-Team deshalb aber nicht zurückschrauben. Bei der Präsentation des EM-Balls "Fußballliebe" im Olympiastadion in Berlin zeigte sich Neuer erneut kampflustig: "Ich möchte in diesem Stadion hinter mir spielen, weil dort das Finale stattfindet", sagte der 37-Jährige.

Kein Wunder, dass Experten bezweifeln, Neuer würde sich mit einer Rolle als Vertreter von ter Stegen zufriedengeben. "Er war jahrelang unantastbar. Wenn er jetzt beim DFB in eine neue Rolle schlüpfen müsste, fände ich das schwierig"; sagte etwa Ex-Nationalspieler Michael Ballack, der mit Oliver Kahn 2006 eine ähnliche Situation erlebte. "Wenn Manuel Neuer zurückkommt, dann geht das nur als Nummer eins."

Der Haken: Mit Marc-André ter Stegen hat Neuer einen Konkurrenten, der nicht nur jünger ist als er, sondern auf Vereinsebene längst auf einem gleichen Niveau, wenn nicht sogar besser als Neuer spielt. Und auch ter Stegen will sich nicht mehr mit dem Platz auf der Bank zufriedengeben.

Verwendete Quellen:

  • Agenturmaterial von SID und DPA
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